Die neoliberale Wende. Hintergründe und Konsequenzen




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Die neoliberale Wende. Hintergründe und Konsequenzen
Die siebziger Jahre leiteten den Gegenprozeß ein. Das Essentielle dabei war die sogenannte Befreiung der Märkte und der damit verbundene Globalisierungsprozeß. Es ging um die Abkoppelung der Ökonomie vom politischen institutionalisierten (nationalen) Rahmen in dem sie integriert war und ihre Expansion, gleich Verlagerung in das politische Vakuum des supranationalen Raumes als globalisiertes Kapital. Die Globalisierung des Kapitals ging einher und wurde zugleich möglich durch die dadurch entstandene Asymetrie des Verhältnisses zwischen Ökonomie und Politik. Das Politische blieb an die Integrationsordnung des Nationalen gebunden, während das Kapital, befreit von politischen(nationalen) Regulierungsmechanismen, politisch unregulierten Märkten, im supranationalen Raum schuf und sich jeder sozialen Bindung und jedem Verhandlungszwang entledigte. Das Kapital hat sich vom konsensuellen Zwang der Reproduktion des Kapitalverhältnisses befreit. Dies ist eine einfache Formel um die Besonderheit des spekulativen Kapitals zu beschreiben, d.h. um die Eigentümlichkeit des spekulativen Finanzkapitals und dessen Abkoppelung von der realen Wirtschaft zu beschreiben, wodurch die reale Wirtschaft drangsaliert wird und die reale Macht des Finanzkapitals sich durchsetzt.

Als entscheidend für diese Entwicklung können wir folgende Gründe benennen, die faktisch gleichzeitig auftreten, weil sie sich gegenseitig beeinflussen:



  1. Durch die erste und zweite Ölkrise fand ein internationaler phänomenaler Umverteilungsprozeß statt, zugunsten der Öl produzierenden Länder. Riesige Kapitalmengen wurden dem Produktionsprozeß entnommen und in die Finanzökonomie investiert. Das bedeutet, daß neue Kapitalträger über eine Unmenge von Kapital verfügten und das profitabel investieren wollten(Petrodollars). Dieses Kapital produktiv in den Verarbeitungssektor ihrer Länder zu investieren war für sie keine Option a.) weil in diesen Ländern keine Infrastruktur dafür existierte und b.) weil die Kombination von fehlender Industrialisierung und totalitärer oder autoritärer Machtstrukturen sie zu keinem, oder zu äußerst geringen Zugeständnissen gegenüber der Bevölkerung zwangen, d.h. keine nennenswerten materiellen Zusicherungen des sozialen Konsens schienen ihnen nötig zu sein. Gewalt und Religion genügten um die soziale Ordnung und die Disziplinierung der Bevölkerung zu gewährleisten. So suchte dieses oligarchisch verteilte Kapital international schnelle Profite, die nur über den Finanzmarkt zu gewährleisten waren. Dadurch bekamen die Verwalter dieses Kapitals, Banken und Hedge Funds(die damals noch am Anfang ihres Siegeszuges waren) eine immense Macht, da sie über das von ihnen verwaltete Bargeld, das internationale Börsengeschäft, bald bestimmen konnten.

  2. Die Produktionskosten in den entwickelten kapitalistischen Ländern stiegen durch die Kosten des Sozialstaates und obwohl sie eine auch hohe Konsumkapazität in den Industriestaaten bedeuteten, hielten sie die Profitmaximierung des Kapitals in Grenzen, bzw. sie war viel niedriger als die, die in der Finanzbranche mittlerweile erreicht werden konnte. Dadurch beginnt die Mutation der Banken vom Geldlieferanten für die Industrie zu Investitionsbanken auf dem Finanzsektor. Folge davon ist sowohl der Richtungswechsel der Investitionen von der industriellen Produktion in den Finanzsektor, als auch die Verlagerung der Produktion in Länder, die den Sozialstaat und die damit verbundenen Kosten nicht kannten. Noch heute werden 70% der Exporte der Schwellenländer, auch Chinas, von multinationalen Konzernen produziert. Diese Entwicklung in Kombination mit der eigenen Exportindustrie der Länder, die im internationalen Wettbewerb aktiv wurden (zuerst Japan, das im Rahmen einer langfristigen Strategie der Beherrschung des internationalen Marktes die Kosten senkte, und dann die sogenannten Tiger Ostasiens, die bald sehr agressiv mitspielten) begann an den Grundpfeilern des Sozialstaates zu rütteln. Die Regierungen von Thatcher und Reagan leiteten die Demontage des Sozialstaates ein. Weniger Staat, also weniger Sozialstaat und Deregulierung wurde langsam zur herrschenden Ideologie. Die Kosten des Sozialstaates wurden zum Schuldigen der Einschränkung der Konkurrenzleistung der entwickelten Industrieländer erklärt. Zwar führte der Konkurrenzkampf im Rahmen des Kapitalverhältnisses zu einem phänomenalen technologischen Schub(Intensivierung der Arbeit durch Technologie, Produktivitätsmaximierung durch den Einsatz von automatisierten computergesteuerten Produktionsprozessen etc.), aber gleichzeitig wurden durch Technologie und Produktionsverlagerung, die in den dreißig Jahren nach dem II Weltkrieg erreichten sozialen Gleichgewichtsverhältnisse im Rahmen des Kapitalverhältnisses, zuerst destabilisiert und dann demontiert. Die phänomenale technologische Innovation, kombiniert mit der Verlagerung der Produktion, ebnete den Prozeß des Jobless Growth in allen entwickelten Industrienationen und beschleunigte die Umkehrung der erreichten Umverteilung und dadurch die Vertiefung der sozialen Ungleichheit. So wurde z.B. die Inflationsentwicklung der 70ger Jahre vorallem(in den USA) durch Kostenreduzierung mittels deflationären Ungleichheitsstrategien überwunden.

