Harald H. Zimmermann, Saarbrücken
Information als Wissenstransfer
Zur informationswissenschaftlichen Lehre
und Forschung in Saarbrücken.
In: Thomas Seeger (Hrsg., 1995): Aspekte der Professionalisierung des Berufsfeldes Information : Beiträge zu Ausbildung und Beruf in der Informationslandschaft anlässlich des 10jährigen Bestehens des Fachbereiches Information und Dokumentation der Fachhochschule Darmstadt. Schriften zur Informationswissenschaft Nr. 21. Konstanz: UVK, S. 349-360
1. Einführung
Das Studienfach Informationswissenschaft wurde 1980 an der Universität des Saarlandes mit der Einrichtung einer Professur (C4) und einer Grundausstattung von 1,5 Mitarbeiterstellen etabliert. Seit 1984 gibt es Informationswissenschaft als Haupt- und Nebenfach als Studiengang (Magister und / oder Promotion) an der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes.
Bei dem Studiengang handelt es sich um ein Kombinationsstudium (1 Haupt- und 2 Nebenfächer), wobei das Hauptstudium einen Anteil hat von ca. 40 % und die beiden Nebenfächer jeweils rd. 30 % des Studienaufwands ausmachen. "Standardmäßig" sind alle Magister- und Promotionsfächer der Philosophischen Fakultät kombinationsfähig; mit anderen Fakultäten gibt es allgemeine Abstimmungen, so dass ein Nebenfach, in Ausnahmefällen auch zwei Nebenfächer aus anderen Fakultäten kombiniert werden können, wobei in der Praxis davon v.a. zur Kombination mit Bereichen des wirtschaftswissenschaftlichen Studiums und mit Informatik Gebrauch gemacht wird.
Umgekehrt kann Informationswissenschaft auf Antrag auch als Ergänzungsfach in verschiedenen Diplomstudiengängen (u.a. bei Informatik) gewählt werden.
Im Rahmen eines universitätsinternen Selektionsverfahrens (NC) werden jährlich ca. 25 Studierende zum Studium im Hauptfach (Abschluss Magister Artium) zugelassen; ab WS 1995/96 wird es erstmals einen NC auch für die Zulassung im Nebenfach geben (ebenfalls 25). Wegen des großen Andrangs gab und gibt es zur Grundausstattung Überlastmittel, die v. a. über Lehraufträge etwas Entlastung bringen. Der Ausbau des Faches mit Errichtung einer 2. Professur ist seit langem von Universität und Land ins Auge gefasst, doch steht dem die wirtschaftlich extrem angespannte Situation des Saarlandes entgegen.
Gegenwärtig haben ca. 400 Studierende Informationswissenschaft belegt, wobei durch sog. "Seiteneinsteiger" (Wechsel vom Nebenfach ins Hauptfach bei Freiwerden einer Stelle) der NC in allen Jahrgängen voll ausgeschöpft ist. Jährlich verlassen z. Z. ca. 20 Studierende die Universität mit einem entsprechenden Hauptfachabschluss. Die Chancen zum Berufseintritt sind sehr gut.
Die Inhalte des Faches sind ausführlich in der Darstellung "Informationswissenschaft an der Universität des Saarlandes ('Saarbrücker Modell')" im Sammelband "Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation" vorgestellt worden (vgl. Lit.). Ausführliche Informationen bietet der Studienführer der Fachrichtung, der in Papierform gegen eine kleine Gebühr bestellt (Adresse: Universität des Saarlandes; Fachrichtung 5.5 Informationswissenschaft, 66041 Saarbrücken, Tel. 0681-302-3537, Fax -3557) oder aber über Internet / WWW eingesehen werden kann (vgl. Lit.).
2. Das Saarbrücker Studienkonzept vor dem historischen Hintergrund
Neben Konstanz (v.a. der dortigen Variante des "Aufbaustudiengangs Informationswissenschaft") ist in Saarbrücken die "reinste" Form der Umsetzung der Konzepte eines organisierten wissenschaftlichen Studiums der Informationswissenschaft zu finden, wie sie gegen Ende der 70er Jahre vom Sachverständigenkreis "Wissenschaftliche Forschung und Lehre an Hochschulen" des damaligen Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) konzipiert worden war. Der Sachverständigenkreis, dem Vertreter der Wissenschaft, des Bundes und der Länder angehörten, hatte seine Arbeiten im Rahmen des sog. IuD-Programms begonnen und mit Empfehlungen abgeschlossen, an Hochschulen informationswissenschaftliche Forschungsgruppen einzurichten und diese seitens der Länder durch die Einrichtung dauerhafter informationswissenschaftlicher Ausbildungsstätten zu flankieren.
