• 6 CURRICULUMBEZOGENE ANWENDUNGEN 6.1 Vorschläge zum Einsatz hypermedialer Materialien
  • 6.1.1 Literatur im Netz: Das Projekt Gutenberg 113
  • 6.1.1.1 Ein Blick ins Gutenberg Archiv
  • 6.1.1.2 Arbeiten mit dem Gutenberg Archiv
  • 6.1.2 Ernst Jandls “wien:heldenplatz” - eine interaktive Lernumgebung als Alternative zum Lehrbuch 118
  • 6.1.2.1 Aufbau, Inhalt und Einsatzmöglichkeiten des “AIR-heldenplatz” (AIR)
  • Germanistik im Internet108




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    5.2.2 Germanistik im Internet108
    Germanistik im Internet109 wird von der Universität Erlangen-Nürnberg betrieben und stellt folgende Informationsrubriken zur Verfügung. “Institute und Institutionen” bietet dem Interessenten eine Liste zu Germanistikinstituten weltweit wie auch zu verwandten Bildungseinrichtungen. Dies könnte für den Unterricht insofern interessant werden, da man hier erste Kontakte zu Kollegen finden kann. Der Link “Ressourcen” führt zu WWW-Angeboten der Themenbereiche Sprach- und Literaturwissenschaft, Literaturgeschichte, Deutsch als Fremdsprache, Kriminalroman, Metapherntheorie, Neue Medien, Parodie, Rhetorik, etc. Die in den einzelnen Seiten angeführten Links sind Verknüpfungen zu den verschiedensten Adressen weltweit, werden jedoch von der Erlanger-Liste einer genauen Prüfung unterzogen, ehe sie in der eigenen Homepage angegeben werden. Man kann also annehmen, dass es sich um qualitativ durchaus brauchbare Ressourcen handelt. Ehe jedoch diese Seiten im Unterricht von Schülern angewählt werden, sollte man sich selbst von deren Einsetzbarkeit im Rahmen des eigenen Deutschunterrichts überzeugen.

    Hinter den “Epochen” scheint einer der interessantesten Punkte dieser Liste verborgen zu sein, da man dessen Inhalte ohne größere Anstrengungen in den Unterricht zu übernehmen vermag. Es werden hier in chronologischer Anordnung die einzelnen Epochen vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert angeführt, wobei zusätzlich an manchen Stellen auch Biografien, oder Informationen über Literaturverfilmungen mitgeliefert werden. Innerhalb dieses Punktes hat der Benutzer auch die Möglichkeit auf eine (außerhalb des Angebots liegende110) Deutsche Literaturgeschichte111 zuzugreifen, deren Inhalte besonders für eine erste Information im Unterricht sehr geeignet scheinen. Die in diesem Punkt anzuwählenden “Biografien” sind zwar ein wenig ausführlicher abgehandelt als jene des Projekts Gutenberg, leider aber noch in äußerst spärlicher Anzahl vorhanden. Der Autor der Seiten nennt dies aber als eines seiner Hauptanliegen, somit kann man berechtigterweise noch mit quantitativem Zuwachs der Site hoffen. Ein zusätzliches “Personen- und Titelregister” verweist auf die entsprechenden Stellen in der Epochenübersicht und erleichtert dem Benutzer damit die Navigation und das Einsetzen im Unterricht. Unter den “Epochen” verlässt man das Zusatzangebot der Deutschen Literaturgeschichte wieder und kommt zurück zum Epochenüberblick der eigentlichen Site Germanistik im Internet: “Mittelalter”, “Frühe Neuzeit”, “18. Jahrhundert”, “Klassik und Romantik”, “19. Jahrhundert” und “20. Jahrhundert”. Hier werden im Unterschied zur vorigen Epochenübersicht keinerlei allgemein gehaltene Informationen angeboten, sondern teilweise willkürlich angelegte Linksammlungen zum jeweiligen Bereich. Um diese Angebote im Deutschunterricht einsetzen zu können, erfordert es aber vorerst ein wenig Zeit, um die zu den verschiedensten Plätzen führenden Links nacheinander zu bearbeiten. Besonders für den Schülereinsatz sollten diese Materialien gut vorbereitet werden, da man als Nutzer sehr schnell die Orientierung verliert, nachdem man zwischen zwei verschiedenen WWW-Plätzen hin- und herspringt. Wird dies dem Benutzer aber dezidiert erklärt, so sollte die Anwendung der Materialien keinerlei Schwierigkeiten mehr bereiten.

