Die erneute Herrschaft des Finanzkapitals. Der Marktradikalismus
Der entscheidene Wendepunkt war die Annullierung des Glass Steagall Gesetzes von 1933 im Jahre 1999 von der Regierung Clinton, also die Abschaffung der Trennung der einfachen Banken(der Banken, die Ersparnisse konzentrieren und Geld an Unternehmen und Haushalte leihen) von den Investitionsbanken(Investment Banks). Dadurch konnte die eigentliche Party beginnen.
Die Verdrängung des Sozialstaates, die Herabsetzung der Produktionskosten, im Rahmen der Globalisierung der Produktion, bei einer rapiden Verbreitung der Konsumkapazität durch die Integration der Schwellenländer auf dem Weltmarkt und einer, künstlich über Kredite gewährleisteten, hohen Konsumkapazität in der westlichen Welt(die rasanten Profite der chinesischen Wirtschaft werden in amerikanischen Staatspapieren angelegt, wodurch ein kontinuierliches Wachstum der Konsumkapazität auf Pump in den USA ermöglicht wurde) ermöglichen immense Profite die jetzt - sozial ungebunden -in den Finanzsektor investiert werden. Die Banken mutieren in Investitionsbanken und gefolgt von den Hedge Funds(deren globaler Charakter auch von den Investitionsbanken übernommen wird) investieren nicht mehr in die Produktion sondern in das Finanzsystem selbst. Das Finanzkapital investiert in das Finanzkapital. Damit das möglich wird reichen Aktien und Währungsgeschäfte(durch die Befreiung der Wechselkurse ermöglichte Währungsspekulation) nicht mehr. Neue Finanzprodukte werden ausgedacht und erschaffen oder alte schon existierende Beiprodukte des Finanzgeschäfts treten in den Vordergrund und bilden das Zentrum der Finanzinvestitionen. Die “Finanzindustrie“ produziert ihre “innovativen“ Produkte: Derivate, options(to sell or to buy), leverages, Verbriefung von Krediten, Verbriefung von Hypotheken, undurchsichtige Zusammensetzung von Finanzprodukten, Kreditausfallversicherungen, (CDS‘s, CDO ‘s) etc.
Die Zeit der Mathematiker war gekommen. “Innovative“ Finanzprodukte werden kreiert und die Rating Agencies garantieren ihren Wert. Die Autopoiese des Systems erreicht einen tatsächlich historischen Höhepunkt. Das Paradigma des fehlerfreien effizienten Marktes, befreit von der Störung des Politischen, erreicht seine säkulare Offenbarung. Der Exostrakismus der sozialen Dimension, die Verdrängung des Politischen ermöglicht die Reinheit des Paradigmas. Die Welt als Differenzialgleichung kennt keine Krisen, keine Störung. Wahrscheinlichkeitsrechnungen exilieren jede Wahrscheinlichkeit von Gefahr. Die Formeln, die mathematischen Instrumente die man jetzt zur Verfügung hat mit Hilfe der Computertechnologie, garantieren die Fehlerfreiheit. Die Mathematisierung der unsichtbaren Hand lässt den ursprünglichen einfachen liberalen Grundgedanken zur gesicherten Konstruktion der Zukunft mutieren. Die Zeit ist für den Profit entscheidend, da alles sich auf die Berechnung der zukünftigen Folgen jeder Finanztransaktion stützt. Die Daten der Vergangenheit des ökonomischen Verlaufs werden in mathematischen Formeln systematisiert und in die Wahrscheinlichkeitsrechnung integriert, damit die gegenwärtige Zukunft, die gegenwärtig errechnete Zukunft, die zukünftige Gegenwart(Vogl) fest und sicher berechnen kann. Die Black-Scholes Differenzialgleichung ist vielleicht die berühmteste Formel dieses Anspruchs der Fesselung der Zukunft. Das Paradigma ist(politisch) rein und deswegen fehlerfrei, weil es in sich ruht und sich selbst produziert. Somit scheint es die reale Welt zu beherrschen, ja mit ihr(und mit ihrer Zukunft), identisch zu sein, da das Politische und somit die Gesellschaft aus dieser Realität verbannt wurde, dank einer Politik, die das Politische als irrationalen Störfaktor akzeptiert hat. Die reine Vernunft des Marktes, ausgedrückt und beschrieben durch die reine Vernunft der mathematischen Formeln, kann endlich, als herrschendes Paradigma, die Irrationalität des Politischen, die mehr als dreißig Jahre, in der Ära des Keynsianismus die ungehinderte Geltung des Marktparadigmas verhindert hat, aus der Logik des Kapitalismus verbannen. Das selbstreferenzielle und sich selbst produzierende Finanzkapital hat die beste aller (Finanz)Welten geschaffen. So konnte es ein derartiges Volumen erreichen, so daß seine Irrationalität nicht mehr kontrollierbar war und deswegen schließlich 2007/2008 implodierte.
Nach Berechnungen des IWF erreichte 2010 das Volumen der Devisengeschäfte 995 Billionen Dollar, das Volumen der außerbörslich gehandelten Finanzdevirate 601 Billionen, das Volumen der gehandelten Aktien und Bonds 87 Billionen, während der Wert aller produzierten Güter und Dienstleistungen, also das Brutoinlandprodukt weltweit 63 Billionen Dollar ausmachte. (Der Spiegel, Nr.34, 27.8.2011 S.60 ff)
Die gemäß dem Marktparadigma für unmöglich gehaltene Krise trat unerwartet(da durch die Wahrscheinlichkeitsrechnungen abgeschafft) ein und ließ die Konstruktion der besten aller Welten des Finanzkapitals zusammenbrechen. Das global agierende Finanzkapital suchte dann die einzige mögliche Rettung, eine ihm äußere Rettung, die Rettung durch die Aktivierung des Politischen. Die sichtbare (gesellschaftliche) Hand mußte die Folgen der Irrationalität der mathematisierten reinen Vernunft der unsichtbaren Hand tragen, um den Zusammenbruch zu verhindern. 1929 fand sich im Jahr 2007/2008 wieder und es dauert noch an. Die Asymetrie der Weltwirtschaft, die durch die Durchsetzung der Politik der Ungleichheit entstanden ist und die Ungleichheit selbst machten diese für die Wahrscheinlichkeitsrechnungen des reinen Marktparadigmas so unwahrscheinliche Krise nicht nur wahrscheinlich, sondern äußerst real.
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