SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen - Manuskriptdienst
“Wir sind Elite -
Deutschlands Hochschulen auf der Jagd nach dem Titel”
Autorin und Sprecherin: Anja Braun
Redaktion: Sonja Striegl
Sendung: Mittwoch, 17. Oktober 2007, 8.30 Uhr, SWR2
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O-Ton 1 - Wolfgang Jäger und Nadja Brachmann:
Jäger: Die Exzellenzinitiative hat ja weit mehr bewirkt, wahrscheinlich auch als die Initiatoren sich erträumt haben. Sie hat eine Eigendynamik in Gang gesetzt. Der Begriff Eliteuniversität kommt ja gar nicht vor im Rahmen der Exzellenzinitiative. Das ist sozusagen ein Medienprodukt. Die Medien vor allem haben dafür gesorgt, dass die Exzellenzinitiative den Gewinnern einen unglaublichen Prestigevorteil einräumt.
Brachmann: Sie brüsten sich oben, aber mehr kriegt man nicht mit. Wir sind gut, wir sind toll, wir sind besser als die anderen - aber mehr kommt da meines Erachtens auch nicht rüber.
Autorin:
„Wir sind Elite: Deutschlands Hochschulen auf der Jagd nach dem Titel“. Eine Sendung von Anja Braun.
ATMO: Beginnt mit Sektkorkenknallen, Sekt läuft in Gläser - Gläser klingeln.
Autorin:
Am Freitag ist es wieder soweit. An einigen Hochschulen werden die Korken knallen, denn ein warmer Geldregen belohnt diejenigen, die sich in der zweiten Runde des Exzellenzwettbewerbes durchsetzen. Und das Schaulaufen lohnt sich: fast zwei Milliarden Euro stehen bis 2011 für die Sieger bereit. Das Ziel des Bundeswettbewerbs beschreibt der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Professor Peter Strohschneider:
O-Ton 2 - Peter Strohschneider:
Die Exzellenzinitiative ist ein Instrument der Steuerung von Wissenschaft, wie es bisher in der Bundesrepublik nicht existiert hat, durch ein wettbewerbliches Verfahren.
Autorin:
Bewerben konnten sich die Hochschulen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und beim Wissenschaftsrat. Dabei geht es um drei verschiedene „Säulen“ wie es die Forschungsförderer salopp nennen: Graduiertenschulen zur Förderung des Nachwuchses; „Exzellenzcluster“ - zu deutsch - Spitzenforschungszentren; und schließlich die Königsdisziplin „Zukunftskonzepte“, mit denen eine Hochschule ihren Weg an die internationale Spitze beschreibt. Nach der ersten Runde, bei der vor einem Jahr drei Siegeruniversitäten ausgezeichnet wurden, haben es diesmal nur ganze Acht mit ihren Projektentwürfen ins Finale um den Exzellenz-Jackpot geschafft. Es sind Freiburg, Heidelberg, Konstanz, Bochum, Göttingen, die RWTH Aachen und die Humboldt Universität wie auch die Freie Universität Berlin. Alle Finalisten haben Zukunftskonzepte ins Rennen geschickt, die ihre Top-Wissenschaftler für die Forschung von allen anderen universitären Verpflichtungen freistellen sollen. So setzt auch der Rektor der Freiburger Universität, Professor Wolfgang Jäger, auf den Erfolg der „windows for research“:
O-Ton 3 - Wolfgang Jäger:
„Windows for research“ heißt, wir schaffen Freiräume für die Forschung unserer exzellenten Wissenschaftler. Wir haben vier Sektionen ausgewählt, in denen wir meinen, dass wir ganz besondere Exzellenz hätten. Das sind zwei geisteswissenschaftliche Felder und zwei naturwissenschaftliche Felder. Und in diesen Bereichen wollen wir den Wissenschaftlern die Gelegenheit geben, für einige Zeit aus ihrer administrativen Tätigkeit und auch aus einer übermäßigen Mehrbelastung auszuscheiden und sich nur der Forschung zu widmen. Das aber nicht nur dann eben unter sich, sondern auch mit der Gelegenheit vor Ort sich mit renommierten internationalen Wissenschaftlern austauschen zu können. Im Sinne unseres Konzeptes der neuen universitas.