    Ein weiteres für unsere Belange durchaus interessantes Angebot stellen die “Elektronischen Texte” dar, da man von hier aus nicht nur zum Projekt Gutenberg, sondern zu ähnlichen elektronischen Textangeboten kommen kann.

    Viele der Anbieter ermöglichen als zusätzliches Service sogar das Herunterladen bestimmter Dateien, um einerseits Online-Zeiten zu sparen und andererseits auch auf nicht ans Netz angeschlossenen Geräten arbeiten zu können. Dies ist vor allem im Schuleinsatz ein mehr als willkommenes Service. Abgerundet wird das Angebot der Germanistik im Internet schließlich mit verschiedenen Möglichkeiten der Online-Recherche. Hierfür werden Links zu Literaturzeitschriften, Bibliotheken, Lexika und fachspezifischen Datenbanken angeboten. Wer sich in dieser opulenten Informationsfülle also umsehen will, um den eigenen Unterricht mit online-verfügbarem Material anzureichern, sollte genügend Zeit einplanen, da es sich um umfangreiche Listen handelt, die zwar die Germanistik im Internet mit jedem Link verlassen, dafür aber als gute Ergänzung zum Projekt Gutenberg herangezogen werden können.


    6 CURRICULUMBEZOGENE ANWENDUNGEN
    6.1 Vorschläge zum Einsatz hypermedialer Materialien
    Aus den in Kapitel 5 angeführten “Fachspezifischen Quellen” wurden drei für den Deutschunterricht interessant erscheinende Internetangebote ausgewählt, um sie einer etwas genaueren Beschreibung zu unterziehen und so möglicherweise erste Anregungen für deren pädagogisch und didaktisch sinnvolle Einsetzbarkeit zu liefern. Die Entscheidung, gerade diese Beispiele näher auszuführen, kann damit begründet werden, dass alle Angebote eine gewisse strukturelle Metaebene widerspiegeln, nach deren Schemata der überwiegende Anteil112 der Sites im Netz aufgebaut ist.

    Im ersten und dritten Beispiel werden dem Rezipienten ausschließlich Informationen angeboten, die er in solcher oder ähnlicher Weise auch im herkömmlichen Printmedium vorfinden könnte, d.h. es handelt sich hier vor allem um einen Unterschied in der Materialität des Mediums und des Zuganges. Dennoch wird erklärt werden, worin das Potenzial zum didaktischen Mehrwert dieses Angebots liegen könnte, sofern man sich auf ein bisschen Mehr an Organisation und auf einen etwas anderen Weg in der Übermittlung einlassen will. Das zweite Beispiel, das ebenfalls im Literaturunterricht eine effiziente Anwendung finden könnte, geht über eine reine Informationspräsentation hinaus. Auch wird hier bereits stärker das Prinzip des Hypertextes spürbar, das den Rezipienten und Nutzer mit einer von konstruktivistischen Lernideen inspirierten Umgebung konfrontiert, die ihm ermöglichen soll, individuelle Lese- und Lernwege zu beschreiten. Im einen Fall haben wir es also mit linear-hierarchisch, im anderen mit netzartig strukturiertem Hypertext zu tun, dessen Inhalte zu einer fachlichen Ausbildung ergänzend oder alternativ zum Lehrbuch im Unterricht eingesetzt werden können.

    In allen drei Fällen bleibt der Nutzer aber vorwiegend in einer passiv-rezeptiven Phase. Erst durch Übungsaufgaben (seitens eines Tutors oder Lehrers) kann diese in eine aktive, produktive Einzel- oder Gruppenarbeit übergehen, die im Hinblick auf bleibende Lernerfolge das erworbene Wissen nun anwenden und festigen sollte.

