• Luther spricht Predigt zum Reformationsgedenken an Allerheiligen Peter Remy
  • Was hätte Luther zur Finanzkrise gesagt Peter Remy
  • Wenn der Angst die Luft ausgeht Familienvesper zwischen Reformation, Halloween und Allerheiligen Arno Schmitt
  • Liedpredigt über »Nun freut euch, lieben Christen g’mein«




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    Liedpredigt über »Nun freut euch, lieben Christen g’mein«

    Wolfgang Max

    Strophe 1–3 singen

    Das Lied »Nun freut euch, lieben Christen g’mein« ist das zweite von Martin Luthers Liedern. Erschienen ist es im Jahr 1523 auf einem Flugblatt. Flugblätter waren wichtig für die Verbreitung der Reformation. Rasch gelangten sie von Wittenberg nach Straßburg und auf einem der Wege von da lag Pforzheim. Durch Pforzheim ging die wichtige Handelsstraße Nürnberg – Straßburg. Man weiß, dass 1522 in Pforzheim ein Franziskanermönch evangelisch gepredigt hat. So kann man sich gut vorstellen, dass man hier bereits 1523 Flugblätter mit unserem Lied in Händen hielt.

    Das erste Lutherlied war ein Märtyrerlied, gedichtet in Reaktion auf den Tod zweier junger Augustinermönche. Sie wurden am 1. Juli 1523 wegen ihres Bekenntnisses zu Luthers Lehre auf dem Brüsseler Marktplatz öffentlich verbrannt.

    Das Lied »Nun freut euch, lieben Christen g’mein« ist auch als Reaktion auf den Tod der ersten Märtyrer der Reformation entstanden. Luther befasst sich mit deren Schicksal, er geht um mit der Frage, ob sie etwa von Christus verlassen worden seien. Ihr Tod könnte ja eine Strafe Gottes sein für ihre reformatorischen Gedanken. Aber er hört für sie und für sich selbst und für alle anderen, die in Not und Tod sind, wie Christus spricht: »Denn ich bin dein und du bist mein, und wo ich bleib, da sollst du sein.«

    Völlig fern sind ihm alle Rache- und Vergeltungsgedanken: »Nun freut euch lieben Christen g’mein.« Luther macht zum Thema, was tröstet, was aufrichtet, was fröhlich springen, was mit Lust und Liebe singen lässt, was zum Leben und auch zum Sterben hilft. »Das laß ich Dir zur Letze.« So lautet der letzte Satz. »Letze« kann sowohl Abschied als auch Labung heißen.

    »Denn ich bin dein und du bist mein, und wo ich bleib, da sollst du sein.«

    Christi Zusage ist Trost im Sterben und Ermutigung zum Leben. Er sagt: »Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten, damit ihr seid, wo ich bin.« Er sagt auch: »Siehe, ich bin bei euch alle Tage.«

    Der Liederdichter ist auch der Schöpfer der Melodie. Sie entsteht in Anlehnung an die Melodie eines Liebesliedes und hat den Rhythmus eines Tanzes. Was lässt Luther dieses Stilmittel wählen? Manche sagen, er bediene sich der Liebes- und Tanzmelodie um der Popularisierung seiner Gedanken willen. Über die ›Pop-Melodie‹ erreicht er die Leute. Aber hinter der Melodie steckt mehr: Es ist ihm in seinem Inneren zum Springen und Tanzen und Lieben.

    Es gab etwas, was Luther aus tiefer innerer Not half. Luther hat für diese Not die Namen Teufel, Sünde, Tod. Ich will versuchen, das in unsere Zeit zu übersetzen:

    Teufel ist, was sich zwischen den Menschen und Gott schiebt, was den Menschen so sehr gefangen, so sehr in Beschlag nimmt, dass er Gottes Güte nicht glauben kann. Teufel ist, was das Denken und Empfinden verwirrt, was zu teuflischen Taten verleitet. Terrorismus ist ein Extrembeispiel für diese Sache. Es kann jedoch auch mein und dein Problem sein: dass wir Gottes Güte nicht sehen können, und nicht gütig sein können.