Autorin:
Schon in der ersten Runde des Wettbewerbes, der vor knapp anderthalb Jahren begann, hatte das Freiburger Konzept bei den Juroren Wohlgefallen gefunden, war aber in der Endwertung doch durchgefallen. Rektor Jäger versichert schmunzelnd, im vergangenen Jahr habe man eben noch geübt. Die Freiburger Bewerber drücken nun die Daumen, dass sie nicht von der größten Konkurrentin im Exzellenz-Streit, der Ruperta Carola in Heidelberg, ausgestochen werden.
O-Ton 4 - Wolfgang Jäger:
Heidelberg fällt uns sicherlich immer als erstes ein, wenn wir an unsere Konkurrenten denken, aber ich unterschätze auch Konstanz nicht. Konstanz ist eine kleinere Universität, sie ist exzellent in vielen Disziplinen. Jetzt im Rahmen dieser Exzellenzinitiative sind wir drei ja in unmittelbarer Konkurrenz. Und wir haben natürlich alle Sorgen, dass es schwierig sein könnte, so viele Unis aus Baden-Württemberg auf dem Siegerpodest zu sehen.
Autorin:
Einer, den diese Sorge wenig drückt ist Benjamin Greschbach. Der Psychologie- und Informatikstudent engagiert sich im Unabhängigen Studierendenausschuss, kurz USTA der Universität Freiburg. Die Studierendenvertretung logiert in einem ziemlich heruntergekommenen Gebäude. Eine mit grauweißem abgetretenen Linoleum belegte Treppe führt in den ersten Stock. In einem schmalen Zimmer, vor dem Fenster rauschen LKWs vorbei, beantwortet Greschbach gerade an zwei Rechnern Anfragen von Studierenden. Er betrachtet die Bewerbung der Universität Freiburg als Eliteuniversität mit gemischten Gefühlen:
O-Ton 5 - Benjamin Greschbach:
Man kann als einen positiven Aspekt sehen, dass mehr Geld in den Bildungsbereich gesteckt wird, aber gerade aus Studierendensicht Bedenken äußern. Die Lehre ist in diesem ganzen Wettbewerb nicht abgedeckt. Es geht um die Forschung der Hochschulen und in einem System das seit Jahren unterfinanziert ist, kann man sich ausrechnen zu wessen Lasten das geht und ob eine Ausdifferenzierung der Hochschul-Landschaft überhaupt sinnvoll ist und nicht die Probleme noch verstärkt, die wir sowieso schon haben.
Autorin:
Greschbach fürchtet, dass der mögliche Titelgewinn seiner Universität dazu führt, ihre ehrgeizigen Pläne vorbei an den Studierenden - ihrer eigentlichen Kundschaft - zu schmieden:
O-Ton 6 - Benjamin Greschbach:
Und das wird zu Lasten der sowieso schon schlechten Zustände führen und zu einer weiteren Ausdifferenzierung zwischen den einzelnen Fachbereichen. Also wir haben einige Fakultäten die sehr gut dastehen, einige die sehr schlecht da stehen. Ja da gibt es die Befürchtung, dass sich diese Ungleichheit weiter verschärft.
Autorin:
Der Freiburger Rektor Jäger verteidigt den Versuch aufs Siegertreppchen zu kommen. Es sei schlicht notwendig die Exzellenz der Universität im Forschungsbereich stärker heraus zu arbeiten. Jäger gibt den Studierenden jedoch recht, dass es auch ein Programm zur Verbesserung der Lehre brauche, denn:
O-Ton 7 - Wolfgang Jäger:
Wir wissen gerade aus der Erfahrung der amerikanischen Spitzenuniversitäten, dass das eigentliche Kriterium für den Elitenstatus einer Universität die Attraktivität der Universität für die Studierenden ist. Letztlich müssen wir den Weg in diese Richtung noch gehen.