    6.1.1 Literatur im Netz: Das Projekt Gutenberg113
    Erst durch die komfortablen Zugriffsmöglichkeiten des World Wide Web wird manches, das seit geraumer Zeit im Internet existiert, auch interessant für den Leser. Auf klassische Texte wie GrimmelshausensSimplicissimus Teutsch”, die das Projekt Gutenberg elektronisch zur Verfügung stellt, kann weltweit jeder zugreifen. Ein Archiv fürs 21. Jahrhundert, das alle wichtigen und weniger wichtigen Interessensgebiete in sich vereint und literarische Schätze sowie politische Dokumente frei Bildschirm liefert. Diderot und d'Alembert, die Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts, hätten daran wahrscheinlich ihre helle Freude gehabt, und das wohl nicht nur wegen des unbegrenzt verfügbaren Speicherplatzes.

    Angefangen hat die Geschichte der Online-Literatur spätestens 1971, als man an der Universität von Illinois die Gelegenheit bekam, für 100 000 000 Dollar Rechenzeit zu verbrauchen. Das Beste, das man damit anzufangen wusste, war die Unabhängigkeitserklärung von 1776 einzutippen. Diese erste Tippaktion war der Anfang des Projekts Gutenberg, dessen Mitarbeiter seitdem etliche klassische Texte eingetippt oder gescannt sowie korrekturgelesen haben. Erklärtes Ziel von Michael S. Hart, der sich “Professor of Electronic Text” nennt und das Projekt leitet, ist es, bis zum Jahr 2001 ca. 10.000 E-Texte übers Internet zur Verfügung zu stellen. Dabei wird ein weiter Literaturbegriff zu Grunde gelegt, der auch politische und wissenschaftliche Texte einschließt.


    Das Projekt Gutenberg sieht sich gerne in der aufklärerischen Tradition des amerikanischen Bibliothekswesens - Lesbarkeit hat Vorrang vor editorischem Raffinement. Nachdem dieses Projekt im amerikanischen und englischen Cyberspace von den Nutzern erfolgreich angenommen wurde, hat sich 1994 auch eine deutschsprachige Sektion (Projekt Gutenberg-DE) gebildet, die sich zum Ziel gesetzt hat, die gesamte copyrightfreie, deutschsprachige Literatur in elektronischer Form zugänglich zu machen.


    6.1.1.1 Ein Blick ins Gutenberg Archiv
    Das Projekt Gutenberg-DE114 will eine ganz neue Form des Zugangs zur Literatur ermöglichen. Die Texte können "online" gelesen werden, man kann nach bestimmten Büchern suchen oder in Bibliotheken stöbern. Das literarische Angebot lässt sich entweder nach einzelnen “Autoren”, nach “Klassikern”, nach “Gedichten” oder auch nach “Märchen” absuchen. Ein Gesamtverzeichnis bietet einen umfassenden inhaltlichen Überblick. Alle erfassten Texte sind copyrightfrei, da deren Verfasser schon mehr als 70 Jahre tot sind.

    Wenn man sich nun unter den einzelnen Autoren umsieht, so bekommt man zu beinahe jedem Schriftsteller eine Biografie mitgeliefert. Bei manchen wurden sogar die Portraits miteingescannt. Klickt man beispielsweise hier Grimmelshausen an, so erscheint ein Portrait des Autors, eine Kurzbiografie, die für eine erste Information sicherlich ausreichend ist, eine Aufstellung seiner wichtigsten Werke und eine Liste derer, die bereits im Projekt Gutenberg abrufbar sind. Sieht man sich dann seinen “Abenteuerlichen Simplicissimus Teutsch” an, so erscheint zuerst gleich der Frontispiz des Erstdruckes von 1668 samt der “Continuatio” von 1669. Die hierarchische Gliederung besteht wie die der schriftlichen Ausgabe aus den 5 Büchern, der Continuatio und dem Beschluss. Jedes einzelne Buch ist dann wieder in Kapitel unterteilt, die der Online-Leser mittels eines Klicks auf den jeweiligen Link öffnen kann.



