Bundesfinanzhof




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#16408


BUNDESFINANZHOF

1. Bei Verwendung gebrauchter Teile von mehr als 10 v.H. des gesamten Wertes wird ein neues Wirtschaftsgut im Sinne des In­vestitionszulagenrechts nur dann hergestellt, wenn der An­spruchsberechtigte unter Verwirklichung einer neuen Idee ein andersartiges Wirtschaftsgut schafft.


2. Die Herstellung aufgrund einer neuen Idee setzt weder eine patentfähige Erfindung noch eine weltweit neue Idee voraus. Es reicht aus, dass der Anspruchsberechtigte auf der Grundlage ei­nes bereits bekannten technischen Verfahrens eine Anlage für die Zwecke seines Betriebs entwickelt und errichtet, die moder­nen technischen Anforderungen entspricht und die Wettbewerbsfä­higkeit des Betriebs stärkt.



InvZulG 1996 § 2 Satz 1


Urteil vom 17. November 2005 III R 53/04


Vorinstanz: FG des Landes Sachsen Anhalt vom 25. März 2004

1 K 469/99





Gründe
I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Un­ternehmen unter anderem zur Entsorgung von Abfällen im Förder­gebiet.


Im Jahr 1995 begann sie mit der Errichtung einer Kompostie­rungsanlage für Bioabfall mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 1 012 146,83 DM. Für die in diesem Jahr angefallenen Teil­herstellungskosten gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) antragsgemäß eine Investitionszulage.
Im Jahr 1996 erwarb die Klägerin von einer Agrargenossenschaft für die Anlage drei Pasteurisierungstunnel, eine Ausziehwinde, zwei Umsetzmaschinen und eine elektromechanische Bandwaage zu einem Nettokaufpreis von 400 000 DM. Nach den Angaben der Klä­gerin hatte die Agrargenossenschaft beabsichtigt, mit diesen Bauteilen aus einer Mischung von Stroh, Pferdemist und Gülle unter thermischer Einwirkung ein Champignonsubstrat herzustel­len. Da die Anlage aber nicht den vorgegebenen Zweck erfüllt habe, habe die Agrargenossenschaft sie nicht in Betrieb genom­men.
Die Klägerin beantragte für das Jahr 1996, in dem die Anlage fertig gestellt und behördlich abgenommen wurde, Investitions­zulage in Höhe von insgesamt 60 704,37 DM, die unter anderem auf die restlichen Teilherstellungskosten der Anlage in Höhe von 714 799,51 DM entfiel.
Das FA kürzte die Bemessungsgrundlage zunächst um die von der Agrargenossenschaft erworbenen (gebrauchten) Bauteile und ei­nige weitere Beträge. Auf den Einspruch der Klägerin lehnte das FA nach einer Betriebsprüfung die Investitionszulage für die Kompostierungsanlage nunmehr insgesamt ab, weil der Teilwert der gebrauchten Teile 10 v.H. der Gesamtkosten übersteige und es sich somit nicht um die Herstellung eines neuen Wirtschafts­gutes i.S. des § 2 Satz 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1996 handle. Das FA setzte die Investitionszulage für die anderen Wirtschaftsgüter auf 24 965 DM fest und wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Sein Urteil ist in Deutsches Steuerrecht-Entscheidungsdienst 2005, 1013 veröf­fentlicht.
Es führte im Wesentlichen aus, ein Wirtschaftsgut, das unter Einbeziehung gebrauchter Teile von mehr als 10 v.H. herge­stellt werde, sei nur dann als neu im Sinne des Investitions­zulagenrechts zu werten, wenn mit der Herstellung eine neue Idee verwirklicht werde, die dem Betrieb im Wettbewerb helfe. Erforderlich sei eine weltweit neue Idee. Weder das mit der An­lage herzustellende Produkt (Kompost) noch das Verfahren zu dessen Herstellung seien aber neu gewesen. Kernstück der Anlage seien die GICOM-Tunnel, in denen Stoffe erhitzt würden. Die neue Beschickungs- und Entleerungstechnik ergänze lediglich ein alt bekanntes Herstellungsverfahren, nämlich das kontrollierte Erhitzen in den Tunneln für ein bereits bekanntes Produkt. Die Klägerin habe auch nicht vorgetragen, dass das Zusammenführen dieser Technik in einer Gesamtanlage neu gewesen sei oder dass sie für die Kompostierungsanlage Teile benutzt habe, die übli­cherweise nicht verwendet würden. Der Verfahrensablauf (Beschi­ckung, Intensiv- und Nachrotte) deute darauf hin, dass die Tun­nel, die der Anlage das Gepräge gäben, nach der Anschaffung le­diglich vor Ort montiert worden seien. Die Klägerin habe auch nicht vorgebracht, sie habe außergewöhnliche Gegenstände ver­wendet und insofern in kreativer Weise andersartige Wirt­schaftsgüter geschaffen.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und unter Änderung des Investitionszulagenbescheids 1996 i.d.F. der Einspruchsent­scheidung die Investitionszulage auf 31 037,65 € (60 704,37 DM) festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanz­gerichtlichen Urteils und zur Änderung des Investitionszulagen­bescheids 1996 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).