    Sünde steht für Isolation, für Einsamkeit, für Trennung zwischen Gott und Mensch und von Mensch und Mitmensch. Sie hat eine aktive und eine passive Seite. Die aktive Seite: trotziges Nein Gott gegenüber. Die passive: dass wir nicht vertrauen können.

    Der Tod ist letzter Ausdruck der Isolation, der Vereinzelung des Menschen. Tod steht für absolute Kälte.

    Teufel, Sünde, Tod. Luther fasst das in dem Ausdruck »Elend« zusammen. »Elend« meint in der damaligen Sprache Ausland, Fremde. Martin Luther wollte nicht für sich bleiben. Nicht im Leben und nicht im Tod. Er wollte Gott finden. Den gnädigen Gott, den Gott, der Gemeinschaft gewährt. Er wurde zu einem Suchenden. Er wurde zu einem – wie man heute sagen würde – spirituellen Menschen.

    Aber die Methoden, die man ihm damals anbot – sie halfen nichts. »Mein guten Werk, die galten nicht.« Kloster, Fasten, Wachen, Schriftstudium, Übungen zur Gottesliebe – es half nicht weiter.

    Spirituelle Suche als Bemühung, das Elend, die Isolation zu überwinden – es half alles nichts. Es verstärkte die Verzweiflung.

    Die Veränderung kam von außen. Und das ist es, was ihn in seinem Inneren anrührt zum Springen und Tanzen und Lieben.

    »Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermaßen …«

    Strophe 4–9 singen

    »Gott wandt zu mir das Vaterherz«. Gott tritt in Christus aus der Verborgenheit heraus, »er kommt ins Elend her zu mir« und macht sich mir solidarisch in Christus. In Christus gelingt die Integration in die Gottesgemeinschaft.

    In zwei starken Bildern drückt ML die Gemeinschaft mit Christus aus: im Bild des Bruders. »Er sollt mein Bruder werden.« Christus legt die Hand auf deine Schulter und sagt dir: Ich, Christus, dein Bruder, stehe dir bei.

    Das andere Bild von der Gemeinschaft mit Christus ist das von Braut und Bräutigam: »Ich bin dein. Und du bist mein. Und wo ich bleib, da sollst du sein«

    Was sind das für Worte? Es ist die Sprache Liebender. Sie versprechen sich: Wir gehören zusammen, wir bleiben beieinander. Wir gehen miteinander durch dick und dünn. Und mehr noch: Wenn ich meine gute Bleibe gefunden habe, dann soll es auch deine Bleibe sein.

    Stellen Sie sich ein großes, gemaltes Herz vor, in dem diese Worte stehen: »Ich bin dein …«

    Der ewige, geheimnisvolle Gott tritt in Christus aus der Verborgenheit heraus in eine geschwisterliche Güter- und eine partnerschaftliche Schicksalsgemeinschaft mit mir. Meine Schmerzen werden seine Schmerzen. Meine Angst wird seine Angst. Meine Schuld wird seine Schuld, mein Tod sein Tod. Christi Gemeinschaft mit Gott wird meine Gemeinschaft mit Gott und sein Leben mein Leben.

    »Da bist du selig worden.« Die beglückende Seligkeit gewinnt Raum und findet Ausdruck, wird angeeignet und eingeübt im Singen und Springen.

    Das Wort Christi: »Du bist mein und ich bin dein« eröffnet den Brautreigen. Und wir sind eingeladen, uns einzureihen »zu Gottes Lob und Ehren.«

    Luther spricht

    Predigt zum Reformationsgedenken an Allerheiligen

    Peter Remy

    Liebe Gemeinde zu Alsfeld, es ist noch gar nicht so lange her, dass ich hier bei euch war. Es war erst im Sommer letzten Jahres, als ihr hier den Abschnitt eines Pilgerweges eröffnet habt. Einen Pilgerweg, den ihr ausgerechnet nach mir benannt habt: »Lutherweg«! Dem Herrgott habe ich dann gesagt: »Ich bin dann mal weg! Ich muss zu denen nach Alsfeld, bevor da was schief läuft mit der Pilgerei …«

    Ich hab dann gesehen, dass ihr das mit dem Pilgern anders meint und macht – nicht mehr wie das »elende Geläuf«, mit denen die Papisten zu meiner Zeit das gemeine Volk zu religiösen Höchstleistungen aufforderten, um sich die Gnade Gottes zu verdienen. Gottes Gnade verdienen – wie sie allen Ernstes meinten in ihrer gnadenlosen Selbstüberschätzung, in ihrer Sklavenmoral, mit der sie das Volk knechteten und niederhielten. Wer von uns könnte sich die Gnade Gottes verdienen? Leben können wir aus ihr!