    6.1.1.2 Arbeiten mit dem Gutenberg Archiv
    In der oben beschriebenen Form sind nun auch alle übrigen literarischen Texte abgefasst. Das hierarchische Linearitätsprinzip und auch der Text per se werden nicht verändert. Der einzige Unterschied scheint nun im Gebrauch des Textmaterials zu liegen, da sich das Lesen vor einem Bildschirm abspielt - und das sei nach Angaben des Projekts Gutenberg auch wirklich überall möglich (man sehe sich dazu das Titelbild der Projekt Gutenberg CD-ROM an, die den Spitzweg’schen “Armen Poeten” mit einem Notebook im Bett liegend darstellt). An dieser Stelle wird ausdrücklich betont, dass das Projekt Gutenberg-DE kein Ersatz für das gedruckte Werk sein will. Wer schon einmal an einem antiquarischen Buch gerochen hat, meinen die Projektmitarbeiter, wird verstehen, dass es hierfür (Anm. d. Verf.: noch) keinen Ersatz gibt. Und all jene, die das Gutenberg-DE Archiv benutzen, um sich deren Klassiker auszudrucken, werden auch gleich gewarnt:
    “Selbst für die kostengünstigsten Drucker (Laserdrucker mit mindestens 2000 Seiten/Monat) liegen die Druckkosten bei mindestens 10 Pfennig pro Seite (Papier, Toner, Amortisation,...). Für Tintenstrahldrucker sind die Kosten im Allgemeinen noch höher. Ein Text von 100 Seiten Umfang kostet deshalb mindestens DM 10.-- (z.B. Goethes "Faust") und der Erwerb eines antiquarischen Buches oder des Originals ist häufig billiger.”115

    Es stellt sich dann aber unweigerlich doch die Frage nach dem Sinn des “VerWebens”. Auch ein riesig verteiltes Archiv hat nur dann Sinn, wenn Menschen es benutzen. Für die literarischen Texte des Projekts Gutenberg-DE scheinen vor allem zwei Anwendungen zielführend: Textlektüre oder Arbeit am Text. Sammelleidenschaft im Sinne eines Hortens der Texte auf der Festplatte ist hier jedenfalls nicht gemeint.

    Zum Lesen scheinen die elektronischen Texte nur bedingt geeignet, denn wer will schon ernsthaft einen fünfhundertseitigen Roman online rezipieren. Versucht man es dennoch, so wird man vielleicht feststellen, dass sich kürzere Werke (Essays, Kurzgeschichten, Gedichte, etc.) am Bildschirm durchaus konsumieren lassen, sobald der Text aber eine gewisse Textmenge überschreitet, ist es mit dem genussvollen Leseakt vorbei. Man ertappt sich schließlich bei dem Gedanken, den Text ausdrucken zu wollen, um mit der Lektüre fortfahren zu können. Doch spätestens hier muss man sich fragen, ob die angestrebte Handlung im traditionellen Medium Buch nicht rascher und einfacher durchgeführt werden könnte. Wenn die Antwort auch unweigerlich auf “ja” lauten muss, so ist dies noch lange nicht der Todesstoß für die Idee des Gutenbergarchives. Im schulischen Kontext fragt man sich, welche neuen Zugangswege dieses Medium beispielsweise dem Einsatz im Unterricht bietet.

    Eine interessante Zugangsmöglichkeit scheint hier wieder einmal in einem technischen Wesensmerkmal des Internets zu liegen, und zwar diesmal in der schnellen Zugriffsmöglichkeit. Geht man davon aus, dass ein Lehrer in seinem Literaturunterricht eine bestimmte Epoche und deren literarisches Schaffen bearbeiten will und folglich seine Schüler vor die Aufgabe stellt, sich darüber zu informieren und vielleicht sogar verschiedene Texte dieser Zeit selbst auszuwählen, so bietet das Gutenbergarchiv eine konkurrenzlos effiziente Lösungsmöglichkeit zur Bewältigung der Aufgabe. Innerhalb eines Mediums können in Sekundenschnelle Informationen zum historischen Hintergrund, zum Autor und dessen Werk eingeholt werden. Bereits wenige Mausklicks genügen, um in den verschiedensten Texten herumzuschmökern. Gerade die Möglichkeit eines individuellen Weges, die Flexibilität und Einfachheit des Zuganges könnten sich positiv auf die zu lösende Aufgabe auswirken, da sich ein Gefühl des eigenen entscheidungs-orientierten Handelns einstellt. Ohne großen Aufwand klickt man neugierig auf Autor und Werk, fasziniert und gleichermaßen beruhigt durch die Tatsache, dass es auch nicht mehr als diesen Klick benötigt, um sich davon wieder zu verabschieden. Hat man nun auf mehr oder weniger komfortablem Wege eine Entscheidung für einen bestimmten Autor getroffen, so kann man, um diese zu veranschaulichen, dessen Kurzbiografie und Werkliste aus dem Archiv ausdrucken, vielleicht sogar einige Textstellen zitieren, die man besonders interessant findet. Die Textlektüre selbst wird in der Regel wohl kaum am Bildschirm stattfinden, dazu wird man dann den Weg in die Bibliothek oder Buchhandlung antreten.

