Thomas A. Bauer, Marko Ivanisin, Bernd Mikuszeit (Hrsg.) Evaluierung von Bildungsmedien und Multimedia Kriterien und Weiterbildungsangebote Internetpublikation zum Projekt




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Zweites Beispiel: 1989: Der November und wie es dazu kam

Multimediales Bildungsprodukt 1989: Der November und wie es dazu kam befasst sich mit den Geschehnissen im Herbst 1989 in der ehemaligen Tschechoslowakei, die sich im Kontext des Endes des Kalten Krieges und dem Zerfall der bipolaren Welt abspielten. Das Produkt ist als Hilfe für Lehrer im Geschichtsunterricht gedacht und bildet eine Sammlung von Material an, die frei auf den Webseiten des Instituts zum Studium totalitärer Regime und des Instituts für zeitgenössische Geschichte AV ČR zugänglich ist und auf die auch als Quelle für weitere bei der pädagogischen Arbeit verwendbare Materialien verwiesen wird. (http://www.ustrcr.cz/cs/listopad-1989, http://www.czechoslovakia1989.cz/). Im Gegensatz zur Multimedia-DVD zum Jahre 1968 ist für dieses Produkt kein allgemeines Bildungsziel festgesetzt worden, es wird vor allem als Datenbank mit Bild- und Filmmaterial deklariert. In der Einführung wird direkt gesagt, dass „es sich um eine Datenbank geeigneter Sequenzen handelt, die Sie nach eigener Erwägung und ganz nach Belieben benutzen können“.

Die eigentliche DVD ermöglicht es, mithilfe ausgewählter zeitgenössischer Film- und Fernsehaufnahmen ausgewählte politische und gesellschaftliche Aspekte des Herbstes 1989 zu beleuchten, und zwar vor allem anhand von Resonanzen des Jahres 1968 (etwas tendenziös als „Schatten von achtundsechzig“ bezeichnet), der Umbauphase als Ausgangskontext für die Änderungen, der politischen und kulturellen Opposition und Beispielen, wie es bei Demonstrationen zuging, dem damaligen Verhältnis von Kultur und Politik, dem Verlauf der eigenen gesellschaftlichen Veränderungen mit Andeutung der Entwicklung der Ereignisse in ausgewählten weiteren Ländern (Polen, DDR, Ungarn, Rumänien).

(a) Pädagogisch-inhaltliche Anforderungen: sachliche Anforderungen wie faktische Richtigkeit, Datenrelevanz … und ethische Anforderungen wie Beziehung zum Thema, Stärkung des Verantwortungsbewusstseins ...


Die DVD besteht aus sieben in sich geschlossenen Einzelthemen mit den Titeln:
1. Der Schatten von 1968,
2. Umbau- Versuch einer Veränderung(?),
3. Opposition,
4. Demonstration,
5. Kultur und Politik,
6. Revolution und
7. Blick zu den Nachbarn.

Die einzelnen Teile (Kapitel) werden durch einen kurzen Erklärungstext eingeführt und sind in Unterkapitel strukturiert. Diese Untertitel entfallen bei den Kapiteln „Kultur und Politik“ und „Blick zu den Nachbarn“. Die Einführungstexte bieten eine grundlegende Charakterisierung der Themen und sollen eine Art Vorzeichen für das zeitgenössische Material darstellen. Das Kapitel „Opposition“ wird zudem noch um den Abschnitt „Arbeit mit dem Text“ ergänzt. Er konzentriert sich auf die Darstellung der Oppositionsgruppe Tschechische Kinder in der zeitgenössischen Presse.

Das beurteilte Multimediaprodukt bietet eine Menge inspirativen Materials, bewegt sich aber gewissermaßen zu sehr auf einer „Metastudienebene“. Zum Beispiel im Abschnitt „Schatten von achtundsechzig“, der sich doch mehr dem Einfluss des Prager Frühlings von 1968 auf die Geschehnisse vom Herbst 1989 widmen sollte, finden sich als Materialien fast ausschließlich „Reflexionen“ von Protagonisten, die am Geschehen 1989 nicht teilnahmen, da sie in der Emigration waren (Jiří Hochman, Jiří Pelikán a Josef Škvorecký).

Begleittexte sind stellenweise nicht in der Lage, eine allzu expressive Formulierung zu vermeiden (über das Dokument Belehrung zur Krisenentwicklung: „Die Belehrung stellte einen verbindlichen Katechismus der Normalisierungszeit dar“).

Die Auslegung ist notorisch unausgewogen und leidet darunter, dass sie kein ganzheitliches Bild zeichnet. So bieten die Ausführungen über die Opposition zum Beispiel eine eigenständige interpretative Präsentation über die monarchistische Bewegung „Tschechische Kinder“, einschließlich von Beispielen aus der zeitgenössischen Presse, ohne dabei eine Erklärung der realen Stellung der Bewegung in der tschechischen/slowakischen Gesellschaft und innerhalb der Oppositionsbewegungen zu liefern.

Das Produkt weist einige elementare Unstimmigkeiten sachlicher Art auf. So enthält beispielsweise der Abschnitt „Blick zu den Nachbarn“ Material über Rumänien, das kein Nachbarstaat der ehemaligen Tschechoslowakei war.

