Arbeitshilfen für die Gestaltung von Gottesdiensten zu Kasualien, Feierragen und besonderen Anlässen




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Sana10.04.2017
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Einführung

Wo wir schwach sind, da sind wir stark

Predigt zur Synodeneröffnung

Wolfhart Koeppen

»Zu allem hat die Kirche etwas zu sagen. Aber wen interessiert das noch?« – Die Frage einer großen Wochenzeitung trifft den Nagel auf den Kopf. Die große Volksbewegung, der religiöse Aufbruch, der begeisterte Neubeginn, die mutige Entdeckung der Freiheit eines Christenmenschen im 16. Jahrhundert, die wir »Reformation« nennen, ist längst Geschichte. Und nicht wenige fragen inzwischen teils zynisch, teils resigniert: War da was?

Schon lange werden Lebenseinstellungen und Lebensstile nicht mehr durch die Familie oder die Gemeinde, sondern durch die Medien, vor allem das Fernsehen und soziale Netzwerke vermittelt. Und Lebensbedingungen und Lebensziele nicht mehr von den Kirchen, ja nicht einmal mehr von der Politik, sondern von der globalisierten Wirtschaft, vor allem den großen internationalen Konzernen und Banken bestimmt.

Dass sich die Kirche in Denkschriften zu Fragen der wirtschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit und der Arbeitslosigkeit äußert, auf Landes- und Ortsebene an vielen Brennpunkten diakonisch tätig ist, in Beratungsstellen die Opfer unserer Leistungskultur therapiert, in Kirchenkonzerten einen Beitrag zum kulturellen Leben leistet und in tausenden sonntäglichen Gottesdiensten Identitäts- und Gemeinschaftspflege betreibt, wird als Bestandteil unserer pluralistischen Kultur mehr oder weniger wohlwollend zur Kenntnis genommen. Aber dass alle diese personal- und kostenintensiven Bemühungen gesellschaftliches Handeln prägen, Bewusstsein beeinflussen, Gerechtigkeit fördern und Bedingungen des Friedens schaffen, wird im Ernst niemand behaupten.

Wohin man kommt, wohin man hört, überall die Frage: Was bringt’s? Was habe ich davon? Mehr als publizistische Kirchenkritik und individuelle Zweifel offenbaren diese Fragen, wie sehr wirtschaftliches Denken und ökonomische Maßstäbe die Reichweite der christlichen Botschaft bestimmen. Wer nicht praktischen Nutzen, finanziellen Erfolg, öffentliche Sicherheit oder wenigstens Spaß verspricht, hat schlechte Karten.

Dessen ungeachtet wird in der Kirche des Wortes unentwegt geredet – auf Kanzeln und in Klassenzimmern, in Kirchenvorständen, Kommissionen und Synoden, in Verlautbarungen und Erklärungen. Aber die allermeisten Aktivitäten – ich zitiere den Holländer Johann Christian Hoekendijk – sind wie ein »emsiges Auf-der-Stelle-treten, das den Eindruck erwecken soll: Aber wir bewegen uns doch!« Wie gesagt: »Zu allem hat die Kirche etwas zu sagen. Aber wen interessiert das noch?«

Nun bringt es freilich nichts, den Zeitgeist zu beklagen und die böse Welt (vor allem die Medien) für die schlechte Presse der Kirche verantwortlich zu machen. Die Alternative kann auch nicht sein, sich in die Nestwärme der kleinen Gruppe zurückzuziehen und nach der Devise »small is beautiful« aus der Not eine Tugend zu machen. Sicher, andere Institutionen – politische Parteien, Gewerkschaften, Verbände – haben ähnliche Probleme. Auch ihnen laufen die Mitglieder davon. Ein schwacher Trost. Denn dass Kirchen und Gemeinden hinsichtlich individueller Akzeptanz und gesellschaftlicher Relevanz de facto nicht viel mehr sind als Vereine zur Pflege religiöser Folklore (auch dies eine Formulierung des alten Hoekendijk), ist zunächst mal ihr eigenes, ihr hausgemachtes Problem – unser Problem. Denn das meiste von dem, was uns gegenwärtig so verunsichert, ist ja nicht Folge unseres Christusglaubens, Konsequenz eines alternativen Lebensstils, Preis der Nachfolge, sondern im Gegenteil: mangelnden Mutes und mangelnder Zeitgenossenschaft.

Schauen wir uns doch um: Da gibt es viel Betriebsamkeit, aber (von Ausnahmen abgesehen) wenig Begeisterung. Es gibt viel Fleiß und Einsatzbereitschaft, aber auch viel Verbissenheit und Resignation. Es gibt, aufs Ganze gesehen, wenig Mut zum Risiko, zur Veränderung, eher ein trotziges: Weiter so! Bei allem Schielen auf Marktchancen überwiegt die Angst vor der Unübersichtlichkeit des Angebots, in dem die traditionellen Kirchen und Gemeinden nur mehr eine kleine Fachabteilung im riesigen Supermarkt der Religion sind. Und es gibt – ich denke, da werden Sie mir zustimmen – eine große Angst vor Auseinandersetzungen, vor Ziel- und Interessenkonflikten, die kreative Lösungen wirksamer blockiert als aller Gegenwind von außen. Die aktuellen Verteilungskämpfe in unserer Kirche um knapper werdende Finanzen wirken ja deswegen so kläglich, weil die Rasenmähermethode linearer Kürzungen gerade das vermeidet, was so dringend nötig wäre und was alle fordern, aber niemand in Angriff zu nehmen wagt, nämlich die Festlegung von Prioritäten, den Verzicht auf liebgewordene Erbhöfe, den Abschied von eingefahrenen Selbstverständlichkeiten und vor allem den Mut zu Entscheidungen.

