Thomas A. Bauer, Marko Ivanisin, Bernd Mikuszeit (Hrsg.) Evaluierung von Bildungsmedien und Multimedia Kriterien und Weiterbildungsangebote Internetpublikation zum Projekt




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Bildung als kultureller Habitus
So wie ein politisches Europa an der Schaffung bestmöglicher Bedingungen der zivilgesellschaftlichen Partizipation interessiert sein muss, so muss das kulturelle Europa daran interessiert sein, die bestmöglichen Bedingungen der Identifikation seiner Bürgerinnen und Bürger mit dem historisch und gesellschaftlich herausfordernden Projekt sein. Die wichtigste Ressource des kulturellen Europa ist Bildung. Schon der Ansatz, eine soziale Einheit auf der Basis und Dank kultureller Verschiedenheit sein bzw. werden zu wollen, fordert eine überlegte und bewusst intendierte Mentalität und strapaziert mit Sicherheit jeden sonst schnell eingebrachten Reflex konservativer Identitätskonzepte gegen Fremdes, Neues, Ungewohntes. Um das zu leisten, also zu verstehen, dass der Andere mein Nächster ist, weil (nicht: obwohl) er (ethnisch, sprachlich, religiös, kulturell, alltagspraktisch) anders ist, verlangt auf der theoretischen Ebene neue (dialektische) Identitätskonzepte, hergeleitet aus der Perspektive von Diversität und Kommunikation (vgl. Hipfl 2001) und nicht (wie bisher gerne) aus dem Familien- und Nationenmodell (gemeinsame Sprache, gemeinsame Grenzen, gemeinsame Geschichte).
Im Hinblick auf diese nun weit ausgelegte Landschaft Europäischer Kultur braucht es ein Bildungskonzept, das natürlich Wissen integriert und sich am Interesse von Wissen aufrichtet. Es braucht aber über jede bloße Kumulation von Wissen hinaus ein (zumindest einmal theoretisch konzipiertes) Bildungsmodell, das die Perspektive der Kommunikation miteinbindet, zumindest derart, dass in den Begriff die Beobachtung der Umwelt miteinschließt oder – noch besser – zum Fokus macht. Dann ist Bildung nicht mehr Besitz, sondern Haltung, ein Konzept, das nicht Eigenschaften beschreibt, sondern einen Habitus im Sinne Bourdieus (1974): eine produktive Grundhaltung, mit der der Mensch sich in der Lage (fähig, zuständig, verantwortlich) weiß, sein Verhältnis zu all dem, was um ihn herum geschieht so zu bestimmen, dass er zwischen kritischer Beobachtung und empathischer Annäherung jeweils die Position der Souveränität nicht nur halten, sondern stärken kann. In dieser Konzeption ist Bildung ein sozial-integratives, kommunikatives Modell von Kompetenz. Souverän ist nicht der, der sich absondert, sondern der, der sich auch in neuen Situationen (sozialen, kulturellen und symbolischen Umgebungen) intellektuell, kognitiv, emotional und habituell so einordnet, dass er sich gerade wegen des Bezugs zu seiner Umwelt sich seiner selbst vergewissert weiß und es nicht nötig hat sich unter- oder überzuordnen. Die Bildungskomponenten: Wissen, Reflexion, Kritik und Analyse, sowie Einstellung und Haltung geben genug Position sich gesellschaftlich zur Dispositon stellen zu können, das heißt: sich differenzierte Meinung zu bilden und sie so in den Diskurs einzubringen, wo immer er sich ergibt.
Diese Konzeption von Bildung, die sich der Perspektive des kognitiven wie sozialen Konstruktivismus (vgl. Piaget 1973, Vygotsky 1986 zugeordnet weiß, geht weit hinaus über eine eindimensionale, kausale Beschreibung von Aneignung, Besitz (Talent) Eigenschaft oder Vererbung (z.B. Sprache, Wissen, Intelligenz), entfernt sich bewusst von Elite- und/oder Hierarchie-definierten Rollenmodellen (Vorbild, Persönlichkeit, Autorität, Oben-Position) und versucht Bildung als gesellschaftliches wie gesellschaftlich generiertes Gut, als Kompetenzmotiv der Lebensführung der Gesellschaft zu verstehen und in diesem Sinne als ein der Würde des Menschen intrinsisch begründetes und im Rahmen demokratischer Gesellschaftsauffassung von Partizipation generell entsprechendes Recht auf Chance, Möglichkeit und Herausforderung der Sinn-Deutung des Lebens wie des jeweils gewählten oder durch Umstände zugedachten Lebensvollzugs - immer im Hinblick auf und unter Einrechnung der jeweils gegebenen Umweltlichkeit, in welcher Lage er immer auch lebt und in welchem Zusammenhang auch immer er mit sich und seiner Umwelt zurecht zu kommen versucht. Dieser Zugang fordert die gesellschaftspolitische Dimension des Bildungsbegriffs ein, rechnet damit, dass sich im Bildungsprofil der Gesellschaft deren Kommunikationskultur (Medienkultur) wiederspiegelt und setzt darauf, dass individuelle Bildungslücken nicht dem Individuum (Schicksal oder Verschuldung) angelastet, sondern den Kommunikationslücken und den Strukturfallen der Gesellschaft zugeordnet werden. Nur so lässt sich, zumindest einmal theoretisch, die – insbesondere im Kontext von zunehmend über Medienmodelle vernetzten gesellschaftlichen Partizipation - bestehende Kluft zwischen Bildungsarmut und Bildungsreichtum schließen. In diesem Sinne wäre der Mythos von der Bildungsgesellschaft produktiv: eine solche verstünde sich konkret als sozialer Lebenszusammenhang, der sich im Modus von Bildung und deren Partizipation und Verteilung konstituiert und organisiert, indem dem jeweils individuellen Lebensvollzug ein soziales, kulturelles und symbolisches Ambiente wechselseitigen Vertrauens vorgelegt würde, das sich dem Individuum gegenüber als die jeweils eigene Sinnkombination von Nutzen, Ästhetik und Ethik (vgl. Edmair 1968: 61) rechtfertigen würde. So ausgelegt und gesellschaftlich eingebunden wäre Bildung als die Ressource der Gesellschaft auch das intrinsische Motiv individueller Selbstverwirklichung im Wissen um die gesellschaftlichen Bedingungen der Konstitution und Konstruktion Individualität. Ein in diesem Sinne gesellschaftstheoretisch ausgedeuteter Bildungsbegriff baut auf folgenden Schlüsselkonzepten:

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