Für längere Zeit flossen nach diesem Modell Forschungsmittel an die entsprechenden Hochschulen, parallel haben die Länder die Grundversorgung übernommen (einem solchen Modell - wenn auch in nicht vergleichbarem Ausmaß - sind bereits vorher die Entwicklungen der Informatik an Hochschulen gefolgt).
Bezüglich der Ausbildungsinhalte war man in der Aufbauzeit relativ flexibel. Es gab - wenn man so will - jedoch einen Ausbildungsschwerpunkt, der sehr stark von den Bedürfnissen des IuD-Programms geprägt war: die sog. "Fachinformation" (manchmal etwas abschlägig auch mit "Retrievalwissenschaft" bezeichnet). In Saarbrücken wurde dies einer der vier Schwerpunktbereiche des 2. Studienabschnitts (5. - 8. Semester). Aufgrund der Erfahrungen des Lehrstuhlinhabers im Forschungsbereich "Integrierte Informationssysteme“ (damals ein Schwerpunkt des DV-Programms der Bundesregierung) wurde schon in der Planungsphase der Bereich "Informationsmanagement" (auch "betriebliche Information und Kommunikation“ genannt) als zweiter "anwendungsorientierter" Schwerpunktbereich im Studium definiert. Wie es sich herausstellte, war dies eine glückliche Fügung, denn niemand konnte Anfang der 80er Jahre ahnen, mit welcher Geschwindigkeit die Bereiche (Fach-)Information und Kommunikation zusammenwachsen würden.
Ein besonderes Anliegen des (1.) IuD-Programms war die Vermittlung von (Fach-)Information an die breite Öffentlichkeit (den "Bürger"). Es war klar, dass diese "Zielgruppe" anders "bedient" werden musste als die Experten. Die "Saarländische Umgebung" (u.a. die "Saarbrücker Zeitung" - dahinter verbirgt sich ein Konzern mit vielfältigen Aktivitäten bis hin zum Datenbank- und Dokumentationsbereich -, der "Saarländische Rundfunk") legte es nahe, diese "Zielgruppe" nicht so "eng" auf die Fachinformation bezogen auszulegen, sondern die Information über die Medien mit einzubeziehen. Auch hier erwies sich der grundsätzliche Ansatz als zukunftsträchtig. Heute ist der 3. Studienschwerpunkt "Publikumsinformation" einer der Aktivposten in der Ausbildung geworden (er ist jedoch nicht zu verwechseln mit der kommunikationswissenschaftlichen Schwerpunktsetzung in der Massenkommunikation, sondern setzt bei den individuellen Informationsbedürfnissen an; Berührungspunkte und Überschneidungen sind jedoch vorhanden).
Wie sehr alle diese Bereiche aufgrund der informationstechnischen Entwicklungen miteinander zunehmend verflochten sein werden, konnte man zum Zeitpunkt der Planungen kaum ahnen. Dennoch war abzusehen, daß in der (damaligen) Zukunft nicht der Staat der Haupthandlungsträger sein würde, sondern die private Wirtschaft einen "Informationsmarkt" etablieren würde. Mit dem 4. Schwerpunktbereich "Informationsindustrie" - der sozusagen auch als Kosten-Nutzen-bezogener Querschnittsbereich zu den drei inhaltlich orientierten Bereichen gesehen wurde - wurde diesem Aspekt Rechnung getragen.
Wenn man - etwas vereinfacht - die vier genannten Bereiche als "Anwendungsfelder" im späteren Berufsleben betrachtet, so mußte ein methodischer Grundstock für den späteren "Informationsingenieur" (ein Begriff, der zugegebenermassen besser zur in Saarbrücken erworbenen Kompetenz passt als der Begriff "Informationswissenschaftler") geschaffen werden. Hierzu wurden die Bereiche Informationstechnik, Informationslinguistik, Wissensrepräsentation und Soziale/psychische Faktoren von Informationssystemen ausgewählt, wobei letzterer heute weitgehend mit dem Terminus "Software-Ergonomie" umschrieben werden kann. Die Informationslinguistik hat in Saarbrücken nach wie vor einen besonderen Nährboden (Forschungen im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, am Institut für Angewandte Informationsforschung ...). Dass informationstechnische Kompetenz eine Voraussetzung für berufliche Anwendungen darstellt (inzwischen längst nicht mehr nur für die Informationswissenschaft), ist heute unbestritten.