Es sieht so aus, als sei Ruhe die erste Christenpflicht, als gäbe es für volkskirchliche Gemeinden nichts Wichtigeres als Harmonie; als sei nichts schlimmer, als Position zu beziehen und sich um klarer Optionen willen in Gottes Namen auch einmal Feinde zu machen; als käme es vor allem darauf an, »unerbittlich nett zueinander zu sein« (Hans Magnus Enzensberger). Deshalb dürfen wir uns als Kirche nicht wundern, wenn wir immer wieder über die eigene Ziel- und Belanglosigkeit stolpern.

Klingt Ihnen das zu kritisch, zu pessimistisch? Darf man so fragen, wo wir doch auf das Jubeljahr »500 Jahre Reformation« zugehen und schon ein bisschen in Feierlaune sind? Sollen wir nicht – allein schon für die kritische Öffentlichkeit – die Errungenschaften jener Epoche werbewirksam herausstellen, anstatt sie in typisch protestantischer Manier kleinzureden? Außerdem können wir darauf verweisen, dass zumindest bei uns in Bayern keine Hamburger Verhältnisse herrschen, dass unsere Kirchengemeinden weithin noch einen anerkannten Platz in der kommunalen Öffentlichkeit haben, dass die Pfarrer immer noch bei der Weihe von Sparkassen oder Kläranlagen als Festredner mitwirken dürfen und dass wir Evangelischen trotz unserer kleinen Zahl akzeptierte ökumenische Partner sind. Ich meine jedoch: Gerade diese angenehmen Selbstverständlichkeiten können den Blick für die anstehenden Probleme und Aufgaben verstellen, erwecken sie doch den Eindruck: Bei uns ist es noch nicht so schlimm, bei uns gibt’s noch nicht so viele Kirchenaustritte, bei uns wird noch jede/r kirchlich beerdigt, bei uns fragt man noch nach der Kirche.

Aber Vorsicht! Als Trittbrettfahrer der großen, dominierenden römisch-katholischen Kirche haben wir’s in der Tat leichter als andere, die sich schon längst auf dem freien Markt unterschiedlichster weltanschaulicher und religiöser Anbieter bewähren müssen. Gerade in der Diaspora profitieren wir immer noch von der altbayrisch-selbstverständlichen Verbindung von Kirche und Folklore. Aber wer garantiert uns, dass das im 21. Jahrhundert noch eine tragfähige Basis ist, um Menschen den Sinn der Kirche und die Bedeutung des Evangeliums plausibel zu machen? Sie zu ermutigen, gegen die übermächtigen Gesetze eines rein an ökonomischen Gesichtspunkten orientierten Denkens und einer von den Medien propagierten Spaßkultur widerstandsfähig zu werden? Fähig und bereit für die mühsamen, riskanten, nicht mehr durch Gewohnheit abgesicherten Schritte konkreter Jesus-Nachfolge?

Darum können wir uns, auch wenn wir’s allesamt gern harmonisch, beschaulich und friedlich hätten, weder als Synode noch als Kirchengemeinden um die unbequemen Fragen herumdrücken, in denen unser Auftrag und unsere Zeitgenossenschaft gleichermaßen auf dem Spiel stehen. Ich nenne nur einige dieser Fragen (mehr hoffentlich in unseren Diskussionen heute):

Für welche Ziele stehen unsere Gemeinden eigentlich? Wie werden diese Ziele bestimmt? Und durch wen? Was wissen wir über die tatsächlichen Fragen, Sorgen, Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen in unseren Gemeinden? Was ist unsere spezifische, unvertretbare und unverwechselbare Aufgabe – an unserem Ort, in unserer Region, in unserer Gesellschaft? Wo ergreifen wir Partei, statt uns vor lauter Angst, zwischen alle Stühle zu geraten, mit Bestandspflege und Vereinsmeierei zufriedenzugeben?

Viele Fragen. Dabei das sind noch längst nicht alle. Und ich bin nicht der Weihnachtsmann oder Frau Holle. Ich habe keine fertigen Antworten im Gepäck. Schon gar keine allgemein überzeugenden und akzeptierten.

