INTERNET UND DEUTSCHUNTERRICHT




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4 INTERNET UND DEUTSCHUNTERRICHT



4.1 Hypertext als neues Genre?
An dieser Stelle wird versucht, mit einer möglichst knappen Definition50 des Begriffes “Hypertext” ein Auslangen zu finden und auch nur exemplarisch auf einige für diese “neue” Textsorte maßgeblichen Merkmale einzugehen, da eine zufrieden stellende Klassifikation des Begriffs den Rahmen einer eigenen Arbeit verlangen würde.

Hypertext übt heute eine Faszination aus, die sich aus der Annahme begründet, dass durch ihn die Speicherung, Verknüpfung und Darstellung von Informationen auf eine flexible Weise vorgenommen werden kann, die dem Informationsbedürfnis unserer postmodernen Gesellschaft in besonderem Maße entspricht. Die Hypertextidee selbst ist nicht neu. Schon 1945 stellte Vannevar Bush51, der als “Vater” des Hypertextkonzeptes angesehen wird, seine Ideen zu einem ideellen Hypertextsystem Memex52 vor. Realisiert wurde das Konzept schließlich mehr als zwanzig Jahre später von Ted Nelson, der die ersten computerbasierten Hypertextsysteme technisch umsetzte. Das Ziel bestand darin, eine neue “Textualität” in Form eines Informationsmediums zu schaffen, das die Möglichkeit bot, die Inhalte mehrerer Dokumente assoziativ miteinander zu verknüpfen und so nicht-linear verknüpfte Informationen auf individuellen Pfaden abspeichern zu können. Dieser Gedanke sieht in der praktischen Umsetzung eines World Wide Web so aus, dass der Inhalt eines Gegenstandsbereichs in einzelne Informationseinheiten aufgegliedert wird und in Form von Knoten und Links innerhalb der Knoten in einer Datenbasis elektronisch53 repräsentiert wird.

Ähnlich wie ein traditioneller Text aus Kapiteln und Abschnitten, ist ein Hypertext aus Informationsknoten aufgebaut, die über Links scheinbar arbiträr miteinander verbunden sind. Sofern die miteinander vernetzten Knoten neben Text, Grafik, Abbildungen auch Ton, Bewegtbild, Animation und Simulation umfassen, wird die Konzeption von Hypertext zu Hypermedia54 erweitert. Um einen Hypertext lesen zu können, muss ein auf dem Bildschrim besonders gekennzeichneter Bereich (meist farblich abgehoben und unterstrichen markiert), der das Vorhandensein eines Links anzeigt, mit der Maus angeklickt werden. Der auf dem Bildschrim aktuell dargestellte Text wird durch den Inhalt des neuen Informationsknotens ersetzt. Im Gegensatz zu traditionellen Texten55 (die meist linear-hierarchisch strukturiert sind) bestehen im Hypertext an jedem Punkt immer mehrere Lesealternativen, es gibt also keine fest vorgesehene Lesereihenfolge. Lesen ist nun keine ausschließlich sequenzielle Tätigkeit mehr, da der Rezipient flexibel in einem netzartigen Raum von Informationen zwischen den einzelnen Knoten je nach Bedürfnis hin und her springen kann. Selektive Informationsauswahl ist somit ein weiteres Kriterium für Hypertext.

Als Folge davon darf der Inhalt eines Knotens nicht für das Verständnis eines anderen Knoten vorausgesetzt werden, d.h. die einzelnen Informationsbausteine müssen in sich kohäsiv strukturiert sein. Die im konventionellen Text gebräuchlichen satzübergreifenden referenziellen Bezüge sind auf Grund der flexiblen Zugriffsmöglichkeiten nicht mehr sinnvoll anwendbar. Weiters scheint Kohärenzbildung im Hypertext nicht mehr ausschließlich vom Textproduzenten abhängig zu sein, sondern vielmehr erst durch die Interaktion des Rezipienten konstituiert zu werden. Seine Aufgabe ist es nun, die vom Autor vorgegebenen Möglichkeiten aufzugreifen und eine für ihn individuell sinnstiftende Anordnung der einzelnen Texte zu vollziehen. Die Grenzen zwischen Textproduktion und -rezeption verschwimmen zusehends miteinander, Text wird vom Leser in Abwesenheit des Autors erstellt56, Hypertext wird so zum Paradigma für nicht-lineare Konstruktion von Sinn. Auch hier scheint Hypertext wieder poststrukturalistische und postmoderne Konzeptionen aufzugreifen und weiterzuführen. Wenn man nach Marshall McLuhan57 davon ausgeht, dass das Medium das Denken verändere und das phonetische Alphabet für die lineare Strukturierung unseres rational orientierten Lebens verantwortlich ist, so scheint in der netzartigen Struktur des Hypertexts endlich ein geeignetes Medium für die assoziativen Sprünge unserer kognitiven Tätigkeiten (“Kognitive Plausibilität”58) gefunden zu sein. Hierin liegt auch die Gefahr des “cognitive overload” - einer Reizüberflutung - da der durch den Hypertext navigierende Rezipient sich permanent entscheiden muss, welchen Knotenpunkt er als Nächsten anwählen soll. Um dieses neugierige Vorgehen, das bei manchem aber in Stillstand und Paralyse enden kann, auszunützen, werden vor allem bei Einführungen in komplexe Wissensgebiete so genannte “guided tours” angeboten, die den Rezipienten auf Navigationspfaden durch kohärente Teilbereiche der Hypertextbasis führen.

Aus den bisherigen Beschreibungen kann nun hervorgehoben werden, dass Hypertexte aus zwei semantischen Strukturebenen bestehen. Die Mikroebene der Knoten und Links verbindet sich auf der Makroebene zu einer Netzstruktur. Gerdes59 klassifiziert dazu drei verschiedene Komponenten, aus denen sich jeder konkrete Hypertext zusammensetzt: lineare, hierarchische und vernetzte Elemente.

