Diskurskogik:
Alles, was einen gesellschaftlichen Zusammenhang ausmacht, kann man, weil es sich ja immer um Gesprächszusammenhänge oder im Gespräch dargestellte und konstituierte und konstruierte Zusammenhänge handelt, Diskurs nennen. Greift man zurück auf das schon besprochene Aneignungsmodell (im Sinne von Mimetik), dann macht dieses noch einmal deutlich, dass jede Gesprächsbeteiligung nicht einfach nur über den Weg der Nutzung von sprachlichen Strukturen (Syntaktik, Semantik, Pragmatik – vgl: de Soussure 1974 geschieht,, sondern immer als soziale Praxis, also als (affirmativ oder emanzipatorisch) eingefühlte Nachahmung und Individualisierung der sozial-kontextuellen Gestik. Die „Ordnung der Diskurse“ (Foucault 1974) entspricht also den sozial-strukturellen Gegebenheiten, die Foucault in der Regel als hierarchisch geordnet beschreibt. Diskurse sind in dieser Interpretation Gesprächszusammenhänge, die quer über die diversen Gelegenheiten von Ort, Zeit, Medien und gewollter, gesollter oder zufälliger Beteiligung zu einem abgrenzbaren Themenkomplex stattfinden und, weil es ihnen ja um die Bestimmung und Rationalisierung von Wahrheit und darin um Geltungsansprüche geht (Habermas 1980), an Strukturen sozialer Ordnung (Macht) gebunden (Foucault 1974), daher auch in der Regel der Begründung und Verteidigung von Chancen (Jäger xyz) dienen, daher um Legitimation und Recht mithilfe rhetorischer Strategiemuster (Wodak xyz) wetteifern und sich in diversen sozialen Ritualen verstricken, in denen es weniger um die Entdeckung als mehr um die Durchsetzung (Wiederholung und Verbreitung) von Erkenntnis (Flusser 1998) geht. Jedem Diskurs liegt also eine gewisse (soziale, rationale, kognitive, pragmatische) Rationalität zugrunde, wie der mehr oder minder ausgeprägten Komplexität eines Thema und dessen Differenzpotenzial auf möglichst breiter Ebene der Beteiligung beizukommen wäre. Das Rationalitätsmotiv verlangt in der Praxis eine sozial kontextualisierte Geste zur Unterstützung und Durchsetzung von Aussagen, Meinungen oder Deutungen (Macht, Position auf der Basis von Funktion, Autorität oder Wissen), um beteiligte Probleme wie z.B. Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Verlässlichkeit) zu bewerkstelligen.
Diese skizzenhafte Beschreibung des Diskursmodells macht aber schon deutlich, dass der Komplex, den sich Bildung nennt, in der gesellschaftlichen Praxis historisch jeweils genau in diese Diskursordnungen eingepasst wurde und wird. Bildung wurde immer und wird auch heute noch als Schlüssel zu Kapital-, Herrschafts- und Machtpositionen verstanden, selbst wenn dieses Kapital mitunter beschönigend als „soziales“ oder „kulturelles“ Kapital (Bourdieu 1982 verkürzend) beschrieben wird. Diese extrinsische Wertung findet in der derzeit zunehmend praktizierten Ökonomisierung von Bildung (z. B. Bewirtschaftung der Studienplätze an Universitäten) eine problematische Zuspitzung, die im Verbund mit der (vielleicht anders gemeinten, aber doch so realisierten) Bologna-Struktur zu einer Standardisierung und Schematisierung von institutionell verwalteter Bildung führt, die so gut wie nichts mehr zu tun hat mit dem dem kulturellen Bildungskonzept inhärenten Motiv der freien Wahl von Bildungsinhalten. Im Zuge der zunehmend ökonomisch ausgelegten Organisation der Gesellschaft wurde auch der Bildungskomplex zunehmend funktionalisiert und instrumentalisiert. Das dem Bildungskonzept inhärente Diskursmuster wird zunehmend stromlinienförmiger, was eben auch heißt: der soziale Gebrauch von Bildung wird zunehmend affirmativer und im Hinblick auf die Chancen und Chancenwahrnehmung auf dem Arbeitsmarkt: zunehmend repressiver.
Die diskurslogische Beschreibung von Bildung macht auf der einen Seite deutlich, dass Bildung als soziale Agentur verstanden wird, in der und durch die Wahrheit (wozu auch immer) und Ordnung (wovon auch immer) geltend gemacht werden sollen, weswegen sie auch in den Modellen der jeweils herrschenden sozialen Ordnung daherkommt. Sie macht aber auch deutlich, dass im Sinne der Realisierung von Chancengleichheit es nicht nur auf eine wohl ausbalancierte Verteilung von Bildungsressourcen (Bildungspolitik) ankommt, sondern vor dieser auf eine gleichheitslogische (bewusst sozial-emanzipative) Konzeption einer kritischen Bildungsidee (Bildungstheorie). In einem kritisch-theoretischen Modell von Bildung sind Aufklärung und Emanzipation die beiden korrespondierenden Motive von Wissen und Erkenntnis (vgl. Enzensberger 1970), durch die das intrinsische Freiheitsmoment von Bildung begründet und kulturell gesichert wird: Aufklärung als das kognitive, Emanzipation als das soziale Befreiungsmotiv. In diesem Sinne bleibt die theoretische Hoffnung, dass der sozialisierte Gebrauch von Bildung unter marktlogisch entspannteren Bedingungen und jenseits eines breiten Konsolidierungsdrucks einem sozialen Gebrauch von Bildung (wieder) Raum für Diversität, Flexibilität und Häresie (Wahlfreiheit) schafft.
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