»Darum will ich mich am allerliebsten meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi in mir wohne … denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.« Nachzulesen im 2. Brief des Paulus nach Korinth (12,9b.10b). Gewiss, ich bin nicht Paulus. Und wir sind allesamt keine Apostel. Aber Paulus formuliert ja keine zufällige persönliche Erfahrung, sondern ein Grundgesetz der Kirche. Er will nicht aus der Not eine Tugend machen, sondern von dem Zwang entlasten, wir müssten – auch und gerade als Christen – immer noch besser, noch leistungsfähiger, noch zielstrebiger, noch erfolgreicher, noch netter, noch fröhlicher, noch glaubensstärker, noch liebesfähiger und noch hoffnungsvoller sein als andere. Wer sagt denn, dass wir als Christen auf alle Fragen eine Antwort und als Kirche zu jedem Problem auch eine Lösung haben müssten?! Da wäre es wirklich so etwas wie eine neue Reformation – sprich: eine große Befreiung –, wenn wir uns unsere Schwächen, unsere Rat- und Konzeptionslosigkeit, unser Ungenügen am herrschenden Betrieb und die Folgenlosigkeit von unglaublich viel Fleiß, Einsatz und Engagement ehrlich und ohne Selbstmitleid eingestehen könnten, statt immer noch zu tun, als wären wir wer, als wären wir wichtig, als hätten wir den Leuten wirklich etwas zu sagen, als stünde die Kirche noch mitten im Dorf.

Da feiern wir mit unglaublichem Aufwand »500 Jahre Reformation«. Aber gleichzeitig erleben wir, wie zerbrechlich alle unsere kirchlichen Selbstverständlichkeiten geworden sind. Wir erinnern uns an die großen Aufbrüche des 16. Jahrhunderts und sind gleichzeitig damit beschäftigt, ängstlich festzuhalten, was scheinbar unsere Bestände garantiert. Umso wichtiger ist die Erkenntnis, dass die Tragfähigkeit des Evangeliums und die Tragkraft des christlichen Glaubens weder von unseren Erfolgen abhängt noch durch unsere Defizite widerlegt werden kann. Denn wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber nicht bedrückt. Wir zweifeln, aber wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt, aber wir sind nicht verlassen. Wir sind am Boden, aber nicht am Boden zerstört. Ja, das Sterben Jesu ist unser Kennzeichen, damit man auch das Leben Jesu an uns erkennt. (2 Kor 4,7–10): Worte eines Menschen, der vom Christenglauben, von Gemeindeaufbau und kirchlichem Leben mehr verstanden hat als wir alle …

Ja. Das wäre stark: Wenn wir zu unserer Schwäche stehen könnten, ohne Angst, das Gesicht zu verlieren! Das wäre ein konkretes, verständliches und nachvollziehbares Bekenntnis zu dem Christus, dessen Gnade genügt, damit aus Schwachheit Segen wachsen kann (vgl. 2 Kor 12,9). Das wäre ein befreiendes Gegenmodell zur Diktatur der herrschenden Leistungs- und Erfolgskultur, in der vor lauter Fortschritt, Wachstum, Gewinn- und Marktorientierung immer mehr Menschen auf der Strecke bleiben. Das würde ansteckend wirken und Schule machen. Das wäre eine Erklärung der reformatorischen Rechtfertigungslehre, die wirklich das Leben betrifft.

Deswegen sag ich mal ganz direkt: Hören wir damit auf, uns gegenseitig unsere tatsächlichen oder vermeintlichen Erfolge vorzuführen; teilen wir lieber unsere Fragen, Ängste und Sorgen! Hören wir damit auf, in Pfarrkonferenzen und Synoden heile Welt zu spielen, als sei es mit ein bisschen Oberflächenpolitur getan! Bringen wir stattdessen den Mut auf, öffentlich und freimütig die Schwächen unseres Christenglaubens und die Schwachstellen unseres kirchlichen Lebens einzugestehen! Trauen wir uns – und nun wirklich wörtlich genommen! – in Jesu Namen, unsere Ratlosigkeit zuzugeben, unsere Ziel- und Konzeptionslosigkeit zu bekennen, anstatt so zu tun, als sei es mit ein paar kosmetischen Operationen und dem einen oder anderen Reförmchen getan. Setzen wir gegen die allgegenwärtige Erfolgsreligion nicht nur verbal, sondern praktisch das Bekenntnis zu dem Christus, der bis heute unvergessen ist, weil er keine Angst hatte vor der eigenen Schwäche und sich gerade deshalb mit der Schwachheit der Schwachen einlassen konnte!

Ich schließe mit einer kleinen Geschichte. Die steht zwar nicht im Neuen Testament, nicht mal bei Martin Luther, sondern bei dem jüdischen Theologen Martin Buber. Aber ich finde, sie passt. Denn sie bringt unsere Lage auf den Punkt und sie beschreibt, was zu tun ist:

»Einst hatte sich einer im tiefen Wald verirrt. Nach einer Zeit verirrte sich ein zweiter und traf den ersten. Ohne zu wissen, wie es dem ergangen war, fragte er ihn, auf welchem Weg man hinausgelange. »Das weiß ich nicht«, antwortete der erste, »aber ich kann dir Wege zeigen, die nur noch tiefer ins Dickicht hineinführen. Und dann lass uns gemeinsam nach dem Wege suchen.«



31. Oktober


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