Autorin:
Vor einem Jahr wurden die ersten Gewinner des Exzellenz-Wettbewerbs gekürt. Es waren die Technische Universität Karlsruhe, die Technische Universität München und die Ludwig-Maximilians Universität München. Karlsruhe wurde für das ehrgeizige Vorhaben der Verschmelzung von Universität und ehemaligem Kernforschungszentrum - zu einer Mega-Technik-Institution ausgezeichnet. Mitten in dem großen Rektoratszimmer im zweiten Stock der Universität steht ein über zwei Meter langer Schreibtisch. Dort laufen die Fäden zusammen, die Professor Horst Hippler, der Präsident der TU Karlsruhe, schon früh ausgelegt hatte. Das Zukunftskonzept des KIT - des Karlsruher Instituts für Technologie ergab sich aus den gemeinsamen Stärken von Technischer Universität und Forschungszentrum Karlsruhe.
O-Ton 8 - Horst Hippler:
Da geht es um alle Bereiche der Energie, angefangen von der Kernfusion, welches ein langfristiges Zukunftsthema ist. Auch bis zur heutigen kurzfristigen Verbesserung von Verbrennungsprozessen. In den Bereichen Nano- und Mikrowissenschaften ist Karlsruhe - glaube ich - schon seit vielen Jahren eine gute Adresse. Auch dort werden wir sicherlich ein Zeichen setzen. Genauso in Klima- und Umweltforschung, wo wir gerade bei der lokalen Klimaforschung hier in Karlsruhe sicherlich eine führende Position auch in der Welt haben. Das vierte geht in den Bereich Kommunikation und IT-Bereich.
Autorin:
Die bereits ausgezeichneten drei Elite-Universitäten haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihre Zukunftskonzepte zu realisieren. Dafür haben sie nur fünf Jahre Zeit. Wer hier auf der Strecke bleibt oder zu langsam ist, hat keine Chance auf eine Anschlussfinanzierung. Doch das Preisgeld ist drei Uni-Kapitänen in die Hände gefallen, die ihre Universitäten bereits auf Reformkurs gebracht hatten. So eifern die beiden technischen Universitäten mit ihren Erfolgskonzepten großen Vorbildern nach: Die TU München orientiert sich mit dem „Institute for advanced studies“ an der hervorragenden amerikanischen Universität Princeton. Und das künftige KIT in Karlsruhe soll nicht nur dem Namen nach an das weltberühmte Massachusetts Institute of Technology - MIT - erinnern. Der Karlsruher Rektor Hippler ist zuversichtlich, obwohl ihm die Politik bisher für die Fusion der Universität mit dem bundeseigenen Forschungszentrum kein endgültiges OK gegeben hat.
O-Ton 9 - Horst Hippler:
Wir sind jetzt dabei das Geld auszugeben, für die unterschiedlichen Projekte, die wir angekündigt hatten. Wir sind dabei 11 neue Professoren zu berufen, um das Kompetenzportfolio im KIT zu stärken. Wir haben Geld verteilt, insbesondere auch an Nachwuchswissenschaftler. Deshalb sind wir guten Mutes, dass wir das, was wir uns vorgenommen haben, auch umsetzen können.
Autorin:
Das Karlsruher Zukunftskonzept sieht bisher als einziges auch eine Verbesserung der Lehrsituation vor. Die war vor dem Titelgewinn nicht so rosig, denn auch hier buhlten rund 18.000 Studierende um die Aufmerksamkeit von gerade mal 280 Professoren. Das ergibt einen Betreuungsschlüssel von 1:64. Im Konzept vorgesehen ist nun, dass die Professoren des Forschungszentrums Karlsruhe künftig auch Studierende der Universität unterrichten.