    Dieser geradezu spielerisch anmutende Zugang zu Texten klassischer Literatur scheint für heutigen Literaturunterricht, der nach Klagen der Lehrerschaft gerade in diesem Bereich ein Manko an Motivation verzeichnen muss, ein neuer viel versprechender Ansatz zu sein. Das einfache und individuelle Herumbewegen in der Infrastruktur dieses Archives lässt die darin enthaltenen Autoren und deren Werke nicht so statisch und unangreifbar erscheinen, wie man es von Bibliotheken gewöhnt ist. Der hehre Text verliert dadurch ein wenig von seiner Aura des Besonderen und Unangreifbaren, die Distanz zum Leser wird geringer und lässt vielleicht gerade dadurch etwaige Zugangsbarrieren gar nicht erst aufkommen.

    Auf allen diesen nun beschriebenen Merkmalen gründet die folgende Annahme, das Gutenbergarchiv würde auch im Sinne einer (literarisch eingeschränkten) Lektüre seine Berechtigung finden. Dass diese Lektüre in unserem Falle von den eigentlichen Vorstellungen der Projektinitiatoren abweicht, sollte nicht weiter verunsichern. Letztlich entscheidend ist nur, ob die vorgeschlagene Methode fachdidaktisch effizient anwendbar ist und auch zu verwertbaren Ergebnissen führt. Wird in unserem Beispiel scheinbar ein virtueller Umweg genommen, um schließlich doch wieder beim gedruckten Text in Buchform zu landen, so handelt es sich nicht um widersprüchliches Handeln, sondern vielmehr um pragmatisch funktionale Anwendung einzelner Medien.

    Ein zweiter Anwendungsbereich der elektronisch verfügbaren Texte des Gutenbergarchivs liegt in der ihnen zugrundeliegenden digitalen Form, die ein weiteres Arbeiten am und mit dem Text geradezu anbietet. Ähnlich wie das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim, das deutsche Textkorpora zur Verfügung stellt, können auch die literarischen Texte des Archives für sprachwissenschaftliche Untersuchungen herangezogen werden. Einen interessanten sozio-linguistischen Ansatz könnte auch für die Schule ein Sprachvergleich einzelner Autoren einer Epoche darstellen.

    Verwendet man für diese Untersuchungen Konkordanzprogramme116, um beispielsweise die Häufigkeit bestimmter Termini zu untersuchen, oder auch Parser117, um grammatische Strukturen zu analysieren, so können schon nach wenigen Sekunden (nachdem der Text ins Programm eingespeichert wurde) erste linguistische Aussagen gemacht werden. Im Schulunterricht dürften derlei Aufgaben geradezu prädestiniert sein, um Unterricht in Kleingruppen zu forcieren und Schüler in arbeitsteiliges Arbeiten einzuführen. Das sprachwissenschaftliche Arbeiten meint hier weniger die tatsächlich erbrachten Ergebnisse “linguistischer Forschung” (diese Aufgabe könnte man bestenfalls Universitätsstudenten abverlangen), sondern vielmehr die Fähigkeit der Schüler, in einem Team an gemeinsamen Fragestellungen zu arbeiten, sich bestimmter vorgegebener Methoden zu bedienen und literarische Texte auch aus einer dem Deutschunterricht bisher vielleicht ungewöhnlichen Perspektive zu beleuchten. Und auch dieser Zugang zu Texten lässt die Vermutung offen, dass dadurch ein allgemeines Interesse am Text geweckt werden könnte.

    Man neigt auch hier wieder zu der Annahme, dass das tatsächliche Handanlegen an literarische Werke diese aus dem hehren, aber umwölkten Dichterhimmel herunterholt und für eine Bearbeitung zugänglicher macht. Mehr als eine Annahme kann aber mangels empirischer Forschungen noch nicht abgegeben werden.