    Nun, ich will nicht abschweifen. Denn heute bin ich wieder aus einem bestimmten Anlass zu euch gekommen. Vielleicht denkt der Eine oder die Andere von euch jetzt: »Ja, o. k. Schön, dass du da bist, Luther. Aber du bist einen Tag zu spät. Gestern war doch Reformationstag!« Ich weiß, warum ich heute hier bin. Zum einen, weil ich über die Bezeichnung »Reformationstag« nur lachen kann! Als ob man die Sache, um die es mir damals ging und immer noch geht, an einem Tag abhandeln könnte. Gut, ich hab gehört, 2017 wollt ihr es immerhin auf ein ganzes Jahr ausdehnen – da kommen wir der Sache schon näher! Mir hat jedenfalls ein ganzes Leben nicht gereicht, um meiner geliebten Kirche näherzubringen, was das heißt: »Reformation an Haupt und Gliedern.« Es heißt bestimmt nicht: öfter mal was Neues! Das vermeintlich Alte über den Haufen werfen. »Es juckt den Leuten die Nase nach Neuerungen. Das war schon zu meiner Zeit so. Unsere Natur ist so, dass wir allezeit etwas Neues haben wollen und nicht mit der überlieferten und empfangenen Lehre zufrieden sind. So ist die Tür nach hinten und vorne offen, dass der Teufel einen freien Zutritt hat und allerlei Irrtum einführen kann.« (zit. bei Aland, Lutherlexikon 980.981). Übrigens: alles, was ich heute hier sage, habe ich so auch aufgeschrieben damals vor 500 Jahren zur Zeit der Reformation.

    Eigentlich müsstet ihr nur auf dieses Wort achten, um zu wissen, worum es mir geht: »Re-Formation«. »Re«, das heißt »zurück« und »formare« heißt »formen, gestalten« Einen früheren, besseren Zustand wiederherstellen, darum ging es mir damals, und das ist heute nicht anders. Dass wir uns besinnen auf das, was zählt, auf das, was trägt und hält. Die Neuerungen sind es jedenfalls selten. »Besonders müssen wir uns als Deutsche dieses Fehlers beschuldigen, denn wir sind immer nach Neuem aus. Wir fangen vieles an, führen es aber nicht durch bis zum Ende … so unbeständig ist des Menschen Herz. Also gib Acht nicht auf den Anfang, sondern auf das Ende. Siehe zu, dass du durchhältst! Wenn schon ein Dichter sagt: Seid beständig und haltet aus im Glück – wieviel mehr sollten dann die Christen sich untereinander zur Beständigkeit ermahnen« (a. a. O. 104 f.).

    Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!, so sagt uns der Seher Johannes in seiner Offenbarung (3,11). Er meint die Krone der Gnade, mit der Christus auch den einfachen Mann zu einem König macht. »Unter diesem Herrn bist auch du reich und selig genug, dass auch kein Kaiser mehr haben kann als du!« (a. a. O. 1286)

    Wenn du daraus lebst, dann weißt du, was Reformation ist, nicht nur an einem Tag, sondern an allen Tagen deines Lebens. Bleibe bei dieser Lehre, dann wirst du selber neu und musst nicht von einer Neuerung zur andern springen – das hat keinen Segen.

    Nun bin ich aber noch eine weitere Erklärung schuldig, warum ich heute zu euch komme und nicht gestern an dem Tag, den ihr den Reformationstag nennt. Damals, vor bald 500 Jahren, habe ich meine 95 Thesen ganz bewusst am Vorabend des Allerheiligentages bekannt gemacht, ans schwarze Brett geschlagen an der Schlosskirche zu Wittenberg. Es ging mir dabei um diesen Tag, den Tag danach, der ja nach biblischer Zählung, wie ihr vielleicht wisst, immer schon am Abend zuvor anfängt: »Da wurde aus Abend und Morgen der neue Tag«, so heißt es in der Schöpfungsgeschichte bei Mose.