3. Zum Gegenstandsbereich der Informationswissenschaft
Es wurde einleitend schon darauf hingewiesen, dass der Aufbau informationswissenschaftlicher Forschungs- und Studienschwerpunkte - ähnlich wie in der Informatik - aus einem praktischen Bedürfnis heraus entstand, systematisch fachliche Kompetenzen im Bereich Information und Dokumentation (luD) zu schaffen. Dieser Anwendungsbereich "verdichtete" sich im Laufe der Forschungsförderung - die geprägt war durch Anschubfinanzierungen zum Aufbau von Datenbanken und Infrastruktur verschiedener Fachinformationszentren - zunehmend auf die weitere Entwicklung und den Vertrieb von Fach-Datenbanken, zunächst als sog. "Online-Datenbanken", zunehmend auch über die Erstellung von CD-ROM-Lösungen.
Schon sehr früh wurde demgegenüber in der informationswissenschaftlichen Reflexion der Thematik die Fragestellung weiter gefasst, wobei es bei den beteiligten Wissenschaftlern zu (allerdings, nur leicht) verschiedenen Aspektierungen in der Frage kam, was denn nun eigentlich "Information" und "Informationswissenschaft" sei. Nach modernem informationswissenschaftlichem Verständnis (hierbei wurde versucht, die Vorstellungen v.a. von Kunz/Rittel, Kuhlen, Wersig, und Zimmermann anzugleichen; vgl. Lit.) kann man folgende Definition geben:
Information ist der Transfer von Wissen und Meinungen (also ein Prozess) und das Ergebnis eines solchen Prozesses, wobei beim Rezipienten eine Wissensveränderung entsteht, die sein weiteres Handeln beeinflusst. In der Regel sind die Vermittlung und der Erwerb dieses Wissens zweckgerichtet. Das erworbene Wissen dient der Entscheidungsfindung und damit dem problemlösungsbezogenen Handeln. Ziel des Transfers von Wissen ist die Erweiterung des Wissensbereichs des Rezipienten (Nutzers), so dass die Handlungen sachgerechter erfolgen können, als dies ohne dieses Wissen möglich wäre.
Dem Erreichen dieses Zieles stehen eine Reihe von Faktoren entgegen, andere können dieses Ziel befördern helfen. Zu den negativen Faktoren gehören u.a. die Sprachbarrieren, die unzureichende Zugänglichkeit, die Heterogenität der Repräsentations- und Präsentationsformen und - dies darf nicht vergessen werden - die begrenzte menschliche Aufnahmefähigkeit. Umgekehrt befördert die menschliche Intelligenz natürlich die Wissensvermittlung (dies darf bei all den technischen Hilfsmitteln nicht vergessen werden), aber auch die Informationstechnik trägt zur Wissensvermittlung entscheidend bei. Dies ist auch der Grund, dass die Informationstechnik in der Praxis der Hochschul- und Fachhochschulausbildung und -forschung eine bedeutende Rolle spielt.
Im Idealfall (der aus verschiedensten Gründen eine Utopie ist bzw. in der Praxis eine Ausnahme darstellt, hier aber als Wegweiser dienen kann) wird der Rezipient sich unmittelbar an einen Produzenten (oder Urheber) von Wissen wenden können. Dies muss im übrigen keine Einweg-Ausrichtung sein, sondern kann auch im Austausch erfolgen, wobei Rezipient und Produzent (im Modell) die Rolle tauschen. In diesem Verständnis ist Information auch eine Art der Kommunikation.
Manche Wissenschaftler sind heute der Auffassung, dass durch neue technische Kommunikationsformen (etwa Internet) die direkte wissenschaftliche Kommunikation wieder in den Vordergrund treten wird. Man muss jedoch davon ausgehen, dass die "indirekte" Information, d.h. die Zwischenspeicherung von Wissen (durch Repräsentationen auf Papier, elektronisch, in Expertensystemen ...) und die zeitlich und örtlich unabhängige Vermittlung auch in Zukunft die dominante Rolle spielen werden.