Das Multimediaprojekt ähnelt aufgrund seines „Angebotscharakters“, der in kommunikativer Hinsicht sehr eintönig und nicht interaktiv ist, eher einer autoritären, mittels des Angebots an authentischem Material zur Unterrichtsverwendung objektivierten Interpretation. Weder die Materialstruktur noch das angebotene Material regen zum selbstständigen Nachdenken über die Vergangenheit an und zur Suche nach dem gegenwärtigen Verhältnis zum November 1989. Das existierende Geschichtsbewusstsein bewertet man hier eher als uneingestandenen Interpretationsrahmen, anstatt es als Problem des Verhältnisses zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu thematisieren.

(b) Didaktisch-methodische Anforderungen: didaktische Anforderungen wie Logik der Verarbeitung der Interpretation, Anschaulichkeit …


Sachlich problematisch ist die Vermischung zeitgenössischen und retrospektivischen Materials ohne jegliche Erklärung. Das wird beispielsweise im Spielszenenausschnitt „Nomenklatur-Kontrolle“ von Regisseur Fero Fenič aus dem Jahre 1990 deutlich, der im Abschnitt „Umbau- Versuch einer Veränderung(?)“ die Parteifunktionärsmacht veranschaulicht.

Das beurteilte Multimediaprodukt resigniert zwar programmatisch vor der Abgabe einer ganzheitlichen Interpretation (vgl. vorausgegangene Ausführungen). Dabei ist es jedoch zweifellos von einem klaren, wenn auch nicht deklarierten Interpretationsrahmen unterlegt, was deutlich sein didaktisches Potential schwächt. Das angebotene Material ist ohne einen erklärenden Auswahlschlüssel zusammengestellt worden. Weder die „Methodischen Blätter“ noch die vorgefertigten Präsentationen (bei denen das völlige Fehlen von Verweisen auf die übrigen, sich auf der DVD befindlichen, Materialien erschwerend hinzukommt) bieten dem Nutzer eine große Unterstützung

Die Verwendbarkeit der Hilfsmittel wird nicht nur durch einen unklar definierten Interpretationsrahmen erschwert, sondern auch durch die nicht sonderlich hohe Qualität der didaktischen Verarbeitung der einführenden Auslegungen. Diese sind von überflüssigen und im Falle der Verwendung in der Schule kontraproduktiven akademischen Begriffen durchsetzt. Das verringert die Textverständlichkeit. Dies gilt beispielsweise für die Einführung zum Kapitel „Der Schatten von 1968“ mit dem Titel „Das Jahr 1968 und die Kraft der Normalisierung“, in dem sich sachlich sicher akzeptable Formulierungen des Typs „Die verbindliche Interpretation des Prager Frühlings und des nachfolgenden Konsolidierungsprozesses stellte einen imaginären Konflikt des Normalisierungsdiskurses dar“ oder „Die aus der krisenhaften Entwicklung mittels detaillierter Analyse des Verlaufs der Kontrarevolution gezogene Lehre wurde unter anderem durch einen normativen Katalog gesellschaftlicher Werte definiert, der den öffentlichen Raum der Normalisierung durchzog und sich im gesamten gesellschaftlichen Geschehen widerspiegelte“ (Die Lehre aus der krisenhaften Entwicklung war ein im Jahre 1970 vom ZK der KSČ genehmigtes Dokument, in dem die offizielle Interpretation des Geschehens des Prager Frühlings formuliert wurde).

Das Materialangebot ist ohne einen erklärenden Auswahlschlüssel zusammengestellt worden, sodass auch die methodischen Blätter oder die vorgefertigten Präsentationen (bei denen zudem die gänzliche Abwesenheit von Verweisen auf anderes Material der DVD zu beanstanden ist) kaum weiterhelfen.

Die Einführungen kommen auch nicht ohne – wenngleich effektvolle – Urteile des Typs „Die Unfähigkeit zur Änderung symbolisierte die Machtlosigkeit der Alten“ aus (Einführungstext zum Kapitel Umbau).

Problematisch bleiben das didaktische und methodische Niveau der methodischen Blätter, da ihre Autoren hier erneut versuchen, nach der Methode vorgeschlagener Fragen und vorweggenommener möglicher Antworten (laut deren Diktion „Modellantworten“) vorzugehen. So bieten sie beispielsweise im Abschnitt „Umbau- Versuch einer Veränderung(?)“ den bereits erwähnten Ausschnitt „Nomenklatur – Kontrolle“ und dazu die Fragen „Was sagt diese Szene aus? Was meinen Sie, wurde der Fahrer bestraft?“ mit Modellantworten „Die Nomenklatur hatte in der Gesellschaft außerordentliche Privilegien. Ihre Macht reichte jedoch weit über die formalen Beschränkungen hinaus.

Die informelle Autorität, über die ihre Angehörigen verfügten, machte sie zu regelrechten Eigentümern des Staates, einschließlich dessen offizieller Repräsentanten.“ auf die erste Frage und: „Im Film wird es zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber aus der nachfolgenden Szene geht hervor, dass er nicht bestraft wurde“.

(c) Medial-gestalterische Anforderungen:




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