O-Ton 10 - Horst Hippler:
Unsere Idee ist, dass wir im Rahmen des KIT exzellent ausgewiesene Wissenschaftler des Forschungszentrums überzeugen, dass sie Lehre machen und das klappt wohl. Wichtig ist, dass wir jetzt nicht mehr aufnehmen. Dann können wir bei gleicher Aufnahmekapazität ein besseres Betreuungsverhältnis bieten, indem Mitarbeiter des Forschungszentrums sich in der Lehre engagieren.
ATMO: Mensa-Geräusche
Autorin:
Geht man in Karlsruhe durch den Haupteingang der Mensa, die einen Großteil der 18.000 Studierenden verpflegt, kommt man nach einigen Metern an einen Glasverschlag mit einer Tür, die in den rückwärtigen Teil des Gebäudes führt. In diesen Räumen hat der Asta - die studentische Vertretung - ihren Sitz. In einem Zimmer, das mit Büchern, Ordnern, einem Rechner auf einem alten Holzschreibtisch und einer durchgesessenen Sofagarnitur undefinierbarer Farbe ausgestattet ist, berät Astafrau Nadja Brachmann ratsuchende Studierende. Die Maschinenbaustudentin hat noch nichts davon gemerkt, dass ihre Alma mater Elite ist:
O-Ton 11 - Nadja Brachmann:
Sie brüsten sich oben, aber mehr kriegt man nicht mit. Wir sind gut, wir sind toll, wir sind besser als die anderen - aber mehr kommt da meines Erachtens auch nicht rüber.
Autorin:
Rektor Hippler verweist darauf, dass die Zahl der Studienbewerber an der Universität Karlsruhe um 30 Prozent gestiegen ist, das bedeute, dass die Uni für die Studierenden attraktiver geworden sei. Das Argument ihres Rektors, der Marktwert der Studierenden steige automatisch, wenn man in der Bewerbung angebe, Absolvent der Eliteuniversität Karlsruhe zu sein, zählt für Nadja Brachmann nicht.
O-Ton 12 - Nadja Brachmann:
Ehrlich gesagt, ich finde das lachhaft. Denn die Bildung ist ja nicht Elite, sondern nur die Forschung. Ich persönlich habe keinen Vorteil davon, sondern eher Nachteile. Trotz Elitenförderung haben wir mehr noch überfüllte Hörsäle. Also es bringt uns nichts.
Autorin:
Geradezu sauer ist ihr Kommilitone Michael Fischer, er ist für die Hochschulpolitik des Asta zuständig und studiert Geschichte im siebten Semester. Seinen Fachbereich sieht der Student nach dem Sieg des neuen Zukunftskonzeptes vor dem Aus.
O-Ton 13 - Michael Fischer:
Ich glaube, dass wir hier einer der letzten Jahrgänge sein werden, die hier noch effektiv was lernen. Was nicht sich nur darin bewegt, wie ich möglichst schnell einen Job krieg - ich würde jedem der hier Geisteswissenschaften studieren will, davon abraten. Meine Konsequenz ist möglichst schnell meinen Abschluss machen und dann schnell weg. Ich sehe da auch keine Zukunft innerhalb dieses Konzeptes, dass eine technische Uni auf dem globalen Bildungsmarkt positionieren will. Da haben Geisteswissenschaften auch keinen Marktwert, das muss man ganz klar sehen, und somit keine Perspektive.
Autorin:
Unirektor Horst Hippler räumt ein. Durch den Elitetitel sei vor allem der Marktwert der Studierenden in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachbereichen gestiegen.
O-Ton 14 - Horst Hippler:
Wenn Sie die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften fragen, die wissen das sofort und sagen unser Marktwert ist um den Faktor 2 gestiegen. Unsere Chancen sind sehr viel größer geworden. Die Ingenieure sehen das auch so. Bei den Geisteswissenschaften ist das sehr viel schwieriger festzustellen, ob der Marktwert gestiegen ist. Das Umfeld in Karlsruhe ist ganz anders als zum Beispiel in Heidelberg, es gibt keine klassische Geschichte oder keine wirklich klassische Soziologie, es ist alles relativ klein. Und unsere Geistes- und Sozialwissenschaftler müssen sich ins Umfeld einbringen und eine eigene Spur finden.