    6.1.2 Ernst Jandls “wien:heldenplatz” - eine interaktive Lernumgebung als Alternative zum Lehrbuch118
    Gewissermaßen eine Ausnahme unter den bildungsspezifischen Sites im Internet und gleichzeitig auch einmal eine Kostprobe eines neueren Dichters und so genannten Berufsschreibers stellt die interaktive Lernumgebung zu Ernst Jandls Gedicht “wien : heldenplatz119 dar. Dieses Angebot wurde aber weniger seiner Exklusivität wegen ausgewählt, die darin besteht, einen so genannten nicht copyright-freien Autor im Netz zu präsentieren (mit freundlicher Genehmigung des Luchterhand-Verlages), sondern vielmehr deshalb, da es bereits unter dem Aspekt einer Kombination von fachdidaktischem Inhalt und medienpädagogischen Überlegungen konzipiert wurde.

    Von Matthias Berghoff, der an der Universität Bielefeld im Bereich der “Deutschen Sprache, Literatur und ihrer Didaktik” arbeitet120 stammt das Konzept zum “Assoziations- und Interpretationsraum zu Ernst Jandls ‘wien:heldenplatz’” (AIR-heldenplatz) und dessen Ausführung.

    “Ernst Jandl nocheinmal anders. Eine kleine Projektskizze, dessen Gegenstand ein Gedicht und sein Assoziationsraum ist. Ein "Raum”, an dessen Gestaltung sich jeder Mensch beteiligen kann und soll, der daher prinzipiell unabgeschlossen ist.”121
    In einem Abstract, das ebenfalls unter dem angegebenen URL abrufbar ist, erklärt Berghoff, wozu dieser interaktive Assoziations- und Interpretationsraum dienen soll.

    Eine Überlegung der Medienpädagogik ist es, die Vermittlung von Medienkompetenz in die Fachdidaktikausbildung zu integrieren, da man sich dem Einfluss Neuer Medien im Unterricht ohnehin nicht mehr entziehen kann. Durch die Dominanz des Hypertextes wird hier auch vor allem der Deutschunterricht angesprochen, eine kompetente Umgangsweise mit dieser neuen Textform im Hinblick auf Theorie und Praxis zu vermitteln. Gefordert wird dabei philologische Medienkompetenz, die vor allem Aspekte der Handhabung, Nutzung, Beobachtung und Reflexion von Medien vermitteln soll.122


    Aus dem fachdidaktischen Blickwinkel eines handlungs-, produktions,- identitäts- und kommunikationsorientierten Deutschunterrichts soll hier versucht werden, die Möglichkeiten, Grenzen und Probleme eines Hypermedia-Einsatzes im Unterricht auszuloten.

    Als zweites Lernziel, das bei diesem Projekt im Mittelpunkt steht, werden neue Möglichkeiten und Wege zur Interpretationsarbeit im Deutschunterricht angeboten. Vor allem hierin sieht der Autor des AIR-heldenplatz eine zusätzliche Chance für den Deutschunterricht, i.e. durch den reflektierten Einsatz hypermedialer Lernmittel die Attraktivität123 einzelner Wissensinhalte zu steigern. Die einzelnen Komponenten der Lernumgebung sollten dabei helfen, die Annäherung an ein unzugänglich erscheinendes Gedicht zu erleichtern, sowie ästhetisches Empfinden und die Fähigkeit zur Interpretationsarbeit zu fördern. Die nun folgende Beschreibung des AIR-heldenplatz fasst die vom Autor selbst verfasste Beschreibung dazu in den wichtigsten Punkten zusammen, wird an manchen Stellen kritisch hinterfragt werden müssen und versucht letztlich auch eine curriculumbezogene Einbindung des online-verfügbaren Materials in den Deutschunterricht aus der Perspektive eines konstruktivistisch-kommunikativen Lernansatzes, der den Lehrer in der Rolle des Informations- und Wissensmanagers sieht.