Man kann sich allerdings vorstellen, dass durch die neuen Kommunikationstechniken eine Infrastruktur entwickelt wird, die gleichsam "neutral", ohne Umstrukturierung, Filterung bzw. Selektion, ohne Ordnung und Verdichtung dieser "originalen" Wissensrepräsentationen und -präsentationen eine Art "rein technische Vermittlung" realisiert (Beispiel - mit Einschränkung -: World-wide Web). Dies erscheint auf den ersten Blick als eine faszinierende und in gewisser Weise auch "demokratische" Lösung, soweit jeder Mensch die gleiche Chance, d.h. sowohl die technischen als auch finanziellen Möglichkeiten hat, dieses Wissen zu erwerben und entsprechend zu kommunizieren.
Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass es nicht genügt, solches Wissen bereitzustellen und die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Wissensproduzenten und -rezipienten zu erleichtern - so wichtig und zukunftsträchtig dieser Teil auch ist. Gerade angesichts des erkennbaren und stetigen Zuwachses an Wissen, der nicht allein durch weitere Spezialisierung der Forschung und Entwicklung kompensiert werden kann (oder sollte), aber auch aufgrund der schon erwähnten Begrenztheit der Aufnahmefähigkeit des einzelnen Menschen bedarf es auch in Zukunft weiterer - auch inhaltsbezogener - Aktivitäten, um den Zugang zu dem für die Problemlösung / Handlung "relevanten" Wissen für einen einzelnen Rezipienten oder eine Gruppe zu erleichtern. Dieser Bereich vor allem ist der Arbeitsbereich des Informationsingenieurs (die englische Sprache hat hierfür den treffenden Begriff des Knowledge Engineers) und der Forschungsbereich des Informationswissenschaftlers.
Das, was zur (schwerpunktmäßig inhaltsbezogenen) Verbesserung des Zugangs zum Wissen getan wird, auch die Vermittlungstätigkeit selbst, soll in Anlehnung an Wersig mit "Informationsarbeit" bezeichnet werden (vgl. Lit.). Inwieweit diese Informationsarbeit eine "mehrwertschaffende" Arbeit ist, etwa indem über Verdichtung (Beispiel: Abstracts zu Literaturquellen, auch kommentierte Bibliographien, kritische Referate), Anordnungen (Klassieren) oder Regelentwicklungen (etwa durch den Knowledge Engineer in Expertensystemen) neues "Wissen" geschaffen wird, sei dahingestellt. Als modernes Schlagwort kann es sicherlich helfen, zum Image dieses Berufsbildes beizutragen.
4. Wissenstransferprojekte
Aus den verschiedenen Forschungsthemen, die in Saarbrücken bearbeitet wurden und werden, seien solche herausgestellt, die als Exempla für die Aufgabenstellung des Wissenstransfer gelten können. Einige wurden am eigens gegründeten Institut für Angewandte Informationsforschung (IAI) realisiert.
Im Rahmen des vom BMFT geförderten Forschungsprojekts TRANSIT wurden Studien zur Umsetzbarkeit von Forschungsergebnissen zur maschinellen Übersetzung durchgeführt, an der u.a. das Patentamt und einige Fachinformationszentren beteiligt waren. Jüngstes Beispiel in dieser Reihe ist eine Machbarkeitsstudie zur Verwendung maschineller Rohübersetzungen von Abstracts, die im Auftrag von DITR und FIZ Technik realisiert wurde.
Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) und dem Saarland gemeinsam finanzierten Projekt "Informationspraktikanten" (IF*P) wurde untersucht, inwieweit fortgeschrittene Studierende des Faches Informationswissenschaft ihr spezifisch erworbenes Wissen in informationstechnischen Anwendungsbereichen (Datenbanken, Textverarbeitung, Netzwerke ...) in kleinen und mittleren Betrieben der Region einbringen konnten, auch um ein Bedarfs-Feedback für die universitäre Lehre zu gewinnen.