Autorin:
Der Soziologe und Elitenforscher, Professor Michael Hartmann von der Technischen Universität Darmstadt, befürchtet, dass nicht nur einige wenige Fachbereiche ausgeblutet werden, sondern die Elitehochschulen versuchen werden, nur noch ganz bestimmte Studienanfänger aufzunehmen:
O-Ton 15 - Michael Hartmann:
Ich vermute, dass unsere Elitehochschulen anfangen (...) die Zahl der Studierenden zu reduzieren. Entsprechende Äußerungen aus HD und aus Göttingen gibt es schon. Z. B. Auswahlverfahren und Differenzierung der Studiengebühren. Und wenn man die Diskussion kennt, weiß man, dass an allen Unis, die zum Siegerkreis gehören, über deutlich höhere Studiengebühren nachgedacht wird, als sie zur Zeit genommen werden.
Autorin:
Bereits heute hat beispielsweise die TU München in allen Fächern einen lokalen Numerus Clausus. Deren Präsident, Professor Wolfgang Herrmann, versichert, dass man so die Auswahl der Studienanfänger ganz gut steuern könne. Seine Vision einer unternehmerischen Hochschule umfasst jedoch noch mehr. So hatte die technische Universität München, die seit Oktober letzten Jahres offiziell Elite ist, bereits ihre Bewerbung mit einer ganzen Reihe von Förderzusagen der Industrie gespickt. Diverse Großunternehmen hatten zugesichert, im Falle eines Sieges, einen ordentlichen Batzen Geld auf die 20 Millionen Euro vom Bund drauf zu legen. Hier setzt die grundsätzliche Kritik des Soziologen und Elitenforschers, Professor Michael Hartmann an. Hartmann stellt fest, dass die Exzellenzinitiative gar keinen wirklichen Wettbewerb ausgelöst habe, denn:
O-Ton 16 - Michael Hartmann:
Wenn man sich die Strukturen des Wettbewerbs anguckt, dann muss man sagen, der war im Kern dadurch gekennzeichnet, dass die Mittel dorthin gekommen sind, wo man bisher schon relativ viele Mittel hatte. Also nach dem Sprichwort, der Teufel scheißt auf den größten Haufen oder das berühmte Matthäus-Prinzip. Die Universitäten, die gewonnen haben, waren vorher schon bekannt, sie waren vorher schon bei DFG-Mitteln und anderen Mitteln schon relativ weit vorne, was jetzt nicht heißt, dass sie alle so besonders gut waren. Da gibt es Mechanismen, die dafür sorgen auch unabhängig von der Leistung. Während Hochschulen, die am Rande lagen zum Beispiel, die Neugründungen z. B. der siebziger Jahre in NRW, die Gesamthochschulen wie Wuppertal oder Duisburg-Essen oder gar Unis im Osten wie Cottbus oder Greifswald - da war für jeden Kenner der Lage klar, dass diese Universitäten von ihrer finanziellen Ausstattung keine Chancen haben würden. Und sie haben auch keine gehabt.
Autorin:
Die TU München dagegen erhielt nach dem Titelgewinn beispielsweise von BMW weitere 20 Millionen für ein High-Tech-Labor. Und das Telekommunikationsunternehmen Vodafone hatte allen Sieger-Universitäten zugesagt, fünf Jahre lang für alle ihre Telekommunikationskosten aufzukommen. Der Präsident der TU München, Herrmann, bestätigt, dass seine Universität seit dem Zuschlag des Exzellenz-Prädikates ganz anders wahrgenommen wird:
O-Ton 17 - Wolfgang Herrmann:
Dieser Titel wirkt natürlich in die Öffentlichkeit hinein. In die Politik, aber vor allem auch in die Wirtschaft. Aber er wirkt natürlich auch auf andere Unis. Ich habe noch nie so viele Bleibeverhandlungen mit Professoren der TU München führen müssen. Weil man versuchte, uns diese Professoren abspenstig zu machen - auch nach Amerika. Also der Titel wirkt, wenn sie so wollen, das ist wohl die richtige Formulierung - in jeder Beziehung.