Entgegen der Auffassung des FG hat die Klägerin mit der Errich­tung der Kompostierungsanlage unter Verwirklichung einer neuen Idee ein andersartiges und damit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein neues Wirtschaftsgut herge­stellt.
1. Nach § 2 Abs. 1 InvZulG 1996 ist neben weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen die Herstellung von "neuen" bewegli­chen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens begünstigt.
Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2004 III R 6/03, BFHE 206, 513, BStBl II 2004, 1081, m.w.N.) setzt die Herstellung eines neuen Wirtschaftsguts im Regelfall die Verwendung ausschließlich neuer, d.h. ungebrauchter Teile voraus.
Bei Verwendung gebrauchter Teile wird ein neues Wirtschaftsgut nur hergestellt, wenn die neuen Teile dem Gesamtbild das Ge­präge geben und die verwendeten Altteile wertmäßig von unterge­ordneter Bedeutung sind. Eine wertmäßig untergeordnete Bedeu­tung ist anzunehmen, wenn der Teilwert der bei der Herstellung verwendeten gebrauchten Wirtschaftsgüter 10 v.H. des Teilwertes des hergestellten neuartigen Wirtschaftsgutes nicht überschrei­tet. Wieder verwendete neuwertige Bauteile, die dem Standard neuer Bauteile entsprechen oder verschleißfrei sind, und nach Fertigstellung des Wirtschaftsgutes nicht von neuen Bauteilen unterschieden werden können, sind jedoch als neuwertig zu be­handeln und nicht in die 10 v.H.-Regelung einzubeziehen.
Bei Verwendung gebrauchter Teile von mehr als 10 v.H. des ge­samten Wertes wird nach der Rechtsprechung des BFH nur dann ein neues Wirtschaftsgut im Sinne des Investitionszulagenrechts hergestellt, wenn der Anspruchsberechtigte unter Verwirklichung einer neuen Idee ein andersartiges Wirtschaftsgut schafft.
Maßgebend für die Annahme eines neuen, andersartigen Wirt­schaftsgutes ist die Verkehrsanschauung. Dabei kommt dem Ver­hältnis der Herstellungskosten insgesamt zu den Kosten oder dem Teilwert der gebrauchten Teile eine besondere Bedeutung zu. Eine vom Anspruchsberechtigten unter Verwendung gebrauchter Teile hergestellte Anlage muss "modernen" Anforderungen ent­sprechen und geeignet sein, die Wettbewerbsfähigkeit des Be­triebs zu stärken (BFH-Urteil vom 12. Juni 1975 VIII R 38/73, BFHE 116, 573, BStBl II 1976, 96). Dies kann der Fall sein, wenn ein System nach betriebsinternen Vorstellungen entwickelt und ausgeführt worden ist (BFH-Urteil vom 28. September 1990 III R 77/89, BFHE 164, 156, BStBl II 1991, 361).
Eine neue Erfindung im Sinne des Patentgesetzes ist nicht er­forderlich (so schon FG Nürnberg, Urteil vom 28. September 1983 V 174/78, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 1984, 251). Entgegen der Auffassung des FG muss es sich auch nicht um die Verwirklichung einer "weltweit neuen Idee" handeln. Vielmehr genügt es, dass der Anspruchsberechtigte auf der Grundlage ei­nes bereits bekannten technischen Verfahrens eine Anlage für die Zwecke seines Betriebs entwickelt und errichtet, die moder­nen technischen Anforderungen entspricht.
2. Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin mit der Kompostie­rungsanlage ein neues Wirtschaftsgut im Sinne des Investitions­zulagenrechts hergestellt.
a) Sie hat nicht ‑‑wie das FG annimmt‑‑ eine gebraucht erwor­bene Anlage, die von der Agrargenossenschaft zur Herstellung von Champignonsubstrat vorgesehen war, zur Herstellung von Kom­post "umfunktioniert", sondern sie hat unter Verwendung von Bauteilen der ehemaligen Anlage ein hiervon zu unterscheidendes andersartiges Wirtschaftsgut, nämlich eine Kompostierungsanlage zur Verwertung von Bioabfällen geschaffen.
Für die Herstellung eines andersartigen Wirtschaftguts spricht schon das Verhältnis der Kosten für die gebrauchten Bauteile in Höhe von 400 000 DM zu den Gesamtkosten der Kompostierungsan­lage von 1 012 146,83 DM. Beide Anlagen basieren zwar auf dem­selben technischen Prinzip (Erhitzung von Stoffen in den Tun­nelröhren). Die Tunnel sind aber nur ein Teil der neuen Anlage. Aus den hohen Gesamtkosten der Anlage wird erkennbar, dass die erworbenen Bauteile erst nach umfangreichen technischen Verän­derungen und Erweiterungen als Kompostierungsanlage nutzbar wa­ren. Die Röhren mussten mit einer neuen Beschickungs- und Ent­leerungstechnik sowie mit Biofiltern, über die Immissionen in die Umwelt abgeleitet wurden, ausgestattet werden. Zur Überwa­chung und Steuerung der Filter sowie der Prozesshitze war eine neue Computertechnik erforderlich; die Außenanlagen für die Nachrottung des Bioabfalls mussten neu konstruiert werden.