Die Festlegung der Struktur60, sowie des Knoteninhalts und -umfangs sind nach wie vor ungelöste Probleme der Hypertext-Technologie. Während sich für viele traditionelle Textarten Standards anführen lassen, die die Anordnung des Materials leiten, kann bei Hypertexten nur mit Einschränkungen auf diese Vorgaben zurückgegriffen werden. Welche Knoten über welche Links nach welchem Muster miteinander verbunden werden, hängt von vielen Faktoren ab und lässt sich nicht theoretisch festlegen. Es bleibt also weitgehend dem (u.a. medienkompetenten) Autor überlassen, in welcher Form er einen komplexen Sachverhalt einer potenziellen Zielgruppe übermittelt. Wenn es auch so scheinen mag, dass ein immer noch in statu nascendi befindliches Hypertext-Konzept die Ideen der Postmoderne weiterführt61, indem es den Leser aus der Vormundschaft des Autors befreit62, so sollte dabei aber nicht übersehen werden, dass es auch hier wieder der Hypertextschreiber selbst ist, der über die Wahl des Inhalts und die Verknüpfungen entscheidet und so seine Rezipienten zumindest in eine von ihm gewünschte Denkrichtung lenken kann.



4.2 Navigation und Informationszugriff
Das folgende Kapitel beschäftigt sich ausschließlich mit der Informationsrecherche und Datenabfrage im WWW. Suchsysteme wie “Archie”, “Gopher” oder “WAIS” wurden hier nicht berücksichtigt, da sie in ihrer Bedienungsstruktur nicht mit dem benutzerfreundlichen WWW mithalten können, aufwändiger einzusetzen sind, und aus diesem Grund auch zunehmend von WWW-Servern abgelöst wurden.

Im Allgemeinen lassen sich drei verschiedene Formen des Informationszugriffs unterscheiden: “Surfen” oder “Browsing”, gezieltes Ansteuern von Adressen und Suche mittels Suchmaschinen.



4.2.1 Surfen oder Browsing
Wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt wurde ist nicht nur der Begriff des Surfens unstimmig, sondern vielmehr die darauf basierende methodische Vorgehensweise für schulische Einsatzmöglichkeiten nicht effizient genug anwendbar. Nach Kuhlen63 (1991) entspricht “Browsing”64 einem “Herumstöbern” in der Datenbasis, die gerichtet oder ungerichtet erfolgen kann.

Bei gerichtetem Browsing versucht sich der Rezipient in der Exploration einer Hypertextdatenbasis mit der Zielsetzung, bestimmte Informationen zu finden. Bei ungerichtetem Browsing besteht kein Plan, eine bestimmtes Ziel zu erreichen, das heißt der Nutzer lässt sich zumeist von der Attraktivität des Angebotes leiten. Man kann nun zwar nicht bestreiten, dass die Form dieses Zuganges bisweilen auch zu positiven und verwertbaren Ergebnissen führt - man denke hier vor allem an die so genannten “Mitnahmeeffekte”- doch in der Regel sollte man zumindest während einer Unterrichtsstunde auf diesen Zugang verzichten. Das Aufwand-Ergebnis-Verhältnis ist nicht zuletzt aus zeitlichen Gründen äußerst unbefriedigend.



4.2.2 Gezieltes Ansteuern von Adressen
Aus pädagogisch-didaktischen, ethischen, zeitlichen und noch vielen anderen Gründen wird besonders diese Form des Informationszugriffes starke Anwendung im schulischen Einsatz finden. Unterrichtsspezifische Themen sind im Internet keine Ausnahmeerscheinung mehr und zunehmend organisieren sich nun Institutionen, die derlei Informationsangebote über zentral verwaltete Stellen (so genannte Bildungsserver)65 sammeln, begutachten und zur weiteren Verwendung bereitstellen. Dieser Punkt einer momentanen Bestandsaufnahme von unterrichtstauglichen Quellen im Internet wird an späterer Stelle nochmals genauer abgehandelt.

Gezieltes Ansteuern von URLs verlangt vom Rezipienten gewisse Voraussetzungen. Ein in groben Zügen feststehender Plan, eine thematische Zielsetzung mit Fragen und Aufgaben soll es dem Nutzer erleichtern, sich in den angebotenen Informationsdatenbasen zurecht zu finden. Abhängig vom jeweils angewählten Hypertextangebot, wird sich der Nutzer letztlich in unstrukturierten, die ausschließlich auf referenziellen66 Verknüpfungen basieren, oder in strukturierten Hypertextbasen bewegen. Nach Tergan (1997) spiegeln die letzteren semantische und pragmatische Organisationsprinzipien wieder, wobei man zusätzlich zwischen hierarchischen, linearen und Matrix-Strukturen unterscheiden muss.

Hier sind es vor allem die linearen Strukturen, die uns im schulischen Einsatz interessieren, denn im Sinne von so genannten geführten Unterweisungen (“guided tours”) sind sie besonders geeignet, Benutzer in neue Sachverhalte einzuführen oder ihnen vorab strukturierte Informationen zu vermitteln.

Weiters muss man im Umgang mit digital gespeicherten Daten aus dem Internet immer berücksichtigen, dass deren Präsenz im Medium von temporären Ausfällen, Adressenänderungen, oder auch Entfernen der Site abhängig sind. Diese Aspekte sollte man also bereits im Vorfeld einer geplanten Online-Nutzung von WWW-Ressourcen bedenken und auch etwaige Alternativen dazu einkalkulieren. Werden schließlich relevante Informationsangebote gefunden, so empfiehlt sich, diese wenn möglich doch nicht ausschließlich online zu rezipieren, sondern auch zusätzlich auf die eigene Festplatte zu speichern.



4.2.3 Gezielte Suche mittels Suchalgorithmen
Eine gezielte Suche mittels Suchalgorithmen verschiedenster Suchmaschinen ist eine weitere bei Hypertext/Hypermedia-Systemen mögliche Form des Informationszugriffs. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Informationen in der Datenbasis zusätzlich mit bestimmten Schlüsselbegriffen oder anderen Bezeichnungen zwecks Identifikation versehen wurden, die den jeweils verwendeten Suchalgorithmen entsprechen. Mittels so genannter Filter, die von Suchmaschine zu Suchmaschine variieren, kann der Suchraum in großen Datenbasen eingeschränkt und damit der Informationszugriff erleichtert werden.

Mehr als ein Dutzend verschiedener Suchsysteme existieren bereits im W3 und können mit einem Browser angesteuert und benutzt werden. Das Angebot selbst wird derzeit auf 50 Millionen Seiten auf mindestens 100 000 Servern geschätzt. Abhängig von der Aktualität und Popularität des gesuchten Begriffes ergibt die Anfrage dann eine meist (un)überschaubare Zahl an gefundenen Treffern, die in Form einer Liste mit URLs und Links (manchmal mit kurzer Inhaltsbeschreibung) angezeigt werden.