Autorin:
Dennoch ist der Präsident der TU München, Herrmann, überzeugt, dass die Idee eines „Institute for advanced studies“ auch ohne den Schub durch die Exzellenzinitiative verwirklicht worden wäre, nur:
O-Ton 18 - Wolfgang Herrmann:
Sehr viel langsamer. Aber wir leben im nationalen und vor allem im internationalen Wettbewerb und da geht es nicht nur um die Fortschritte, sondern auch um die Zeit, die dafür benötigt wird. Und deshalb war die Exzellenzinitiative ein ganz entscheidender Punkt, der allen klarmacht, es geht um Wettbewerb, es geht um wettbewerbliche Differenzierung unseres Hochschulsystems. Und hier ist mit einer ganzen Menge Geld die Möglichkeit geschaffen worden, dass wir eben in diesem Wettbewerb schneller jetzt vorankommen und schneller an die Stanfords und MITs dieser Welt herankommen.
Autorin:
Der in der Hochschulszene als äußerst experimentierfreudig und provokant geltende TU-Präsident Herrmann begrüßt, dass die Bundespolitik aus dem Wettbewerb weitere Lehren zieht.
O-Ton 19 - Wolfgang Herrmann:
Außerdem lernt der Staat ungleiches auch wirklich ungleich zu behandeln. Das konnte er doch über Jahrzehnte nicht. Im Gefolge der 68er Studentenunruhen war doch eigentlich das Mittelmaß das erklärte Maß der Dinge. Das hat sich geändert. Und der Elitewettbewerb hat gesellschaftspolitisch die Erkenntnis gebracht, dass es der Wettbewerb der einzelnen Institutionen ist, der uns international vor allem weiterbringen wird.
Autorin:
Dagegen hält Elitenforscher Hartmann, der selbst an der Technischen Universität Darmstadt lehrt:
O-Ton 20 - Michael Hartmann:
Man hat mit dem Titel Elite symbolisch eine Wirkung erzielt, die das deutsche Hochschulsystem insgesamt von Grund auf umkrempelt. Man hat eine Differenzierung, die man bisher nicht hatte. Bisher hieß es - und das war meines Erachtens auch berechtigt, die deutschen Unis bewegen sich alle in einem Bereich, wo man sagen kann, die Unterschiede sind vorhanden, aber nicht gravierend und sie sind eben nicht zwischen den Unis angesiedelt, sondern zwischen den einzelnen Wissenschaftlern.
Autorin:
Die Juroren des Exzellenz-Wettbewerbs fanden bislang wissenschaftliche Elite nur im Süden der Republik. Die Empörung nach der Bekanntgabe der ersten drei Gewinner im Oktober vergangenen Jahres war groß und kam aus allen leer ausgegangenen Bundesländern. Ungerechte Benachteiligung des Nordens, schimpfte beispielsweise Schleswig-Holstein. Typische „Wessi-Arroganz“ motzten die ostdeutschen Universitäten. Elitenforscher Hartmann prognostiziert, dass auch in der zweiten Runde des Wettbewerbs, die am Freitag entschieden wird, die vermeintliche Exzellenz nicht breiter aufgestellt sein wird:
O-Ton 21 - Michael Hartmann:
Die ostdeutschen Unis sind ganz eindeutig die Verlierer. Aber auch die Norddeutschen Unis sehen relativ schlecht aus. Ballung im Süden - relativ wüstenartiges Gebilde im Norden - Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und im Osten ist es schlicht die Bundeshauptstadt Berlin, die vermutlich den Zuschlag bekommen wird für eine Eliteuni und für das eine oder andere Exzellenzcluster und Graduiertenschule.