    6.1.2.1 Aufbau, Inhalt und Einsatzmöglichkeiten des “AIR-heldenplatz”

    (AIR)
    Berghoff selbst sieht seinen AIR als Hypermedia-Arbeitsumgebung, die sich an einer Verknüpfung von kognitionstheoretischer und konstuktivistischer Ansätze orientiert, die in der Sekundärliteratur häufig im Umfeld des “instruktionalen Designs” oder des “situierten Lernens” erwähnt werden. Wählt man den URL des AIR an, so erscheint zunächst ein Startbildschirm, der gewissermaßen als Vorwort und auch Navigationshilfe dienen soll, mit dem eigentlichen Inhalt aber noch sehr wenig zu tun hat. Über eine so genannte Frame-Technik124 ist der Bildschirm in mehrere statische, halbstatische und dynamische Objekte unterteilt, die dem Benutzer ein überschaubares Navigieren im Angebot ermöglichen sollen. Über eine eigene Rubrik “Assoziationsraum” steigt man schließlich in den Ort des tatsächlichen Geschehens ein. Grob gesehen teilt sich der Bildschirm nun in zwei Hälften: auf der linken Seite befindet sich das Gedicht Ernst Jandls, das einzelne Worte und Zeilenenden als “hot words” markiert hat. Auf der rechten Seite wird der Nutzer mit einer kurzen Erklärung in die folgenden Bearbeitungsmöglichkeiten eingeführt, die ein Assoziations- und Interpretationsangebot liefern.
    Es werden dabei folgende Rubriken angeboten:

    • Mögliches Wortfeld

    • Thematische Assoziationen

    • Drews

    • Pabisch

    • Jandl

    • Andere

    Die zu leistende Interpretationsarbeit kann also folgendermaßen aussehen. Der Nutzer des AIR liest sich das Gedicht durch und versucht durch die ihm zur Verfügung stehenden Interpretationsangebote der angeführten Literatur-wissenschaftler, des Autors Jandl selbst und auch Einträgen “anderer” Personen die im Gedicht transportierte Botschaft, den Sinn zu ergründen. Ehe man sich also über eigene Interpretationen heranwagen muss, kann man ein wenig ins Heft des Nachbarn schielen, sich also Assoziationen von außen holen und so die eigene Fantasie damit ankurbeln. Wenn man bedenkt, dass so manche Neologismen des Gedichtes Schüler (vielleicht auch Lehrer) zwar nicht sofort erschrecken, aber dennoch ratlos dastehen lassen würden, so scheint dieses Konzept mehr als gelungen. Die Navigationsstruktur wurde bewusst so transparent wie möglich angelegt, um das Angebot mit seiner verdichtenden Information möglichst auszunutzen, ohne dabei die Orientierung zu verlieren. Wurden einzelne Assoziationen aus den fünf zur Verfügung stehenden Bereichen angewählt, kann man auch selbst eigene Interpretationen dazu wagen und diese über die Rubrik “andere” an den AIR per E-Mail schicken. Die Möglichkeit einer interaktiven Teilnahme des Lesers und auch eine Einbringung seiner eigenen Ideen lässt die Distanz zwischen Autor/Werk und Rezipient kleiner werden, vielleicht kann man sogar sagen, dass das vorhandene Interpretationsangebot eigene Versuche des Lesers in diese Richtung stimuliert. Die zusätzlichen Informationen, darunter auch die Möglichkeit durch Multimedia-Einsatz Ernst Jandls Stimme zu hören, runden das virtuelle Angebot ab und nützen die technischen Möglichkeiten des Mediums. Berghoff betont dazu, hier läge der wahre interaktive Aspekt des AIR, der ja nicht als statisches Produkt konzipiert wurde, sondern vor allem auch durch die Einbindung weiterer Inhalte wachsen solle. Ob diese Interaktivität tatsächlich eine so relevante Stelle im gesamten AIR einnehmen kann, wie der Autor dies vorgesehen hat, scheint aber fraglich, da man letztlich doch nur mit dem Medium kommuniziert. Interessanter wäre wohl in diesem Zusammenhang die Frage nach einem wirklichen Mehr an Interaktivität, i.e. in Form einer Kommunikations- und zugleich Diskursmöglichkeit mit dem Autor des AIR, mit Jandl, mit den Literaturwissenschaftlern und mit anderen Besuchern der Lernumgebung. Verständlicherweise wäre dies ein auch aus organisatorischen Gründen nur schwer zu realisierendes Unterfangen, vor allem wenn man an die Beteiligung der prominenteren Personen denkt. Dennoch könnten gerade themenspezifisch geführte Newsgroups oder Mailinglisten das Angebot sinnvoll interaktiv ergänzen und den Forderungen eines kommunikationsorientierten Unterrichts gerecht werden.

