Anhänge A1 Schriftliche Rechenverfahren über mehrere Zeilen
Allen schriftlichen Rechenverfahren ist gemeinsam, dass die Ziffern der betreffenden Zahlen in ein räumliches Verhältnis zueinander gestellt werden. Dies erleichtert das Auswählen der jeweils zu manipulierenden Zahlenteile. Weder die Darstellungspraxen noch die ihnen zugrunde liegenden Algorithmen sind jedoch universell. Auch innerhalb des deutschen Sprachraums sind sie nicht einheitlich.
In der Brailleschrift verfolgen schriftliche Rechenverfahren dieselben Ziele wie in der Schwarzschrift. Zumeist spiegeln ihre Darstellungsweise und Algorithmen den Schwarzschriftgebrauch wider. Zur Illustration könnte sogar ein Rechenverfahren der Schwarzschrift in Brailleschrift abgebildet und erläutert werden. Die medialen Unterschiede der Braille- und Schwarzschrift führen in der täglichen Praxis zu geringen Unterschieden in den jeweiligen Verfahren. Zum Beispiel:
Mit dem Kugelschreiber kann man leicht von einer Zeile zur anderen springen. Um mit der Brailleschriftmaschine erneut auf eine frühere Zeile zu wechseln, muss das Papier zurückgedreht werden. Aufgrund mechanischer Ungenauigkeiten der Maschine verrutschen neue Zeichen bezogen auf schon geschriebene. Zudem können die Zeichen der nachfolgenden Zeilen solange nicht gelesen werden, bis das Papier herausgedreht wird und die Zeilen wieder erscheinen. Aus diesen Gründen werden häufig Verfahren gewählt, die kein Zurückdrehen des Papiers erfordern.
In der Schwarzschrift können Zahlen bzw. Ziffern durchgestrichen und neue unmittelbar darüber oder darunter geschrieben werden. Auch das Notieren von Übertragszahlen auf engem Raum ist unproblematisch. Solche Verfahren — die auch beim Kürzen von Brüchen Anwendung finden — sind in der Brailleschrift nur eingeschränkt möglich.
Gewisse Brailleschriftsymbole sind erst erkennbar, wenn ihre Position innerhalb der Brailleform eindeutig ist. Besonders in Bezug auf schriftliche Rechenverfahren sind Punkt 1 (Ziffer 1), Punkt 2 (Dezimalkomma) und Punkt 3 (Gliederungszeichen) als potenzielle "Stolpersteine" zu erwähnen. Durch vertikale Bewegungen der Finger, die in schriftlichen Rechenverfahren unvermeidlich sind, wird die Punktreihe innerhalb der Form nochmals schwieriger zu erkennen. Auch deswegen wird bei schriftlichen Rechenverfahren in der Brailleschrift häufiger auf Gliederungszeichen verzichtet als in der Schwarzschrift.
Die Darstellung von Zahlen mit Zahlzeichen weicht prinzipiell von der Schwarzschrift ab und bedingt eigene Überlegungen. Zahlzeichen unmittelbar vor Zahlen führen dazu, dass sie oft in Ziffernspalten (zum Beispiel in der Hunderter-Spalte) stehen und das klare Rechenbild stören. Deswegen werden sie oft mit Abstand zu den nachfolgenden Ziffern geschrieben oder gar weggelassen. Da die Grundoperationszeichen dieselbe Form (aber nicht Position in der Brailleform) haben wie Ziffern, erleichtert ihre Platzierung direkt vor einem Zahlzeichen die Positionserkennung und daher die Unterscheidung von Ziffern.
Wenn ein Kind das Dezimalkomma oft mit der Ziffer 1 verwechselt, kann es zweckmäßig sein, eine Zeit lang in Rechnungsaufstellungen ein Vollzeichen anstelle des Kommas zu schreiben.
Es werden mehrere Varianten für schriftliche Rechenverfahren in der Brailleschrift gezeigt, ohne dass ihnen vorschreibender Charakter zukommt.