Hier ist nun der Rezipient gezwungen, eine eigene individuelle Selektion vorzunehmen. Dass dies nicht immer ganz einfach ist, stellt sich dann heraus, wenn man die gefundenen Informationen qualitativ analysiert, denn in vielen Fällen bleibt von der anfänglichen Überfülle an Dokumenten schließlich nur mehr ein minimaler, brauchbarer Anteil über.

Die Grundregeln zur Bedienung einer Suchmaschine sind mehr als einfach und beruhen auch bei allen derzeit angebotenen Programmen auf den gleichen universellen Eingaben. Ein Stichwort oder Schlüsselbegriff genügt, um den Suchvorgang anzuwerfen. Nun stellen aber die einzelnen Anbieter auch detailliertere Suchmöglichkeiten zur Verfügung, die eine Einschränkung der Anfragen durchführen sollen.


Ein Beispiel für eine einfachere Detailsuche wäre die Eingabe folgender Parameter:
Werther AND Leiden - findet nur Dokumente, in denen beide Suchbegriffe

vorkommen



Werther OR Leiden - findet ebenfalls Dokumente, in denen beide Suchbegriffe

vorkommen, aber auch jene, in denen nur einer von beiden

auftaucht
Folgende Suchmaschinen können zurzeit empfohlen werden:
Yahoo - http://www.yahoo.com

Lycos - http://www.lycos.com

AltaVista - http://www.altavista.digital.com

Dino - http://www.dino-online.de (deutschsprachig)

MetaCrawler - http://metacrawler.cs.washington.edu
Es wird hier auf eine detailliertere Beschreibung verzichtet, da die einzelnen Anbieter ihr Erscheinungsbild und auch ihre Funktionen immer wieder auf die neuen Bedürfnisse adaptieren und somit lediglich ein äußerst kurzlebiges Bild wiedergegeben werden könnte.

Es existieren aber einige durchaus nützliche Beschreibungen zu den aktuellen Funktionsweisen von Suchdiensten, die relativ rasch in eine effiziente Benützung einführen und als Einstiegslektüre67 empfohlen werden können.



4.2.3.1 Agenten
Agenten sind Programme, mit deren Hilfe man Veränderungen der selbst eingestellten Web-Sites feststellen kann. Sie erfüllen dabei unterschiedliche Funktionen, für deren Bedienung man schon über ein gewisses Maß an Erfahrung verfügen sollte. Manche Agenten melden dem Benutzer lediglich, dass eine Veränderung auf der von ihm eingestellten Adresse stattgefunden hat, andere liefern genauere Auskünfte welche Veränderungen stattgefunden haben und bieten als zusätzliches Service Informationsrecherchen auf diesen Seiten an, die vorab vom Benutzer in Form einer Sucheingabe definiert wurden.
Interessante Agenten sind zurzeit folgende:

SmartMarks (komfortabler Netscape-Aufsatz) - http://www.netscape.com

URL-Minder (meldet Änderungen) - http://www.netmind.com/URL-minder/URl-

minder.html

VERITY (Gestaltung eigener Agenten) - http://www.verity.com

4.3 Mediendidaktische Einsatzmöglichkeiten einzelner Dienste
Wie schon eingangs im historiografischen Abriss zur Medienkritik ausgeführt wurde, war der Umgang mit neuen, unbekannten Medien immer von Unsicherheit und Skepsis geprägt. Die Geschichte hat uns aber gezeigt, dass etwaige anfängliche Irritationen letztlich einer Diskussion um pädagogischen und didaktischen Nutzen weichen mussten, deren Ziel darin bestand, die Neuen Medien für Lehr- und Lernprozesse nutzbar zu machen. Nach Fasching68 und anderen Pädagogen sollen Medien die Bildungsarbeit, und hier meint er insbesondere die institutionalisierte Bildungsarbeit, unterstützen und neue, möglicherweise sogar effizientere Wege der Wissensaneignung ermöglichen. Nachdem das Internet und seine einzelnen Dienste, deren sinnvolle Einsatzmöglichkeiten hier speziell für den Deutschunterricht beschrieben werden, zur Wissensvermittlung, zur Gestaltung von lernwirksamen Umgebungen und zur Unterstützung von Lernprozessen eingesetzt werden soll, sprechen wir in diesem Zusammenhang von einem Bildungsmedium69.

Vor allem zwei Gründe, plädieren für den Einsatz von Computernetzwerken im Deutschunterricht der Schule: In einer vernetzten Informationsgesellschaft gewinnt Medienkompetenz den Status einer Basisqualifikation bzw. Kulturtechnik. Die “evolutionäre” Weiterentwicklung zum “homo sapiens informaticus”, wie man ihn mancherorts bereits zärtlich tituliert, setzt beim Vertreter dieser Spezies ganz eindeutig die Fertigkeiten eines sinnvollen Umgangs mit virtuellen Hypertext- und Hypermediabasen voraus. Nun sind die Kulturtechniken des Lesens und Schreibens seit jeher zentrale Aufgaben und Bestandteile des Deutschcurriculums. Nachdem die so genannte Gutenberg-Galaxis um ein weiteres Universum, das der digitalen Datenträger, bereichert wurde, muss auch hier wieder die Ausbildung in den notwendigen Fertigkeiten gewährleistet werden können.


Werden Computernetze ergo in das Spektrum von Lehr- und Lernmedien gereiht, so bieten ihre unzähligen Einsatzmöglichkeiten die Chance, Lehr- und Lernprozesse im Sinne einer Mediendidaktik interessanter und vielleicht sogar wirksamer zu gestalten. Informations-, Kommunikations- und Kooperations-möglichkeiten erlauben es, bisher starre örtliche und zeitliche Grenzen aufzuheben. Konstruktivistische Selbstqualifikation und behavioristischer formaler Unterricht existieren in friedlichem und ergänzendem Nebeneinander wie bisher traditionelle Lernumwelten mit angewandten Praxisfeldern. Für Döring, die die Neuen Medien aus einem psychologischen Blickwinkel betrachtet, kommt noch ein dritter Aspekt hinzu, der den Einsatz des Internets im Schulunterricht favorisiert. Sie sieht Computernetzwerke als Sozialisationsinstanzen70, die die Persönlichkeits-entwicklung von Individuen beeinflussen. Als Nutzer wird man mit ungewohnten interpersonalen Situationen konfrontiert, die nicht nur einen veränderten Umgang mit Information verlangen, sondern vielmehr auch das soziale Verhalten untereinander neu definieren. Die Netiquette kann man bereits als erstes Beispiel für ein neues Aushandeln sozialer Regeln anführen.