Ein weiteres Projekt, das mit industrieller Beteiligung am IAI realisiert wurde, war der Aufbau eines Expertensystems zur Edelstahlherstellung für eine koreanische Firma (STEEL-EXPERT). Hier wurden einerseits grundlegende Methoden in Knowledge-Engineering systematisch eingesetzt, andererseits wurde auch hier die Frage der Machbarkeit (mit sehr gutem Erfolg) nutzerbezogen erprobt.
Neuere Projekte konzentrieren sich auf die Einbindung von Indexierungs- und Übersetzungshilfen in OPACs, wobei auch hier eine enge Kooperation mit Anwendern (in diesem Falle etwa der Universitätsbibliothek Düsseldorf) gesucht wird.
Jüngstes Projekt ist die Nutzung und Erprobung von Internet, insbesondere des WWW-Systems, zum Aufbau eines Informationssystems für die sog. "Alte Völklinger Hütte", ein Industriedenkmal der Eisenindustrie, das gerade von der. UNESCO als einziges seiner Art zum "Weltkulturerbe" erklärt wurde.
Allen Projekten ist gemeinsam, dass sie prototypisch die Möglichkeiten des Wissenstransfers in den unterschiedlichen Lehr- und Arbeitsgebieten der Informationswissenschaft auszuloten versuchen, auch zum Nutzen der Weiterentwicklung der fachlichen Inhalte.
5. Stand und Perspektiven (Schwerpunkt Saarbrücken)
Die Entwicklung informationswissenschaftlicher Forschung und Ausbildung in den sog. "Industriestaaten" (d.h., das Folgende gilt nicht weltweit, v.a. nicht für die Dritte Welt) wird ohne Zweifel durch die allgemeine Entwicklung der "Gesellschaft" von der sog. "Industriegesellschaft" zur "Informationsgesellschaft" profitieren.
Dies ist allerdings nach bisheriger Erfahrung nicht notwendig gleichzusetzen mit dem spezifischen Auf- und Ausbau informationswissenschaftlicher Forschung und Lehre in Form einer als Ausbildungs- und Studienfach organisierten Informationswissenschaft an den Hochschulen. Davor darf man die Augen nicht verschließen, auch nicht in Saarbrücken, wo das Modell des Sachverständigenkreises, Informationswissenschaft als Teil eines Kombinationsstudiums schon für Studienanfänger anzubieten, bislang sehr erfolgreich praktiziert wird, wie die Akzeptanz (über 200 Studierende im Hauptfach, entsprechend viele im Nebenfach) zeigt. Es ist jedoch - abgesehen vom Aufbaustudiengang in Konstanz - in Deutschland nicht gelungen, entsprechende Schwerpunkte dauerhaft zu setzen. Die Beispiele Ilmenau und Potsdam (Universität) zeigen, dass derzeit die Möglichkeiten fehlen, auch nur eine "kritische Masse" zu schaffen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es einen funktionierenden Hochschulverband Informationswissenschaft gibt und dass informationswissenschaftliche Schwerpunkte an Fachhochschulen wie Darmstadt, Hannover, Potsdam oder an Universitäten wie Regensburg .(Informationslinguistik als Teilfach der Sprachwissenschaft) und Düsseldorf (in Verbindung mit Philosophie) bestehen. Die "rückläufige" Entwicklung an der Freien Universität Berlin ist auch kein Zeichen des Aufbruchs.
Ein Grund ist sicherlich darin zu sehen, dass es bisher nicht gelungen ist, die traditionell unterschiedlich verankerten Bereiche Archiv-, Dokumentations- und Bibliothekswissenschaft in einer sie inhaltlich einbeziehenden Informationswissenschaft zu integrieren. Ein weiterer Grund kann in der inhaltlichen Nähe zur Kommunikationswissenschaft, Publizistik und Medienwissenschaft gesehen werden, die sich - auch aufgrund der Entwicklungen der Computer und Informationstechniken - zunehmend von der Massenkommunikation hin zur (damit verbindbaren) Individualkommunikation und Interaktion bewegen (Beispiel Multimedia). Entsprechendes gilt für die (moderne) Erziehungswissenschaft, die schon per definitionem (s.o.) als eine spezielle Informationswissenschaft gesehen werden kann.