Bald und nach der entscheidenden Krise der Tiger Ostasiens 1997/98 übernahm China die zentrale Rolle bei dieser Industrie und Produktionsverlagerung, gefolgt von der Emergenz der anderen sogenannten Schwellenländer, die unter der Bezeichnung BRIC-Staaten die Neustrukturierung der internationalen Arbeitsteilung bestimmen. Diese Entwicklung hatte und hat eine weitere Konsequenz für die sozialen Machtverhältnisse in den westlichen Industrieländern. Die Verlagerung der Produktion in das totalitäre China und in andere, mehr oder minder undemokratische oder schein demokratische Staaten, wo Traditionalismus, Korruption, Armut, vormoderne Machtstrukturen etc., die falls vorhandene(Indien), formelle demokratische Strukturen in eine leere Hülle degradiert haben, hatte eine entscheidende Konsequenz für das Kapitalverhältnis. Die Notwendigkeit der Domestizierung der Gewalt des Marktes, erzwungen durch die Nachkriegsbedingungen der Reproduktion des Kapitalverhältnisses, wurde durch den Verlagerungsprozeß obsolet. Das Kapital war nicht mehr gezwungen Zugeständnisse zu machen. Der zweite Pol des Kapitalverhältnisses, bald sogar geographisch vom ersten Pol getrennt, wurde, vor allem politisch, quasi marginalisiert. Unter dem gewaltigen Druck der industriellen Reservearmee der armen Landbevölkerung und unter den immensen Disziplinierungsmechanismen der totalitären oder autoritären Staaten in denen jetzt der zweite Pol des Kapitalverhältnisses in einem ausschlaggebenden Umfang instaliert ist, kann eben dieser zweite Pol keine Bedingungen stellen, kann keine Verhandlungsposition beziehen, um die Ungleichheit des Kapitalverhältnisses zu relativieren.

Er ist der zweite monumentale Sarkasmus der Geschichte(der erste war die Realisierung der Diktatur des Proletariats als Diktatur über das Proletariat), daß der Kommunismus(also der Totalitarismus der KP Chinas) zur essentiellen Garantie der Ungleichheit des Kapitalverhältnisses wurde. In den Worten von Jin Liqun, Aufsichtsratvorsitzender der China Investment Corporation, des mächtigen chinesischen Staatsfonds: “Die Wurzel des ganzen Ärgers(in den westlichen Industriestaaten) sind der überbordende Sozialstaat...und die faul und träge machenden Arbeitsgesetze. Die Menschen müssen härter und länger arbeiten”. (Die Zeit, No 43, 20.10.2011, S.26).

Die Politik ist – außerhalb der alten Industrieländer- kein Störfaktor. Im Gegenteil, sie wird zum entscheidenden Faktor der Reproduktion des internationalen Kapitals und seiner Profitmaximierung auf der globalen Ebene, die Politik eben als Praxis gegen den Demokratisierungsprozeß, als Negation des Politischen. Gleichzeitig begünstigt diese Disziplinierungsfunktion der autoritären oder semiautoritären Staaten, den Verlagerungsprozeß der industriellen Produktion und schmälert dadurch rapide die Verhandlungsposition des zweiten Pols des Kapitalverhältnisses in den alten Industrieländern. Und das entweder durch die tatsächliche Verlagerung der Produktion, die der arbeitenden Bevölkerung jegliche materielle Verhandlungsbasis raubt, oder durch die ausgesprochene oder unausgesprochene Drohung der Verlagerung(Das betrifft z.B. Deutschland. In Deutschland wurde der angelsächsische Weg nicht befolgt. Die industrielle Produktion wurde in einem hohen Maße nicht verlagert(Die Logik des sogenannten “Ruhr-Kapitalismus”), was hauptsächlich den Bereich des industriellen Mittelstandes betrifft, aber die Option der Verlagerung vorallem in den ex-sowjetischen osteuropäischen Raum ist immer präsent). Zwar bleiben die entscheidenden Technologie-Zentren in den westlichen Industrienationen beheimatet und sind für die noch existierende Vormacht des Westens entscheidend, aber a.) die technologische Implementation der wissenschaftlichen Innovation wird mittelfristig auch in diesem Bereich die Verhältnisse ändern. Die Innovationskette: Forschung – Wissen – technologische Anwendung(Produktion) – Wissen spricht eher dafür, daß auch hier eine, diesmal nicht beabsichtigte, Verlagerung stattfinden kann. Dazu kommt, daß das kapitalkräftige China durch den Kauf von westlichen Investitionsgütern, Firmen und westlichen Verarbeitungsindustrieanlagen den Prozeß beschleunigen wird, da dadurch auch das wissenschaftlich-technische Know How gekauft wird. Hinzu kommt, daß die Staatsverschuldungskrise der Eurozone chinesisches Kapital für den Kauf von Staatsanleihen braucht, was zu der Akzeptanz von Bedingungen führen wird, die u.a.den oben genannten Prozeß beschleunigen wird. b.) dies hat keinen Einfluß auf das Wachstum ohne Beschäftigung. Zwar wird eine Zahl von hochbezahlten Wissenschaftlern, Designern etc. in den westlichen Industrienationen vorerst bleiben, aber die Produktion findet woanders statt, wodurch die Zahl der Arbeitslosen im Westen wächst.