Die nun folgenden Anwendungsbereiche der verschiedenen Internetdienste sollen jeweils exemplarisch zeigen, wie die immer lauter werdenden Forderungen nach Mediendidaktik und daraus resultierender Medienkompetenz im alltäglichen Unterricht tatsächlich umgesetzt werden können. Leider muss man auch hier wieder festhalten, dass es noch kaum empirische Studien über die unterstützende kognitive Leistung der verschiedenen Einsatzmöglichkeiten gibt, d.h. wir sind nach wie vor vom subjektiven Urteil des jeweils betreuenden Lehrers wie auch der Rezipienten abhängig. Die Aussagen spiegeln erneut einen stark intersubjektiven Zugang wider, lassen nur einen Hauch der Dimension erahnen, die diese Thematik in Zukunft noch erfahren wird.




4.3.1 Kommunikation via E-Mail
Wie bereits im Kapitel der “Technischen Grundlagen” erwähnt wurde, können E-Mails nicht so ohne weiteres mit der traditionellen Textsorte “Brief” gleichgesetzt werden. Aus technischer Sicht bieten sie vielmehr eine neue Form des Schriftverkehrs an, da sich eine Textsorte herausbildet, die in dieser Form noch keine Vorgängerinnen hat bzw. die als Schnittmenge aus verschieden Textsorten verstanden werden kann. In der Anwendung dieser neuen Form muss auch der eigentliche Einsatzbereich für den Deutschunterricht angesetzt werden, da sich Form und Struktur auch auf die Textproduktion auswirken. Im Bewusstsein einer Bandbreite effizienter Anwendungsmöglichkeiten für den Unterricht sollen hier lediglich zwei praktische Beispiele und deren scheinbar problematische Dimension angeführt werden.

Man kann den bisher klassischen Briefkontakt mit anderen Schülern (man denke hier nur an klassenübergreifende Projektarbeiten zu fachspezifischen Themen) nun in elektronischer Form durchführen und die medienspezifischen Vorteile einer erhöhten Geschwindigkeit in der Datenübertragung ausnützen. Diekneite71 hebt seinerseits zwar hervor, dass grundlegende Fragestellungen, wie Probleme der Partner-, Themensuche und letztlich des Durchhaltevermögens bei so genannten briefpartnerschaftlichen Projekten immer noch bestehen bleiben und das Medium hier keinerlei Einfluss nehmen kann, doch gerade im letzten Aspekt einer Aufrechterhaltung der Kommunikation und Kooperation muss diese Annahme wohl angezweifelt werden. Eben auf Grund dieser höheren Übertragungs-geschwindigkeit (im Vergleich zur “snail-mail”) kann ein wirklich reger Austausch von Informationen und Gedanken überhaupt erst stattfinden, Rückkopplungseffekte mit den Kommunikationspartnern können innerhalb weniger Stunden oder sogar Minuten abgewickelt werden und somit eine Dynamisierung in der Kooperation bewirken.


Angeregtes Mitteilungsbedürfnis muss also nicht länger der zeitlichen Verzögerung durch den langen Postweg unterliegen, spontaner Gedankenaustausch und damit verbundene Emotionen halten eine Weiterarbeit am “Brodeln” und werden nicht länger durch Antwortwartezeiten abgeschwächt und verwässert.

Diekneite nimmt das Phänomen dieser relativ kurzen zeitversetzten Kommunikation als solches ebenfalls wahr, greift es jedoch in einem anderen, für den Deutschunterricht sicherlich relevanten Kontext auf. Er meint, dass E-Mail-Schreiber bedingt durch die schnellen Rückkopplungsmöglichkeiten dazu neigen, E-Mail-Kommunikation der Umgangssprache72 anzunähern, die üblichen Regeln der Schriftsprache eher vernachlässigen und sich so vermehrt Flüchtigkeitsfehler im lexikalischen und syntaktischen Bereich einschleichen, die in der Regel nachträglich auch kaum korrigiert werden. Er stellt weiters fest, dass dies nur unter bestimmten Voraussetzungen toleriert werden könnte, nämlich wenn keine andere Möglichkeit der Kommunikation mit dem Partner besteht oder per Brief erst gar nicht zu Stande kommen würde. Letztlich müssten solche Fragen aber immer im Einzelfall entschieden werden.

Wenn auch dieses Argument gerade für den Deutschunterricht scheinbar seine Berechtigung hat, so sollte man doch bedenken, dass E-Mail eben nur mehr sehr wenig mit der traditionellen Form73 des schriftlichen Briefes zu tun hat. E-Mail-Kommunikation erfüllt in erster Linie die Funktion eines möglichst raschen Informationsaustausches. Man will innerhalb kürzester Zeit sich oder etwas mitteilen, auf schnellem Wege Informationen und Antworten einholen, vor allem dann, wenn keinerlei Möglichkeit zu einem persönlichen Gespräch besteht bzw. über ein anderes Medium (Telefon) zu kostspielig wäre.

Hier also ähnliche textlinguistische Kriterien wie für Briefe fordern zu wollen, also gewissermaßen eine Symbiose aus analogem und elektronischem Brief anzustreben, würde die ursprünglichen Wesensmerkmale dieser digitalen Kommunikationsform ad absurdum führen. Was nun den Deutschunterricht betrifft, so sollte man akzeptieren, dass sich Schüler beim Einsatz dieses Dienstes einer Mischung aus Mündlichkeit und Schriftlichkeit bedienen (“Oraliteralität”), um eben gemeinsam an einem bestimmten Thema zu arbeiten. Den Rückschluss, dass sich umgangssprachliche Formulierungen und durch Unachtsamkeit eingeschlichene Tippfehler negativ auf die Schriftsprachefertigkeiten auswirken werden, muss man wohl aus dem bereits angeführten gesprächsähnlichen Charakter wie auch dem im schulischen Alltag bei weitem überwiegenden Anteil “normaler” schriftlicher Tätigkeiten von der Hand weisen. Wird diese Form der E-Mail-Kommunikation (und dies gilt auch gleichzeitig für Mailinglisten und Newsgroups) als eigenständige Textsorte aufgefasst, die bedingt durch die bereits erwähnten Merkmale der Schnelligkeit in Produktion und Übermittlung einen spielerisch-leichten Umgang mit der Sprache pflegt, so kommt in vielen Fällen ein weitaus positiver Aspekt zum Tragen:

E-Mail-Kommunikation strotzt nicht selten von einer Lust am Schreiben, was sich aus einem Wesensmerkmal elektronischer Texte, so genannter Emotikons oder “Smileys” herauslesen lässt. Um emotionale Zustände ausdrücken zu können, wurden bestimmte Symbolsysteme definiert, die den non-verbalen Ausdruck und die parasprachlichen Reize einer face-to-face Unterhaltung simulieren sollten. Emotikons können als Pendants zu non-verbalen, mimischen und gestischen Codes angesehen werden, erreichen natürlich aber bei weitem nicht die elaborierte Ausdrucksweise eines persönlichen Gesprächs. Gelassen werden Schriftzeichen mit Emotikons ergänzt, vor allem dann, wenn sich der Absender um einen humorvollen, ironischen Unterton bemüht. Nachdem Smileys vor allem von der Jugendkultur gerne verwendet werden, sollte man sich kurz mit den bekanntesten vertraut machen74.

Aus diesen zusätzlich motivationssteigernden Gründen scheint ein starres Beharren auf schriftsprachlichen Regeln in der E-Mail-Textproduktion des Unterrichts weniger sinnvoll, wenn nicht gar kontraproduktiv.

Eine weitere Einsatzmöglichkeit, die sich in der Unterrichtspraxis so mancher Lehrer auch bereits eingebürgert hat, liegt in der Ablieferung schriftlicher Hausaufgaben via E-Mail. Hier steht aber weniger der Aspekt der Kommunikation und des schriftlichen Diskurses im Vordergrund, sondern lediglich ein im Optimalfall für alle beteiligten Parteien bequemerer Übergabemodus. Immer häufiger wird dies in einer verstärkten Einbeziehung hypermedialer Lernumgebungen als alternatives Unterrichtsmaterial zur Anwendung kommen, die schulischen Unterricht auch jenseits von Ort und Zeit erlauben können. Diese Frage nun in ihrer pädagogischen und didaktischen Dimension abzuhandeln, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, soll aber als Stimulus fungieren, um besonders Erziehungswissenschaftler zu einer weiteren Beschäftigung mit dieser Thematik anzuregen. Zuletzt soll hier noch vermerkt werden, dass es sich bei diesem Internetdienst bislang immer noch um den beliebtesten und in Schulen am häufigsten verbreiteten handelt. Will man schließlich mit einer Partnerschule ein E-Mail-Projekt starten, so kann man sich zwar Anregungen aus der bereits in Fülle vorliegenden Sekundärliteratur holen, letztendlich wird der Erfolg der geplanten Aktion aber hauptsächlich vom durchdachten Management der beteiligten Lehrer abhängen. Wurden die Ziele und das dafür notwendige Procedere einmal definiert, muss man sich über die aktive Teilnahme der Schüler wohl kaum mehr Sorgen machen.




4.3.2 Schriftlicher Diskurs und Expertenbefragung über Mailingliste und

Newsgroup
Obwohl beide der hier zu beschreibenden Dienste ebenfalls auf der E-Mail-Funktion basieren (siehe Technische Grundlagen), müssen sie dennoch in einem eigenen Kapitel angeführt werden, da sie in einem für den Deutschunterricht wichtigen Merkmal die Einsatzmöglichkeiten einer E-Mail überschreiten.

Mailingliste und Newsgroup ermöglichen die Diskussion mit dem Mittel der geschriebenen Sprache, die bis dato mit keinem anderen schriftsprachlich geprägten Medium erreicht werden konnte. In beiden Fällen handelt es sich um textorientierte Dienste zum Informationsaustausch mit eigenen, jeweils gruppenspezifischen Interaktionsregeln, die als Voraussetzung für eine Enkulturation in die diskutierende Gruppe beachtet werden sollten. Enkulturation und das Einhalten der Regeln gilt als zuverlässige Präventionsmaßnahme, um das Aufkommen unsachlicher Auseinandersetzungen (“Flames”) zu vermeiden. In Diskussionsgruppen, in denen also in erster Linie der Informations- und Wissensaustausch im Vordergrund steht, verstoßen die Nutzer ohnehin kaum gegen das tradierte Regelsystem, da alle am reibungslosen und produktiven Ablauf interessiert sind. Dies ist auch der Grund, warum in der vorliegenden Arbeit bewusst auf Internet Relay Chat (IRC) verzichtet wurde: IRCs erlauben zwar durch ihren synchronen Datentransfer eine noch realitätsnähere Gesprächssituation, behandeln aber in der Regel eher allgemeine Themen und rekrutieren ihre Teilnehmer aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft, so daß ein didaktisch effizienter Einsatz für Unterrichtszwecke nur sehr selten zu Stande kommen würde.

Der uns hier interessierende schriftliche Diskurs lässt sich gleichsam in Mailinglisten wie auch in Newsgroups feststellen, in vielen Fällen werden beide textorientierten Dienste lediglich in der Art ihres Zuganges voneinander unterschieden. Folgende Beispiele und Beschreibungen versuchen eine holistische Annäherung an das für den Deutschunterricht doch immerhin neue Phänomen. Gewissermaßen noch im Sinne der Schreiberziehung - aber auch darüber hinausweisend - kann hier im schulischen Unterricht mittels eines spezifisch75 gewählten Themas an Diskussionen teilgenommen werden, deren pädagogisch-didaktische Zielsetzung vorerst zwei Aspekte beinhaltet:
Zum einen wird die üblicherweise ausschließlich vom Lehrer vorgetragene inhaltliche Komponente nun mit Ideen und Perspektiven von “außen” erweitert und ergänzt, zum Zweiten werden dabei Argumentationsstrategien entwickelt, die den Kriterien der Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit genügen, da die einzelnen Äußerungen jederzeit gespeichert und bei Bedarf zitiert werden können.