Autorin:
Bildungsforscher Yorck Hener vom Centrum für Hochschulentwicklung in Bielefeld macht ein strukturelles Manko der ostdeutschen Universitäten dafür verantwortlich, dass sie es nicht in die Endrunde der Exzellenzinitiative geschafft haben:
O-Ton 22 - Yorck Hener:
Ich denke, dass die ostdeutschen Hochschulen schon einen gewissen Nachteil haben, man muss sagen, dass sie nach der Auflösung der DDR sich erst mal auf ein exzellentes Niveau hocharbeiten mussten. Das ist schon mal ein struktureller Nachteil. Dabei haben einige Universitäten enorm zugelegt, wenn sie die 90er Jahre vergleichen mit heute, dann stehen diese Unis wirklich besser da.
Autorin:
Das nutzt den Verlierern des Exzellenzwettbewerb leider wenig. Hätten nicht gerade die ostdeutschen Universitäten eine Art Kuschelzone im großen Wettbewerb gebraucht? Bildungsforscher Hener widerspricht:
O-Ton 23 - Yorck Hener:
Nein auf keinen Fall, sonst müsste man ja auch für die norddeutschen Unis eine Schonzone einrichten - es gibt eben auch in Westdeutschland ein erhebliches Gefälle in der Qualität, in der Forschung der Universitäten. Das ist gar kein so ein großer Unterschied zu dem was wir im Osten haben. Wir haben auch in Westdeutschland Universitäten, die in der Forschung gar keine Chance haben sich im Exzellenzwettbewerb zu bewerben.
Autorin:
So unterstützt die Exzellenzinitiative nicht nur die Konstruktion von Leuchttürmen der Wissenschaft, sondern beschleunigt auch den Abstieg derjenigen Hochschulen, die nicht zu den Auserwählten gehören, warnte vor kurzem die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der Kommentator kritisierte, dass unter Studenten wie Professoren nur die Angepassten erfolgreich seien, nicht jedoch die - skurrilen - Individualisten mit kreativer Energie. Denn diese genügten im Zweifel nicht den Vorgaben für leistungsgerechte Bezahlung und Evaluation. Dieser Prozess ließe sich nur aufhalten, wenn Professoren den Mut besitzen würden, sich bestimmten Entwicklungen zu widersetzen, selbst wenn sie dabei einige Schrammen an der eigenen Karriere in Kauf nehmen müssten. Denn es werde sich herumsprechen, wo für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung gekämpft wird. - Das kann als edle Aufforderung zum Widerstand gelesen werden. Elitenforscher Hartmann warnt ebenfalls davor, eine Abwärtsspirale auf Seiten der Verlierer in Gang zu setzen:
O-Ton 24 - Michael Hartmann:
Was man auf der anderen Seite feststellen kann, ist die Desillusionierung vieler Professorinnen und Professoren an den Universitäten, die überhaupt nichts gewonnen haben. Die sehr viel Arbeit in Projektanträge gesteckt haben, die von vorneherein chancenlos waren, wenn man sich das ganze nüchtern anschaut und die jetzt feststellen, sie haben im Grunde für den Papierkorb gearbeitet und sie haben überhaupt keine Aussichten jemals irgendwo etwas zu gewinnen.
Autorin:
Ziel der Exzellenzinitiative sei tatsächlich die Förderung bereits vorhandener Exzellenz, hält der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Professor Peter Strohschneider, dagegen:
O-Ton 25 - Peter Strohschneider:
Die Existenzinitiative ist nicht ein Instrument zur Behebung aller Probleme im deutschen Wissenschaftssystems und es wird sicherlich auch unerwünschte Effekte haben - über diese Lateralschäden muss man ernsthaft diskutieren.