Diese Entwicklung wird durch eine zweite Konsequenz der Globalisierung und der Verlagerung der Produktion ergänzt. Trotz künstlich gehaltener Unterbewertung des Yuan (Remnibi), was natürlich auch die in China produzierenden multinationalen Konzerne(70% der chinesischen Exporte werden durch diese Konzerne produziert)unterstützen,die die interne Konsumkapazität einschränkt und das Land zur größten Exportnation der Welt verwandelt, wächst die Konsumkapazität der neuen Mittelschichten. Diese neuen Mittelschichten, deren Entwicklung die größte politische Gefahr für das kommunistische System zumindest potentiell bedeutet, ersetzen um das Vielfache, die verlorenen Konsumenten in den westlichen Industrieländern.



  1. Das Volumen des international zirkulierenden Finanzkapitals (1), die Veränderungen des Welthandels und der intenationalen ökonomischen Konkurenz (2)schon Ende der 60ger Jahre/Anfang der 70ger Jahre, aber auch ganz konkret die immensen Kosten des Vietnamkrieges, hatten die amerikanische Regierung gezwungen, den Dollar vom Goldstandard abzukoppeln und die Konvertibiliität der Währungen zum Dollar frei zu lassen. Dadurch wurden die festen Wechselkurse abgeschafft, der Spekulation über die Wechselkurse der Währungen Tür und Tor geöffnet und das Abkommen von Bretton-Woods für beendet erklärt. Somit war das Ende der post- Kriegs Stabilität, die das Bretton-Woods Abkommen gewährleistet hat, beendet und damit auch der internationale Regulierungsrahmen, der in den jeweiligen nationalen Gesellschaften den Sozialstaat möglich gemacht hat. New Deal und Sozialstaat treten zurück, um erneut dem Paradigma des effizienten Marktes, der Selbstreferenzialität und der Autopoiese des unfehlbaren Marktes Platz zu machen. Die Politik muss sich erneut der säkularen Metaphysik des unfehlbaren Marktes unterstellen.

Der eigentliche Störfaktor Politik, also die Politik als Medium der Konstitution und Reproduktion des Politischen, ist unter den neuen Bedingungen auf wundersame Weise aufgehoben. Politik als Prozeß der Domestizierung der Gewalt des Marktes ist nicht mehr nötig bzw. sie wird als solche vom Geschehen verdrängt. Das Kapitalverhältnis braucht nicht mehr, oder immer weniger, den Konsens der sogenannten Sozialpartner als Voraussetzung seiner Stabilisierung und Reproduktion. Für die Disziplin in der industriellen Produktion sorgt der Totalitarismus des realen Kommunismus in Kombination mit dem Druck der immensen industriellen Reservearmee der Landbevölkerung und mit der realenPerspektive der absoluten Armut zu entgehen. Diese Entwicklung sorgt gleichzeitig für die Herrstellung des entsprechenden Konkurrenzdrucks, der für die nötige Diszipinierung der noch existierenden industriellen Produktion in den westlichen Industrieländern notwendig ist.

Durch Verlagerung, und der dadurch entstandenen auch internen Disziplinierung der sozialen Forderungen, wird das Kapital von jeglicher gesellschaftlichen Bindung befreit. In seiner “ reinsten” Form als spekulatives Finanzkapital, kann es global agieren, ohne sich den Zwängen des Kapitalverhältnisses, das den entwickelten Nachkriegs-Industriekapitalismus spezifisch charakterisiert hat, unterzuordnen. Das Privatinteresse kolonisiert erneut das öffentliche Interesse indem es sich seiner Zielsetzung unterordnet. Das Gemeinwohl folgt dem Untergang des keynsianischen Sozialvertrages. Es wird obsolet bzw. privatisiert, d.h. es wird den dadurch entstandenen Bedingungen des Marktes unterstellt und somit von den Interessen des Marktes abhängig. Die klarste und gleichzeitig die brutalste Form der Einkommensumverteilung, die durch diese Entwicklung realisiert wurde, findet sich in der massiven Veränderung der Steuerleiter zu Gunsten einer reichen Minderheit. Das Finanzkapital wird faktisch kaum mehr besteuert. Es setzt sich auch dadurch vom Politischen ab.



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