• Kapitel 1 1897 – 1909
  • Thomas A. Bauer, Marko Ivanisin, Bernd Mikuszeit (Hrsg.) Evaluierung von Bildungsmedien und Multimedia Kriterien und Weiterbildungsangebote Internetpublikation zum Projekt




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    Griechenland am Wendepunkt

    Einleitung

    Prolegomena des 20. Jahrhunderts. Die verpasste Industrialisierung und der klientelistische Kern eines „von oben“ errichteten Parlamentarismus
    [Dem Charakter nach hat diese Einleitung den Stellenwert von „Prolegomena“, die dem Leser die nötigen Informationen und das nötige Wissen über die Grundprobleme des 19. Jahrhunderts vermitteln soll, damit die Vorgeschichte des 20. Jahrhunderts als Basis für das Verständnis der Entwicklungen nach 1900 dienen kann.]
    Politische, geographische (territoriale Veränderungen) und demographische Entwicklungen im 19. Jahrhundert. Irredentismus als die tragende Ideologie der Integration einer Gesellschaft, die trotz aufklärerischer Elemente sich als eine Schicksalsgemeinschaft verstehen will: die sogenannte „Megali idea“ – die „Große Idee“ zwischen der Wiederherstellung des byzantinischen Reiches und der territorialen Integration der Nation. Die Entstehung einer Nation und die Frage der nationalen Identität (Vom Einfluss der – deutschen – Altertumswissenschaften zu der Agonie der rassischen Reinheit und der historischen Kontinuität).

    Die Ortung der inneren Logik der „frühen“ Einführung des Parlamentarismus auf der Basis des allgemeinen (Männer)-Wahlrechts. (1844 Einführung des allgemeinen Wahlrechts, fast ohne nennenswerte Ausnahmen, 1864 wird das allgemeine Wahlrecht in der Verfassung verankert, 1875 wird das Vertrauen des Parlaments zur alleinigen Legitmitationsquelle der Regierung). Die rudimentäre soziale Stratifikation widerspricht der historischen Erfahrung der Einführung des Parlamentarismus und des „one man – one vote“ Prinzips.

    Der Schatten von 1789 und die Instrumentalisierung des allgemeinen Wahlrechts als Medium für die Kontrolle des Staates durch die lokalen Eliten. Das Erbe der ottomanischen intermediären Organisationsstrukturen der Herrschaft der „Hohen Pforte“ über die Untertanen. Orthodoxe Kirche und lokale Notabeln. Lokaler Einfluss, lokale Klientelnetzwerke und Kontrolle der Staatsgewalt im neuen Staat. Das Arrangement zwischen Monarchie und den lokal unterstützten Notabeln als ein krisenreiches und widersprüchliches Verhältnis. Klientelbeziehungen und Populismus. Demokratisierung „von oben“: Etatismus und demokratisches Prinzip als Legitimationsbasis von klientelischen Praktiken und netzwerkbegründeten Hierarchien. Zweckrationalität und irrationale Inhalte eines auf die Organisation der Machtausübung deduzierten und instrumentalisierten Konstitutionalismus (Bis 1975 in allen Verfassungen des griechischen Staates: 1843, 1864, 1911, 1927, 1952 stehen sogar die Grundrechte unter dem „Vorbehalt des Gesetzes“. D.h. der Wille der Legislative, als der jeweiligen parlamentarischen Mehrheit, ist maßgebend, sogar für den Schutz der Grundrechte). Dieses in den Verfassungen verankerte Primat der Legislative erscheint prima facie als die „reinste“ Form der in der Tradition der französischen revolutionären „Déclaration des Droits de l’homme et du citoyen“ stehende und konstitutionell verankerte Geltung der Volkssouveränität. Dadurch stehen aber die Grundrechte auf einer Stufe mit den Normen, die von der Legislative „erzeugt“ werden können, was übrigens auch nach 1975 (Verfassung von 1975, Verfassungsrevision von 1985 und vor allem von 2001) durchaus seine Geltung behält.

    Es entsteht eine politische Kultur, die keine richtungsweisenden und keine bindenden Regeln kennt. Der extrainstitutionelle Charakter des gesellschaftlichen Konsensus wird auf ad hoc Basis in den institutionellen Rahmen integriert, wodurch der praktischen Vernunft des Sozialvertrages widersprechende, also irrationale Elemente, den scheinrationalen Inhalt der Rechtsordnung bestimmen (Klientelvertrag versus Sozialvertrag) und prämoderne Elemente reproduzieren.



    Das bedeutet in der Praxis, dass alles dem Primat des demokratischen Prinzips unterliegt, das nur über die Klientelnetzwerke faktisch realisiert wird und dem latenten Populismus ausgeliefert ist. So ist dieser populistische Charakter der Rechtsordnung die Form, d.h. die rechtliche konstitutionelle Positivierung des über die Reproduktion der Klientelnetzwerke etablierten, sich perpetuierenden, selbstreferentiellen Machtgefüges, das sowohl die Machtposition der politischen Klasse garantiert, als auch die sozialen Hierarchien reproduziert, die, durch einen kontinuierlichen Ressourcenaustausch, diese Position ihrerseits bestätigen. D.h. das, was wie ein pactum societatis aussieht, ist in der Realität ein pactum subjectionis, eine quasi direkte Substitution der Volkssouveränität durch die Souveränität der politischen Klasse. Die Reproduktion dieses Verhältnisses reproduziert konsequenterweise soziale Bedingungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der fehlenden oder verpassten Industrialisierung stehen. (Die besonderen Charakteristiken dieses Systems werden nicht nur theoretisch, sondern auch durch den Vergleich mit anderen historischen Erfahrungen herauskristallisiert).
    Die Folgen: Auseinanderklaffen der Logik des Sozialvertrages, als Grundlage des überpositiven Wertkerns der Demokratie, und der Logik der Institutionalisierung von extra-institutionellen ad hoc klientelreproduzierenden Kompromissen als – labiles – Ordnungsprinzip, was zu einem latent defizitären Demokratisierungs-prozess führt. Asymmetrischer Verlauf der Entwicklung der Organisation der Machtausübung und der Etablierung und Geltung der Grundrechte und des bürgerlichen Rechtsstaates im Allgemeinen. Primat der (konstitutionell und rechtlich positivierten) Organisation der Machtausübung als institutionelle Kristallisation netzwerkgestützter Kontrolle der Gesellschaft und ihrer materiellen Reproduktion, was zur Pathologie eines asymmetrischen Verhältnisses zwischen Staat und Markt, zwischen Politik und Ökonomie führt, das die Heteronomie des Marktes und ihre Bestimmung durch die Machtinteressen der politischen Klasse perpetuiert. (Die Entstehung des Phänomens eines „klientelistischen Neoliberalismus“). Die verhinderte Industrialisierung (1860/1880). Allgemeines Wahlrecht und Industrialisierung ein widersprüchliches Verhältnis. Die Reproduktion des Etatismus unter den Bedingungen eines durch die Klientelnetzwerke bestimmten, gestalterisch schwachen Staates.
    Kapitel 1 1897 – 1909

    Katalog: evalumedia

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