Autorin:
Elitenforscher Hartmann warnt außerdem vor dem neidischen Blick deutscher Universitäten auf das amerikanische Hochschulsystem. Dabei würden die strukturellen Unterschiede unterschätzt. Wollten deutsche Hochschulen dem amerikanischen Beispiel mit wenigen Spitzenuniversitäten und einer immer größer werdenden Masse von Restuniversitäten nacheifern, müssten sie bereit sein, einen hohen Preis zu bezahlen:
O-Ton 26 - Michael Hartmann:
Dieser Preis besteht darin, dass an vielen Universitäten, an denen heute noch geforscht wird, die Forschung ein Nischendasein nur noch führen wird. Das werden Ausbildungshochschulen werden und das ist eine sehr problematische Entwicklung. Und diese Entwicklung könnte man, wenn man denn wollte auch in den USA erkennen, diese Elitehochschulen der USA stehen nur deswegen so gut da, weil sie in der Lage sind weltweit Wissenschaftler mit ihren Spitzenetats einzukaufen.
Autorin:
Von diesen Spitzenetats sind bundesdeutsche staatliche Hochschulen aber noch weit entfernt. Deswegen zieht Professor Michael Hartmann das Fazit:
O-Ton 27 - Michael Hartmann:
Meines Erachtens wird man in 10-15 Jahren feststellen, dass das was das Ziel der ganzen Initiative sein sollte, nämlich die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftsstandortes Deutschland zu stärken, dass man dieses Ziel nicht erreicht. Man wird einzelne Universitäten haben, die deutlich besser sind als bisher - vor allem die Siegeruniversitäten. Man wird die Spaltung haben in zwanzig Forschungsuniversitäten, das sind die, die zumindest ein Exzellenzcluster kriegen. Und man wird dreiviertel der bisherigen Hochschulen auf der Verliererseite haben. Und meines Erachtens wird der Verlust an jenen über 70 Universitäten, die nichts bekommen. Die dementsprechend in eine Abwärtsspirale gelangen, größer sein in der Summe als der Gewinn, den man an den Universitäten erzielt, die dann besser da stehen.
Autorin:
Das sieht der Vorsitzende des Wissenschaftsrates und Juror in der Exzellenzinitiative, Strohschneider, anders: Der Germanist an der Ludwig-Maximilians-Universität München glaubt, dass die Differenzierung des Hochschulsystems unvermeidlich ist, denn:
O-Ton 28 - Peter Strohschneider:
Wir haben nicht mehr ein Wissenschaftssystem, das 5 % eines Altersjahrgangs für akademische Berufe ausbildet, sondern wir haben ein Wissenschaftssystem, dass 30, 40 % ja vielleicht noch mehr eines Altersjahrganges ausbilden muss und das kann nicht mehr in der Weise institutionell einem Einheitsmodell folgen, wie es die Humboldt-Universität vorgegeben hat. Insofern sind Differenzierungsprozesse für den Systemerfolg unumgänglich. Und die Exzellenzinitiative ist ein Instrument solche Differenzierungsprozesse zu intensivieren oder zu beschleunigen.
Autorin:
Trotz Elite-Hungers schlägt jedoch auch der Rektor der Freiburger Universität, Jäger, nachdenkliche Töne an und warnt:
O-Ton 29 - Wolfgang Jäger:
Ich darf hinzufügen, das ich als Rektor auf keinen Fall möchte, dass wir insofern amerikanische Verhältnisse bekommen, als an der Spitze eine Reihe von Eliteunis stehen und dass dann die große Masse an Universitäten von minderer Qualität ist. Die deutsche Situation, das wird häufig nicht gesehen oder geschätzt, kennt eine Fülle von Universitäten, die gut sind. Und darauf kann man dann die Eliteuniversitäten aufbauen, aber die guten Universitäten brauchen nach wie vor ihre Ressourcen. Und alle Universitäten in Deutschland sind unterfinanziert, das muss man sehen. Es gilt alle Unis besser auszustatten. Die Differenzierung darf nicht zu einem Abfall führen.
Autorin:
Zunächst aber geht der Geldregen am kommenden Freitag auf die Häupter von weiteren Elite-Universitäten nieder. Noch ist nicht klar wie viele Sieger ausgezeichnet werden. Und man darf gespannt sein, welche Zukunftskonzepte diesmal das Rennen machen. Denn egal wer die 20 Millionen Euro im Jahr gewinnt - jede Universität in Deutschland kann sie brauchen.
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