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Qualitätsansprüche an Bildungsmedien
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bet | 22/221 | Sana | 26.06.2021 | Hajmi | 0,9 Mb. | | #15184 |
Qualitätsansprüche an Bildungsmedien
Es muss nicht eigens und lange erörtert werden, dass Qualität so etwas wie eine operationale Fiktion (Schmidt 2003:17) ist, die nur im Kontext der Spannung zwischen Idealvorstellung und Realgebrauch, zwischen normativer Erwartung und praktischer Erfüllung Sinn macht. Qualität ist demnach ein durch normative Kriterien gestütztes Diagnosekonzept, zusammengesetzt aus Kriterien und Standards, mittels dessen ein Befund über die strukturelle und funktionale Tauglichkeit von Projekten, Produkten - hier: von Medien – für den spezifischen Gebrauchszusammenhang, den sie implizit oder explizit adressieren. Die Erwartungen sind nie absolut, nie objektiv, sondern immer kontextbezogen (relational) und graduell wie materiell je nach Erwartungsbewusstsein (Erwartungshaltung) unterschiedlich nivelliert (relativ). Der Qualitätsbegriff ist ein Einschätzungskonzept, mit dem der Wert eines Produktes oder eines Projektes in Bezug auf deren Nutzen in einem spezifischen Gebrauchszusammenhang beschrieben wird. Obwohl es sich jeweils um situativ unterschiedliche Kontexte des Gebrauchs handelt, kann man aber doch von für (empirisch und normativ, funktional und strukturell) vergleichbare Gebrauchszusammenhänge vergleichbaren und gleich gerichteten Werte- und/oder Nutzerwartungen ausgehen.
Angewandt auf die Bestimmung der Qualität von Bildungsmedien geht es zum einen um Standards, mit denen Strukturen (Ausstattung) auf ein Kompetenzniveau festgelegt werden. Zum andern geht es um Kriterien, mit denen Funktionen (Leistungen) auf ein Kompetenzniveau festgelegt werden. Bei beiden Qualitätskomponenten, bei Kriterien wie bei Standards, geht es weniger um das materielle (Was-) Programm(z.B. Inhaltsaspekte eines Medienproduktes, Medienprogrammes oder Medienprojektes) als vielmehr um das modale (Wie-) Programm (Medienmodus, Modus des Mediengebrauchs), weil im Zusammenhang des Mediengebrauchs – nämlich Bildung - Werte eine Rolle spielen, die sich nicht an des konkrete Medium, sondern an dessen Gebrauch heften, die nicht nur im Moment des Unterrichts- oder Bildungsprogramms relevant sind, sondern für zeitlich und thematisch weitreichendere Horizonte. Im Anschluss an die zuvor dargelegten Zusammenhänge muss doch noch einmal im deutlich gemacht werden, dass die im folgenden anzusprechenden Qualitätskriterien nicht solche „der Medien“, sondern eben solche des Mediengebrauchs sind, in dessen Zusammenhang Betroffene (Produzenten, Lehrer, Schüler) immer auch die Beteiligten der Wert- und Qualitätsbestimmung sind. Die Zusammenhänge, die es dabei zu beachten gilt sind:
Der Produktionszusammenhang: Wer konstruiert ein Medienprogramm mit welcher Absicht, welchen Zielvorstellungen, mit welchem Verhältnis zu Inhalt und Inhaltsdarstellung und welchem Wissen um die Bedingungen der Nutzung und der Verwertung?
Der Lehrzusammenhang (Instruktionszusammenhang): Wer nützt welche Medienprogramme mit welcher Absicht, mit welchen Zielvorstellungen, mit welchem Verhältnis zum Inhalt bzw. der Inhaltsdarstellung und mit welcher Haltung in Bezug auf Bildungssituation und Bildungsrahmenbedingungen und mit welcher Haltung gegenüber den Lernenden?
Der Gebrauchszusammenhang (Bildungszusammenhang): in welchem Maße verbinden die genutzten Medienprogramme Lehrer und Lerner zueinander in eine Bildungs- bzw Diskurspartnerschaft?
Der Verwertungszusammenhang bzw. Konstruktionszusammenhang: was – welches Wissen, welche Erkenntnisse und Orientierungen, welche Folgerungen können Lernende -jeweils unter Berücksichtigung ihres individuellen Lebenskontexts – aus im Bildungskontext genutzten Medienprogrammen für sich und für ihre gesellschaftliche Selbstbeschreibung nachhaltig verwerten?