Die wachsende Bedeutung des Informationsmanagement (im weiteren Sinne wie auch im "engeren" Sinne des "Informationsressourcenmanagement") für die betriebliche Logistik wie Produktion hat in den Wirtschaftswissenschaften einen entsprechenden Schwerpunkt entstehen lassen, der in gewisser Weise - zudem ausgestattet mit den betriebs- und volkswirtschaftlichen methodischen Instrumentarien und Orientierungen (Kosten/Nutzen-Analyse als ein Beispiel) – „in Konkurrenz“ zu den eher inhaltlichen Problemstellungen der Informationswissenschaft steht. Die Zuordnungen in Konstanz (zur Verwaltungswissenschaft) und Graz (Österreich: zur Wirtschaftswissenschaft), aber auch die Umorientierung in Ilmenau (Informationsmanagement) sind dafür Beispiele.
Nun muss man eine organisatorische Zuordnung sicherlich trennen von inhaltlichen Fragestellungen. Hier zeigt gerade der Konsens der Informationswissenschaftlerinnen und - wissenschaftler trotz unterschiedlicher organisatorischer Einbindungen, dass es "die" Informationswissenschaft zumindest "virtuell" gibt.
Angesichts der wohl auch langfristig kaum sich ändernden finanziellen Rahmenbedingungen, die im Saarland herrschen, auch angesichts der Gesamtsituation der heterogenen Organisationsform informationswissenschaftlicher Lehre und Forschung in Deutschland, muss in Saarbrücken darüber nachgedacht werden, wie dieser universitäre Schwerpunkt - der ja seine Anziehungskraft gezeigt hat und weiter ungebrochen verdeutlicht - so stabilisiert werden kann, dass er nicht nur als Orchideenfach weiter existiert (und eines Tages Gefahr läuft, aus formalen Gründen aufgelöst zu werden), sondern eine dauerhafte, den Inhalten und Zielen angemessene organisatorische Einbettung erfährt.
Betrachtet man die oben angeführte allgemeine Grundlegung des informationswissenschaftlichen Gegenstandsbereiches ("Wissenstransfer") und vergegenwärtigt man sich die sich abzeichnenden Entwicklungen der Informationstechnik, so muss man v.a. feststellen, dass der gesamte Bereich Ausbildung, Weiterbildung, Bildung und Erziehung sowie die Medienwissenschaft davon affiziert sind. Dies erfordert in weit umfassenderem Maße eine Reaktion des Staates (in Deutschland insbesondere der Kultusministerkonferenz), als dies im Rahmen des IuD-Programmes der Bundesregierung und seiner Nachfolgeprogramme bzgl. der Schaffung von Kompetenz in der sog. Fachinformation notwendig war.
Eine Reaktion - auch in Saarbrücken' - könnte sein, die Studienfächer Erziehungswissenschaft, Informationswissenschaft und weitere Bereiche der Medienforschung zu einem (Diplom?)-Studiengang mit entsprechenden Serviceleistungen für die Lehrerausbildung - unter Integration der Sonderpädagogik - zusammenzuführen. Diese Orientierung der Organisation informationswissenschaftlicher Ausbildung und Forschung zumindest in Saarbrücken lässt sich zumindest konzeptionell mit der oben eingeführten allgemeinen Definition der Informationswissenschaft als Wissenschaft vom Transfer von Wissen verbinden, und mit diesem - zugegebenermaßen etwas vereinfachenden - Bild von der Rolle der Erziehungswissenschaft. Einerseits befasst sie sich mit der Vermittlung von "potentiell" nutzbarem Wissen (das zu lösende Problem liegt irgendwo in der Zukunft, während etwa in der Fachinformation ein aktuelles Problem vorliegt (bzw. ein entsprechender Handlungsbedarf existiert), das über zusätzlich vermitteltes Wissen "besser" gelöst werden kann. Der zu vermittelnde Wissensgegenstand ist (etwa in der Schule, auch noch an der Hochschule) stärker "kanonisiert" und die "Zielgruppe" (junge Menschen) als "Rezipient" oder "Nutzer" benötigt spezifische methodisch(-didaktisch)e Vorgehensweisen ...
Wie man unschwer erkennt, ist das allgemeine Instrumentarium, das informationswissenschaftlichen Modellen und Methoden zugrunde liegt, für einen derartig "erweiterten" Wissensvermittlungsbereich gut einzubringen. Es muss der Vollständigkeit halber angemerkt werden, dass es sich dabei nur in wenigen Fällen um eigenständige Verfahren handelt: wie jede andere Wissenschaft "lebt" die Informationswissenschaft von Methoden und Erkenntnissen anderer Wissenschaften (etwa der Mathematik, der Wirtschaftswissenschaft, der Psychologie, den Sprachwissenschaften und der Philosophie). Aber dies ist keine Eigenschaft dieses Wissensbereiches, sondern gilt (in umgekehrter Form) auch für andere Disziplinen.