b) Die Kompostierungsanlage ist auch aufgrund einer "neuen Idee" entsprechend den Anforderungen des Betriebs für den vor­gesehenen Zweck (Kompostierung von Bioabfall) hergestellt wor­den.
Die Möglichkeiten, Bioabfall durch Umwandlung in Kompost zu verwerten, waren zwar in den Jahren 1995/1996 bereits bekannt und wurden von der deutschen Abfallwirtschaft bereits genutzt. Insgesamt befand sich die Bioabfallkompostierung aber noch in der Entwicklung, was schon daraus erkennbar wird, dass erst in den Jahren 1995/1996 zur Prüfung der hygienischen Unbedenklich­keit des Kompostierungsverfahrens das Hygiene-Baumusterprüfsys­tem entwickelt wurde (vgl. Hygiene-Baumusterprüfsystem, Kompos­tierungsanlagen, Vergärungsanlagen, 3. Aufl. 2003, Bundesgüte­gemeinschaft Kompost e.V., Von‑der‑Wettern‑Straße 25, 51149 Köln, S. 2; Internet: http://www.bgkev.de/download/ hbps.pdf). Gesetzlich wurden die Anforderungen bei der Verwer­tung von Bioabfällen erst im Jahr 1998 durch die Bioabfallver­ordnung vom 21. September 1998 (BGBl I 1998, 2955) geregelt.
Es gab in den Jahren 1995/1996 kein einheitliches Verfahren zur Kompostierung von Bioabfällen, sondern es wurden unterschiedli­che technische Verfahren erprobt und weiterentwickelt. Das Hy­giene-Baumusterprüfsystem, das verschiedene Kompostierungs- und Vergärungsverfahren als Baumuster definiert und beschreibt und auf dieser Basis die hygienische Wirksamkeit der Verfahren si­cherstellen soll, umfasste im Jahr 2003 neun Baumuster (z.B. Boxen/Container, Brikollare, Tunnel/Zeilen, Trommel, Miete u.a.), die ihrerseits wieder unterteilt waren z.B. bei Tunneln in GICOM-Tunnel, Bioferm-Tunnel, Geotec-Tunnel u.a. (vgl. Hy­giene-Baumusterprüfsystem, a.a.O., sowie die von der Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegte Baumusterliste der Bundesgütegemeinschaft aus dem Jahr 2000). Das Baumustersystem wurde und wird laufend angepasst.
Die Klägerin, die nach ihren Angaben bereits 1992 mit der Mie­tenkompostierung begonnen hatte, suchte nach einem den Kompos­tierungsprozess beschleunigenden System. Es waren in den Streitjahren unterschiedliche technische Verfahren bekannt, die auch außerhalb des Bundeslandes, in dem die Klägerin ansässig war, schon erprobt wurden. Hierfür kam unter anderem das in den alten Bundesländern und im europäischen Ausland bereits verwen­dete Tunnelverfahren in Betracht.
Die "neue Idee" bei der Herstellung der Kompostierungsanlage ist im Streitfall darin zu sehen, dass die Klägerin bei der Prüfung der unterschiedlichen in Betracht kommenden Verfahren die Möglichkeit erkannt hat, die GICOM-Tunnel der Agrargenos­senschaft, die sich für die Herstellung von Champignonsubstrat als unbrauchbar erwiesen hatten, als Grundlage für eine Kompos­tierungsanlage nach dem Tunnelverfahren zu verwenden, und ‑‑zu einer Zeit, in der die Technik der Verwertung von Bioabfällen noch nicht ausgereift war und Kompostierungsanlagen überall erst errichtet wurden‑‑ eine den Erfordernissen ihres Betriebs entsprechende Anlage entwickelt hat, welche die Kriterien des Hygiene-Baumusterprüfsystems und auch der erst 1998 in Kraft getretenen Bioabfallverordnung erfüllt hat. Die Anlage ent­sprach modernen Anforderungen und förderte die Wettbewerbsfä­higkeit der Klägerin, so dass die Gewährung einer Investitions­zulage auch mit den Zwecken des InvZulG übereinstimmt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 116, 573, BStBl II 1976, 96).
3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruch­reif. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung und Änderung des Investitionszulagenbescheids 1996 wird die Investitionszu­lage dem Antrag der Klägerin entsprechend auf 31 038 € festge­setzt.

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