Dieser Punkt ist es auch, der als kommunikative Besonderheit des schriftlichen Diskurses gewertet werden kann und somit näher ausgeführt werden muss. Das ungewöhnliche und neue an dieser Diskussion ist letztlich nicht so sehr, dass diese schriftlich geführt wird, sondern vielmehr das Zitieren76 von Textteilen und Gedanken anderer Teilnehmer. In Auszügen werden Beiträge der so genannten “Vorredner” in den eigenen Artikel integriert, um so einerseits klarzustellen, wo man mit der eigenen Argumentation ansetzen möchte und andererseits, um ein inhaltlich kohärentes Bild der Diskussion weiter zu transportieren. Dies scheint vor allem für Newsgroups sehr wichtig zu sein und wird dort auch noch stärker als in Mailinglisten beansprucht, da man immer davon ausgehen muss, dass ein neuer Diskussionsteilnehmer kaum alle bisher zum Thema angeführten Überlegungen durchlesen wird. Mittels Zitat können so aber doch die wichtigsten Gedanken wiedergegeben werden und ermöglichen dem Neuzugang einen Einstieg in die Debatte. Um zu verdeutlichen, wer wann wen zitiert, haben sich in den meisten elektronischen Diskussionsforen bereits so genannte Winkelklammern eingebürgert, die die zitierte Textstelle markieren, indem sie an deren Anfangsposition gesetzt werden. In manchen Beiträgen können nun mitunter auch Diskussionspassagen mehrerer Nutzer angeführt werden, was zwar auf den ersten Blick unübersichtlich erscheint, für einen geübten Nutzer den Argumentationsgang aber durchaus nachvollziehbar macht.

Wie und welche Newsgroups oder Mailinglisten man nun in den eigenen Deutschunterricht miteinbezieht, wird individuell sehr verschieden sein. Man sollte aus bereits erwähnten Gründen jedoch besonders darauf achten, wer in der jeweiligen Gruppe diskutiert, das setzt voraus, dass man anfänglich für kurze Zeit nur “zuhört”. Schon das bloße Zuhören kann in einer gut geführten Diskussionsgruppe mit enormen Wissenszuwachs verbunden sein, da man als stiller Teilhaber an den Gedankengängen der anderen partizipieren kann.

Will man dann noch, dass sich Schüler selbst im schriftlichen Diskurs üben, so hatten sie während des stillen Zuhörens genügend Zeit, um die Regeln der Gruppe herauszufiltern und können sich nun aktiv in diese einbringen. Ist man erst selbst einmal in eine Diskussion verwickelt, nimmt man den im Medium durch seine Heterogenität vorherrschenden Dissens auch nicht mehr ausschließlich negativ wahr, sondern erlebt in manchen Fällen vielmehr eine von diesem Phänomen ausgehende positiv treibende Kraft, die zur Konstruktion eines eigenen Bildes führen kann. Obwohl bereits einige solcher Online-Diskussionsprojekte für den schulischen Gebrauch vorgestellt und auch detailgetreu beschrieben wurden, wird hier bewusst davon abgesehen, um die dem Netz innewohnende Spontaneität und Lebendigkeit selbst auszutesten, und dem Leser nicht irgendwelche starren Wege zu suggerieren.

Ein einzig wichtiger Ratschlag soll aber doch gegeben werden: Will man Lernende möglichst realitätsnahe mit diesem Medium arbeiten lassen, um auch die Feinheiten, Vorteile und Probleme herauszufiltern, so sollte man sich als Lehrer während der Diskussion, i.e. während der Textproduktion so gut als möglich im Hintergrund halten. Bisher konnte beobachtet werden, dass sich die verwendete Sprache der Schüler dann eher der Standardsprache annäherte, wenn sich der Lehrer unmittelbar hinter dem Rücken des schreibenden Schülers befand. Der Informationsaustausch und auch das diskursive Element selbst kamen immer dann stark hervor, wenn Lehrer ihre Schüler nach erfolgter Instruktion einfach arbeiten ließen. Formale Aspekte wurde dann zwar weniger beachtet, dafür wurden aber inhaltliche Komponenten bis in Detailfragen abgehandelt und, wenn nötig, letztlich auch kurz mit der Lehrkraft diskutiert. Das Ergebnis scheint in diesen Fällen nicht nur dem tatsächlichen Online-Diskussionsgruppen zu entsprechen, sondern ist besonders auf inhaltlicher Ebene äußerst befriedigend und zeigt von reger Teilnahme am Unterrichtsgeschehen. Diekneite meint dazu, man könnte eigentlich annehmen, dass Schreiber in diesen offenen Foren mehr Wert auf die formale Gestaltung ihrer Beiträge legen, da sie doch wissen, dass sie im Gegensatz zu E-Mail-Kontakten hier einer größeren Leserschaft gegenübertreten. Dass dem nicht so ist, verwundert ihn zwar ein wenig, wird aber schließlich ohne pädagogische Bedenken seinerseits akzeptiert.

Der wissenschaftliche Kanon sieht derzeit für News- und Mailinglisten-Nutzer im schulischen Einsatz nur folgende Problematik: Ein Phänomen, mit dem wir im gesamten Internet immer wieder konfrontiert werden, ist die Informationsflut, die dem Rezipienten entgegenströmt. Newsgroups wie auch Mailinglisten zu fachspezifischen Themenfeldern können interessante Informationen, aber auch eine Vielzahl an unverwertbaren Beiträgen enthalten. Die Anzahl innerhalb einer Gruppe kann Größenordnungen annehmen, die für den Einzelnen kaum mehr überschaubar sind und letztlich als belastend empfunden werden. Hier würde sich natürlich Postmans77 Destillat aus dem “Technopol” anbieten, wenn er meint, wir würden mit weniger Information besser leben. Ob damit aber unser Problem wirklich gelöst werden würde, muss man wohl stark bezweifeln. Diese “Vogel-Strauß-Politik” hat sich dafür in der Geschichte noch kaum bewährt. Döring78 weist ebenfalls auf diese (im Übrigen nicht ausschließlich internet-spezifische) Problematik hin, richtet den Blick aber auf eine etwas differenziertere Perspektive. Mit Welsch79 meint sie, dass die Informationsflut nicht in erster Linie auf mangelnde Qualität der Informationen, sondern auf Defizite in der Informationsverarbeitung zurückzuführen ist. Eine Förderung des individuellen und sozialen Wissensmanagements wird notwendig werden, um mit der für unsere postmoderne Gesellschaft charakteristischen Pluralität an Positionen zurecht zu kommen.