Als Beispiel eines von der Schwarzschrift markant abweichenden Verfahrens wird zudem die lineare Addition erläutert.
Bei der Addition von ganzen Zahlen sind nur kleine Unterschiede in den verschiedenen Darstellungsformen in der Braille- und Schwarzschrift zu verzeichnen. Sie betreffen vor allem die Platzierung der Zahlzeichen, die Wiederholung des Pluszeichens und die Unterstreichung des Ergebnisses.
Bei größeren Zahlen werden Gliederungszeichen (Tausendertrennzeichen) mit Vorteil weggelassen, weil sie leicht mit einer Ziffer 1 verwechselt werden können.
Da es in Brailleschrift technisch schwieriger ist, werden Übertragszahlen nicht so oft notiert wie in der Schwarzschrift. Einen Gegenstand auf dem Tisch zu platzieren oder zu verschieben kann zum Beispiel daran erinnern, dass ein Übertrag noch zu addieren ist. Falls die Übertragszahlen dennoch notiert werden, muss dafür eine Zeile frei gelassen werden. Damit Überträge von den anderen Zahlen zu unterscheiden sind, kann bei dieser Zeile das Zahlzeichen weggelassen werden. Alternativ können in der Zeile des Summenstriches die Überträge geschrieben werden.
Weisen die Zahlen große Unterschiede in ihrer Länge auf, kann es nützlich sein, die leeren Stellen mit Nullen aufzufüllen. Diese dienen dem Finger zur Orientierung zwischen den Ziffern desselben Stellenwerts darüber und darunter.
Beispiel A1.1 B01
#ade #ade
+# be +# be
:::: --u-
#agj #agj
#ade #ade
+# be +# be
:::: a
#agj :::::
==== =#agj
Beispiel A1.1 B02
# id,geahi # id,geahi
# h,i +# h,ijjjj
+# a,fce +# a,fcejj
:::::::::::: aab
# aje,bhfhi :::::::::::
#aje,bhfhi
A1.2 Subtraktion
Bei der schriftlichen Subtraktion sind zwei grundsätzlich verschiedene Algorithmen zu erkennen. Sie unterscheiden sich erst in Fällen, in denen eine Ziffer in der unteren Zahl (Subtrahend) größer ist als die entsprechende Ziffer in der oberen Zahl (Minuend), wie bei "45 minus 27".
Im deutschen Sprachraum ist das Ergänzungsverfahren am weitesten verbreitet. In diesem Verfahren wird die obere Ziffer durch zehn ergänzt. Im Beispiel von "45 minus 27" wird anstelle von 5 mit 15 gerechnet und die untere Ziffer in der links davon stehenden Spalte um 1 ergänzt: Die 2 wird zu einer 3.
Das andere, international überwiegend verwendete Verfahren ist das Entbündelungsverfahren. Hier wird nicht die untere Zahl ergänzt, sondern die 1 (eigentlich 10) für die 5 der links davon stehenden Ziffer entnommen. In unserem Beispiel wird die 4 zu einer 3.
Rein brailleschrifttechnisch hat das Ergänzungsverfahren den Vorteil, dass immer nur 1 dazu gezählt wird, was sich leichter merken und auch notieren lässt, als die Änderungen beim Entbündelungsverfahren.
In folgenden Beispielen beziehen sich "Übertragszeilen" nur auf das Ergänzungsverfahren.
Beispiel A1.2 B01
#de #de
-#bg -#bg
::: a
#ah :::
=== #ah
Beispiel A1.2 B02
#fcdej #fc.dej
-# bbaj -# b.baj
:::::: :::::::
#fabdj #fa.bdj
=======
Beispiel A1.2 B03
#ajj #ajj,j #ajj%j
-# b,e -# b,e -# b%e
::::::: aaa ::::::
#ig,e :::::: #ig,e
===== =# ig,e =====
|