    Im Sinne eines induktiven Lernens kann sich der Benutzer schließlich vom Textbeispiel ausgehend selbst mit zusätzlichen Informationen zum Thema versorgen. Wieder auf der linken Seite des Bildschirms (am unteren Rand), werden die Rubriken “Lexikon”, “Hintergrund” und “Aufgaben” angeboten.

    Wählt man das “Lexikon” (das man schon in den Interpretationsangeboten anwählen kann, sobald ein Fremdwort verwendet wird), so kann sich der Nutzer Definitionen, Erläuterungen, Beispiele und Quellenangaben zum gesuchten Begriff ansehen.

    Auch hier wurde wieder auf ein lernertypengerechtes Design geachtet, das den individuellen Vorlieben der einzelnen Nutzer entgegenkommen soll. Die “Hintergrundinformationen” gliedern sich in drei Bereiche: im ersten Teil finden sich Informationen zur sprachlichen Struktur des Gedichts und weitere Texte des Autors. Der zweite Bereich beinhaltet eher weiterführendes, theoretisches Material, also Aufsätze von und über Jandl, Literaturtheorien, Essays, etc. Die dritte Ebene enthält schließlich personelle, historische und geografische Daten, etwa biografische Daten zu Jandl oder den zitierten Literaturwissenschaftlern.

    Alles in allem jedenfalls ein ausführliches Angebot an Material und Informationen, das sich geradezu für den schulischen Unterricht, weil eben gut strukturiert, anbietet und für einen effizienten Einsatz im Deutschunterricht sicherlich ausreichen sollte.



    Berghoff betont, dass diese Lernumgebung auch so konzipiert wurde, dass sie einem selbsttätigem Lernen des Schülers entgegen kommen würde. Man muss ihm dabei wohl Recht geben - vielleicht könnte an manchen Stellen das Angebot ergänzt werden, doch dies ist schließlich Angelegenheit jedes einzelnen Lehrers im eigenen Unterricht. Hierfür eignet sich dann auch die letzte Rubrik der “Aufgaben”. Wenn man davon ausgehen kann125, dass sich die Schüler im Rahmen eines selbsttätigen Lernens die Inhalte des AIR vorbereiten konnten, so kann der Lehrer vielleicht mehr Unterrichtszeit für das Bearbeiten und Lösen von wichtigen Fragen und Aufgaben aufwenden.

    Auch Berghoff sieht die Funktion des Lehrers hier mehr in der Rolle eines “Lernmoderators”, mit dessen Unterstützung nun interpretatorische Fragen, Aspekte sprachlicher Strukturen und auch allgemeine Überlegungen angestellt werden. Handlungs- und produktionsorientierte Didaktik steht im Vordergrund, unabhängig davon, ob man sich als Lehrer an die vorgegebenen Aufgaben nun halten will, oder auch gänzlich neue Fragen formuliert.

    Wichtig scheint nur die Möglichkeit, mit einem pädagogisch und didaktisch durchdachten Konzept alte Inhalte des Deutschunterrichts neu aufzubereiten. Kann man dabei auch noch medienpädagogische und -didaktische Aspekte miteinbeziehen und schulischen Unterricht unserer Lebenswelt (als einen Teilbereich davon muss man das Internet wohl bereits verstehen) ein wenig näher bringen, so scheint der Mehraufwand durch den Einsatz neuer Unterrichtsmittel gerechtfertigt und macht sich hoffentlich in vermehrter Bereitschaft zur Teilnahme am Unterricht seitens der Schüler bemerkbar. Lassen sich diese Annahmen und Hoffnungen in kommenden Studien empirisch belegen, so kann man auf diesem Gebiet der interaktiven, multimedialen Hypermedia-Lernmittel noch einige Innovationen erhoffen, die nicht zuletzt den Geisteswissenschaften einen lange ersehnten Aufwind geben würden.



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