Welsch meint, die vielzitierte Oberflächlichkeit und Beliebigkeit tritt uns vor allem dort entgegen, wo wir die damit verbundene Spannung und Komplexität nicht mehr bewältigen können. Mit einer “ [...] Praxis der Differenz, der Artikulation und der Präzision [...]”80 soll man der durch Gedankenlosigkeit bedingten Beliebigkeit entgegnen, um Pluralität nicht aufzuheben, sondern sie bewusst weiterzuentwickeln und einzusetzen. Will oder muss man mit diesem Problem im schulischen Alltag umgehen, so ist es unvermeidbar, dass Lehrende den geplanten Einsatz dieses Kommunikationsdienstes samt seinen möglichen Inhalten gezielt vorbereiten und dass sie Lernende durch die Arbeit am Medium Selektions- und Prioritätskriterien entwickeln und anwenden lassen. Darunter versteht man vor allem auch reflektierte Medienwahl, die beispielsweise IRC für Wissenserwerb ausscheidet, jedoch zur Veranschaulichung pluralistischen Meinungsaustausches durchaus kurz anwenden wird. Welsch nennt die für seine Zwecke notwendige Basis “plurales Code-Bewusstsein”, das wie er meint bereits erstaunlich weit verbreitet ist. Diesen Terminus könnten wir zwar als solchen für unsere Belange übernehmen, da wir in den beschriebenen Medien ebenfalls vorwiegend mit Zeichen interagieren. Um jedoch das Wesen des Mediums selbst in den Mittelpunkt zu rücken, wird man vielleicht doch mit dem Begriff “Medienbewusstsein” gezielter assoziieren können und somit eine treffendere Bezeichnung gefunden haben.

4.3.3 Lesen und Schreiben im Hypertext
Hypertext im Deutschunterricht bedeutet, sich mit den erweiterten Kulturtechniken des Lesens und Schreibens auseinander zu setzen, um jene Qualifikationen zu erwerben, die für ein verantwortungsvolles Leben in der Informationsgesellschaft notwendig sind. Obwohl das WWW nicht als genuines Bildungsmedium konzipiert wurde, sehen es heute bereits manche Pädagogen und Didaktiker als ideales Instrumentarium zum Erlernen komplexer kognitiver Sachverhalte.

Soweit bisherige empirische Forschungsergebnisse vorlagen, wurden diese Annahmen mit dem konstruktivistischen Lernparadigma bereits zu erklären versucht. Didaktisch und pädagogisch begleiteter WWW-Einsatz soll eine Bereicherung aller gängigen Unterrichtsmodelle darstellen und einen qualitativen Mehrwert für Erkenntnisprozesse erwirken.

Im Hypertext konfrontiert uns das WWW mit einer neuen Form der Textualität, deren Inhalte der Rezipient auf unterschiedlichen, individuellen Wegen nun erschließen kann, indem er seine eigenen Linearisierungen vornimmt. Sollen diese neuen Texte in die Bildungsarbeit des Deutschcurriculums aufgenommen werden, so kann man grob in zwei verschiedene Anwendungsbereiche unterscheiden: Kritische Rezeption und kreative Produktion von Informationsangeboten stehen im Mittelpunkt. Sowohl das Recherchieren im WWW als auch das Erstellen von WWW-Seiten wird zum Gegenstand von Selbstlernaktivitäten sowie Projekten im Präsenzunterricht.

Im ersten Fall versteht man das WWW als Informationsmedium, Lernende bleiben dabei vorerst noch in einer passiv-rezeptiven Rolle, indem sie die vom Lehrer vorgegebenen Quellen bearbeiten bzw. selbst nach Informationen suchen.

Der Lehrer kann Netzressourcen zur Vor- oder Nachbereitung heranziehen, um seinen Unterricht81 mit neuen Ergebnissen aus Wissenschaft und Forschung zu bereichern und so dem allgemein kolportierten Phänomen der Wissenserosion entgegenwirken, die durch scheinbar immer kürzer werdende Halbwertszeiten geprägt ist. Nachdem das Internet im Wissenschaftsbereich bereits etabliert ist, verwundert es auch nicht, dass man zunehmend wirklich brauchbares Unterrichtsmaterial im WWW vorfindet. Curriculumbezogene Informationssysteme wurden bisher zwar meist von Hochschulen und Universitäten angeboten und die allgemein bildenden Schulen hinkten dieser Entwicklung hinterher, nachdem nun aber gerade die Forderungen nach Material für den schulischen Einsatz immer virulenter werden, treten vermehrt endlich auch so genannte Bildungsserver (siehe Kapitel “Fachspezifische Quellen”) ins WWW ein, deren fächerübergreifende Sammlungen pädagogisch und didaktisch aufbereitete Unterrichtsmaterialien liefern. Ein für den Deutschunterricht interessantes Thema, dem sich auf Grund seiner Aktualität und Kontroverse verschiedenste Institutionen gerade widmen, stellt die Reform zur deutschen Rechtschreibung dar. Wie ein möglicher Einsatz im Unterricht dazu aussehen könnte, wird an späterer Stelle nochmals genauer beschrieben.

Wenn Diekneite ebenfalls für dieses Thema plädiert, so hat er abgesehen von der Aktualität auch noch andere, restriktiv anmutende Gründe. Für ihn kann das WWW die Funktion einer Enzyklopädie oder auch Bibliothek übernehmen, die dazu dienen soll, den Informationsgehalt der von Schülerinnen und Schülern verfassten Texte zu steigern. Er spricht weiter davon, dass das WWW aber nur für solche Recherchen eingesetzt werden soll, die erstens ebenso gut mit vorhandenen Büchern, CD-ROMs usw. durchgeführt werden können und zweitens im WWW Erfolg versprechen, also vor allem aktuelle und heftig diskutierte Themen, die unter Umständen noch nicht durch Buchveröffentlichungen abgedeckt sind (vgl. Diekneite S. 26). Allein in diesem Vorschlag scheint ein Widerspruch zu liegen, der in weiterer Folge noch evidenter wird. Grundlagenwissenschaften wie Sprach- und Literaturwissenschaft sind seiner Ansicht nach immer noch buch- und zeitschriftenorientiert, ergo trotz neuer Kommunikationsmittel im Netz nicht auffindbar. Auf diese Weise versucht Diekneite (zumindest theoretisch) den Werkzeugcharakter zu verdeutlichen, dessen Recherchemöglichkeiten ebenso begrenzt sind, wie die anderer Datenträger auch. Dass solche Aussagen aber bei einem täglich anwachsenden Medium mehr als problematisch sind, wird spätestens dann wirklich augenfällig, wenn sie vom Rezipienten auf ihre Aktualität und Gültigkeit überprüft werden.