Der Gesellschaftszusammenhang:
Im Versuch, für alle diese Kontexte mögliche Kriterien und Standards der Qualität auszumachen, muss man die gegebenen Rahmenbedingungen des gesellschaftlichen Wandels mitbedenken. Der gesellschaftliche Wandel ist das gesellschaftlich inhärente Programm der laufenden Veränderung von Kommunikation (auch Medien), insofern Gesellschaft eben das ist, was ihre Kommunikation ausmacht. In diesem Sinne ist der gesellschaftliche – bzw. der Medienwandel nicht ein Geschehen, das sich vor unseren Augen abspielt, sondern Phänomen, das mit unseren Augen sichtbar wird. Wenn Gesellschaft sich beobachtet, dann beobachtet sie sich mit den Modellen und unter Referenz auf jene Modelle, die sie sich vorstellt zu sein, sein zu können, sein zu wollen oder sein zu sollen. Der gesellschaftliche Wandel ist also kein von der Beobachtung unabhängiges Geschehen, kein Beobachtungsobjekt, sondern ein Beobachtungskonzept (vgl. Bauer 2011globalisierung).
Der Medialitätszusammenhang:
Nichts ist in dieser Gesellschaft medienfrei, weil alle gesellschaftlichen Interaktions- und Kommunikationsprogramme, die gesamte symbolische Interaktion mittelbar oder unmittelbar über Medieninfrastrukturen gespielt und über Mediendiskurse verhandelt werden. So wird Politik zunehmend zu Medienpolitik, Wirtschaft immer mehr zu Medienwirtschaft, Religion immer mehr zu Medienreligion, Wissen zunehmend zu Medienwissen und Bildung immer mehr zu Medienbildung in des Wortes zweifacher Bedeutung: Medienbildung als zunehmend über Medien vermittelte und im Modus von Medien performierte Bildung; und Medienbildung im Sinne der Kompetenz aus und in der Darstellung von Realität die Logik der Medien kritisch mitzudenken. Das Phänomen, mit dem wir hier konfrontiert sind, heißt schlicht: die Medialität des gesellschaftlichen Lebens, die im Sinne des Diktums von Marshall McLuhan - Das Medium ist die Botschaft - ist der theoretische wie pragmatische Code des gesellschaftlichen Zusammenlebens . In der Mediengesellschaft brauchen Botschaften, die als solche erkennt und für relevant gehalten werden wollen, Medialitätscharakter: Erst über diesen Filter erhalten Botschaften jenes Maß an Aufmerksamkeit, Zuwendung und Interesse, das Wissen und Handeln bdegründet.
Medialisierung und Mediatisierung (vgl. Krotz 2008) sind die Phänomene, die in diesem Kontext zunehmend beforscht werden. Beide Charakterisierungen gelten dem Phänomen, dass Alltagszusammenhänge, Lebenszusammenhänge und gesellschaftlich relevante Organisationszusammenhänge ohne funktionalen Medienbezug nicht zu leisten und nicht zu schaffen sind. Das fordert natürlich auf der anderen Seite die Kompetenz (Fähigkeit, Fertigkeit, Verantwortung) Medien so zu gebrauchen, dass sie tatsächlich als Erschließungsperspektive von und für Wirklichkeit dienen. Das mag, so der kulturkritische Zugang zu Medienanalyse (vgl. Anders 1980, Bauer 2006, 2008), möglicherweise nur bedingt gelingen, wenn und weil die Medienlogik ja nicht nur durch die technische Ästhetik bestimmt wird, sondern ökonomische Interessen. Im Schlepptau dieser Logik erkennt man - insbesondre im Kontext Internet-, social media- und mobile media-Nutzung - eine Reihe von oftmals beschriebenen Phänomenen (vgl. Krotz 2008): zunehmende Kommerzialisierung, Privatisierung und Individualisierung des Mediengebrauchs, zunehmende Funktionalisierung der Lernprozesse (Ausbildung, Anwendung), zunehmende Technisierung der Lernprozesse, zunehmende Entertainisierung der Lerninhalte und Lernumgebungen, zunehmendes Outsourcing der Lernprozess aus Schule und Bildungseinrichtungen, organisierte Entwicklung des Bildungsmedienmarktes.
Stellt man die Frage nach der Qualität von Bildungsmedien im Kontext von Medienbildung, dann heißt Medienqualität eigentlich: der kompetente Gebrauch von Medien. Dort wo dieser Gebrauch sich aufteilt in Rollen und/oder Professionen der und der Rezeption, ist diese Kompetenz (Zuständigkeit, Fertigkeit, Verantwortung) dann technisch, ästhetisch, ethisch ausgeschöpft, wenn Produktionsrollen sich mit Interesse und Verantwortungsbewusstsein in die Erwartungslage und Gebrauchszusammenhänge von Rezipientenrollen versetzen und diesen Habitus in der Produkt- bzw. Programmstruktur der Medien kenntlich machen. Umgekehrt ist diese Kompetenz (Zuständigkeit, Kapazität, Verantwortung) technisch, ästhetisch und ethisch auf Seiten der Rezipientenrollen dann hinreichend ausgeschöpft, wenn diese sich der Selektivität ihrer (und der anderer) Medienbeobachtung bewusst sind und die Medienangebote in diesem Sinne als mögliche, nicht notwendige Ressource im täglichen Aufwand der Konstruktion von Wirklichkeit wahrnehmen und die Ausrichtungen ihres Lebens darauf bewusst einstellen.
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