Die Informationswissenschaft "deutscher" Prägung ist sicherlich dem IuD-Programm der 70er Jahre verpflichtet. Nach wie vor sind im "engeren" Bereich der Fachinformation wichtige und interessante Themenstellungen für Forschung und Lehre zu finden, man denke nur an die Frage des Zusammenwachsens von Literaturversorgung (Bibliotheken) und Dokumentation (Fachinformationsbanken), an Fragen der Wirtschaftlichkeit und Benutzerakzeptanz. Man muss nur die Entwicklungen verfolgen, um zu erkennen, wie die Informationstechnik in vielfältigen Formen zunehmend in diesen Bereichen integriert wird, sei es - um einige plastische Beispiel zu geben - die Speicherung und Vermittlung von Inkunabeln auf CD-ROM, die Entwicklung von OPACs (Online Public Access Catalogues), das weltweit vernetzte Angebot von Literaturdatenbanken in der Dokumentation oder die Kombination von CD-ROM mit Online-Datendiensten. Auch das "Scanning" von WWW-Informationen nach bestimmten fachlichen Inhalten, die Entwicklung "virtueller" Fachzeitschriften, schließlich die Nutzung von Hyper- und Multimedia in der Lehre, Fragen eines Teleteaching und das CSCW (Computer Supported Cooperative Working) sind heute "gängige" informationswissenschaftliche Forschungsthemen.
Mit der Orientierung an Inhalten der Wissensvermittlung und der "Einbettung" der Saarbrücker Informationswissenschaft in einen Kanon von Fächern einer philosophischen Fakultät, die die Sozialwissenschaften mit einbezieht, wird zudem zumindest konzeptionell sichergestellt, dass Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung in Richtung. auf die "Informationsgesellschaft" nicht in den Hintergrund treten, was sowohl die Chancen wie die Probleme (d.h. das informationstechnologische Assessment) betrifft. W. Rauch spricht in diesem Zusammenhang von der "Informationsdynamik d.h.“ den Wirkungen, die die verbesserten (oder veränderten) Informationsmöglichkeiten mit sich bringen (werden).
Die Saarbrücker Informationswissenschaft sollte dabei dem Ziel verpflichtet bleiben, die weiteren Entwicklungen nicht zu spekulativ anzugehen, sondern über die Vermittlung praktischer Kompetenz in der Anwendung informationswissenschaftlicher Verfahren und Methoden ein sachlich-kritisches Bewusstsein zu schaffen, das den anstehenden Problemen gerecht wird und zugleich optimale berufliche Perspektiven eröffnet.
Literatur, auf die in der Darstellung Bezug genommen wurde:
Kuhlen, Rainer: Zum Stand pragmatischer Forschung in der Informationswissenschaft. In: Pragmatische Aspekte beim Entwurf und Betrieb von Informationssystemen. Proceedings des 1. Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft. Konstanz 1990, S. 13-18.
Kunz, Werner; Rittel, Horst: Die Informationswissenschaften. München 1972.
Rauch, Wolf: Informationsdynamik und Informationspragmatik. In: Mehrwert von Information - Professionalisierung der Informationsarbeit. Proceedings des 4. Kolloquiums für Informationswissenschaft, Konstanz/Graz 1994, S. 15-18.
Wersig, Gernot: Informationstechnik und Informationsarbeit. In: Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, ed. M. Buder, W. Rehfeld, Th. Seeger, 3. Aufl. München 1990, S. 1124-1156.
Zimmermann, Harald H.: Informationswissenschäft an der Universität des Saarlandes. In.: Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, ed. M. Buder, W. Rehfeld, Th. Seeger, 3. Aufl. München 1990, S. 1100-1107.
Zimmermann, Harald H.: Studienführer "Informationswissenschaft" (Mskr.) Saarbrücken 1994 (2. Aufl.). Auch erreichbar über Internet / WWW, Adresse: http//is.uni-sb.de
Datum: 1995-5-18 DOK.: D36UIWS
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