Tatsache ist derzeit, dass bereits sinnvoll strukturierte deutschsprachige82 Informationen zu sprachlichen Themen im W3 existieren, auch die Literaturwissenschaft selbst ist seit langem in Form von Online-Magazinen, universitären Germanistikinstituten und literarischen Archiven vertreten. Der von Diekneite vorgeschlagene Ansatz scheint also nicht wirklich haltbar zu sein, sondern vielmehr ungewollt ein gegenteiliges Bild von der Leistungsfähigkeit des Mediums zu liefern, solange man den quantitativen Aspekt nicht gänzlich herausnimmt. Quantität darf heute bei methodischen Fragen eines Medieneinsatzes keine Rolle mehr spielen. Worauf der Lehrende umso mehr achten muss, ist die Qualität der dargebotenen Informationen. Sind es also nicht mehr ausschließlich die aktuellen Themen, die uns im W3 überzeugen, sondern auch typisch lehrbuchartige Wissensgebiete83, die der Benutzer nun in neuer, multimedial aufbereiteter, ansprechender Form vorfindet, so wäre ein restriktives Agieren im Sinne Diekneites ja geradezu ignorant. Wenn also für die einzelnen Lehrbereiche des Faches Deutsch interessante und effizient einsetzbare Informationsangebote vorliegen (siehe “Fachspezifische Quellen”) so liegt es letztlich an der Lehrkraft, diese auf ihren Unterricht adaptiert anzuwenden und den Lernenden gleichzeitig Mediendidaktik und Fachwissen näher zu bringen. Ist dieser erste Schritt der Informationsrecherche gelungen, konnten Informationen selektiert, analysiert und individuell im Sinne einer Wissenskonstruktion verwertet werden, kann das dem Medium immer noch anhaftende Motivationspotenzial weiter ausgereizt werden.

Auch der zweite Anwendungsbereich, das selbstständige Produzieren von WWW-Seiten, konstituiert sich wieder aus medienpädagogischen und fachdidaktischen Elementen. In der Frage nach dem Mehrwert eines HTML-orientierten Schreibens herrscht in der Sekundärliteratur beinahe unglaubwürdiger Konsens. Döring, Diekneite, Fasching, Blatt, et al. sind sich uneingeschränkt einig, dass gerade bei dieser Anwendung Interneteinsatz in der Schule nicht nur seine Berechtigung hat, sondern alle bisherigen Versuche in anderen Medien über weite Strecken übertrifft.

“Das WWW als Medium für die Veröffentlichung eigener Texte der Schülerinnen und Schüler gibt dem Schreiben in der Schule eine Qualität, die eigentlich immer angestrebt wird, aber durch den meistens fehlenden Realitätsbezug schulischen Schreibens selten erreicht werden kann. Indem Ergebnisse [...] einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, erfährt das Schreiben eine Aufwertung, die Rückwirkungen sowohl auf die Form als auch auf die inhaltliche Ausgestaltung der Texte hat.”84
Nach Blatt85 verleiht das Schreiben in elektronischen Umgebungen dem Schreibprozess selbst eine neue Qualität, da es zu arbeitsteiligem Vorgehen anregt. Dies schaffe günstige Voraussetzungen, um Schreibhemmnisse zu überwinden und das Schreiben als Überarbeiten (im Sinne von Autorenlesen) zu einer eigenen Dimension werden zu lassen. Meist in Gruppendiskussion und einer Reihe von Korrekturarbeiten werden Texte produziert, die dann sowohl norm- wie auch altersgerecht sind. Döring meint sogar, dass dies auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass Lernende von einer passiv-rezeptiven Rolle in eine aktiv-produktive schlüpfen. Aus so genannten Peripherienutzern (wenn Daten im Internet nur rezipiert werden) werden Zentrumsnutzer86 (wenn Daten hinzugefügt werden und somit zur Weiterentwicklung des WWW aktiv etwas beigetragen wird), die im Netz nicht eskapistische Realitätsflucht betreiben, sondern es konstruktiv zur Bewältigung von Alltagssituationen nutzen. Sie meint, dort wo Informationsrezipienten gleichzeitig auch Informationen produzieren und die dazu verwendeten Methoden transparent sind, wird die Rezeption unweigerlich kritischer.

Schreiben fungiert hier also gewissermaßen als heuristisches Mittel (vgl. auch Blatt, S.110f.) und gelernt wird nicht mehr ausschließlich des Lernens willen, sondern zur Bewältigung konkreter Aufgaben und manchmal wohl auch “just for fun”(Anm. d. Verfasserin).



Auch hier drängt sich das bereits erwähnte aktuelle Thema der Rechtschreibreform wieder geradezu auf. In unregelmäßigen Abständen wiederkehrende Aufschreie der Öffentlichkeit würden eine hypertextuale Aufbereitung im Deutschunterricht nicht zum Bestandteil einer Simulation, sondern vielmehr zur Reaktion auf wirkliches Geschehen werden lassen. Abgesehen vom WWW könnten man hier auch effizient Kommunikationsdienste wie E-Mail, News und Mailingliste einbauen. Wie dieses Projekt in groben Zügen aussehen könnte, wird aber an späterer Stelle noch ausführlicher erklärt. Dass man bei derartigen Projekten aber nicht nur am herkömmlichen Unterrichtsparadigma kratzt - das den Lehrer künftig nicht mehr als alleinige Wissensquelle sieht, doch als solches in weiten Bereichen bereits akzeptiert wird - sondern auch die bisherigen organisatorischen Strukturen von Unterrichtszeit und -ort in Frage stellen muss, findet landläufig noch wenig Beifall. Darauf kann hier aus verständlichen Gründen noch keine Antwort gegeben werden, dass über alternative Modelle aber auch im staatlichen Bildungswesen bereits laut nachgedacht wird, soll die Arbeit von Ritter87 und auch ein im “STANDARD” kürzlich erschienener Artikel88 verdeutlichen. Es kann also vorerst nur festgehlaten werden, dass sich WWW-Einsatz im Deutschunterricht durchaus lohnend gestalten lässt, dass schulischer Unterricht durch Realitätsbezug und Motivationspotenzial des Mediums aufgewertet werden kann und zudem bei eigener Hypertextproduktion dem angeblichen Überangebot an unbrauchbaren Informationen fachspezifisch wertvolle Elaborate hinzugefügt werden können. Damit wird ansatzweise auch eine sozio-kulturelle Forderung erfüllt, die jedem von uns einen aktiven Beitrag zum gesellschaftlichen Leben abverlangt.


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