    »Allerheiligen« also ist der Tag, an dem ich zeigen wollte, wie weit die Kirche die Lehren der Schrift verlassen hat, des Papsttums Neuerer, könnte man wohl auch sagen: »Sie machten die Heiligen zu Götzen, einen jeden mit besonderer Kraft und Macht, einem übers Feuer, diesem über Wasser, diesem über Pastillen, Fieber und allerlei Plage, so als ob Gott selbst ganz müßig sei und die Heiligen anstatt seiner wirken.« So gewöhnten sich die Leute, mehr Zuversicht auf die Heiligen zu setzen als auf Christus selbst. Ich sage euch: »Abgötterei besteht nicht allein darin, dass man sich ein Bild aufrichtet und anbetet, sondern vornehmlich im Herzen, welches Hilfe und Trost bei Kreaturen und bei Heiligen sucht« (a. a. O.. 11) statt dort, wo alleine sie zu finden sind: bei Christus.

    »Allerheiligen« nannten sie diesen Tag. Wollten wir den Namen mit der Schrift verstehen und nicht gegen sie, so sagt er uns: »Christliche Heiligkeit ist die, wenn der Heilige Geist den Leuten Glauben an Christus gibt und sie dadurch heiligt; d. h. er macht das Herz, Seele, Leib, Werk und Wesen neu und schreibt die Gebote nicht auf steinerne Tafeln, sondern in fleischliche Herzen« (a. a. O.. 686). »Gottes Wort ist der Schatz, der alle Dinge heilig macht. Zu welcher Stunde man nun Gottes Wort handelt, predigt, hört, liest oder bedenkt, so wird dadurch Person, Tag und Werk geheiligt, um des Wortes willen, das uns alle zu Heiligen macht« (a. a. O. 1255).

    So und nicht anders sind wir alle Heilige, die »Gemeinschaft der Heiligen«, gerecht und Sünder zugleich, simul iusti et peccatores, wie es in unserem Kirchenlatein hieß. Als Mönch dachte ich einmal ganz anders. Ich war zerrissen und angefochten, versuchte das Seelenheil zu gewinnen, wie man es uns gelehrt hatte. »Wir waren in dem Wahn, wir könnten nicht beten und würden nicht erhört, wenn wir nicht ganz rein und ohne Sünde wären. So war ich im Mönchtum ein Wollender und Laufender, aber ich kam je länger je weiter davon [vom Ziel] …, denn ich kannte Christus nicht anders als einen strengen Richter, vor dem ich fliehen wollte und doch nicht fliehen konnte. Ich hasste das Wort Gerechtigkeit Gottes, weil ich es nach dem Sinn der Doktoren und Philosophen verstand als Gerechtigkeit, wodurch Gott gerecht ist und die Sünde der Ungerechten straft … So raste ich mit einem wilden und erregten Gewissen und klopfte bei Paulus an, was er denn eigentlich meine, wenn er sagt: Darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben, wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben (Römer 1,17). Da begann ich zu verstehen, dass hier die Gerechtigkeit Gottes gemeint sei, wodurch der Christ durch das Geschenk Gottes lebt, nämlich aus dem Glauben – eine Gerechtigkeit, wodurch uns der barmherzige Gott durch den Glauben gerecht macht. Als ich das erkannte, da hatte ich das Gefühl, dass ich von neuem geboren sei und durch die geöffneten Tore ins Paradies selbst eingehe. Da zeigte mir sofort die ganze Schrift ein anderes Gesicht. Wie sehr ich die Vokabel Gerechtigkeit Gottes vorher hasste, so pries ich sie nun mit großer Liebe als das mir süßeste Wort.« (Martin Luther, WA 54, 185,14 – 186,16)

    Gott macht gerecht durch den Glauben, dich und mich und alle, die ihm glauben und vertrauen. So sind wir die Gemeinschaft der Heiligen. Die erste meiner 95 Thesen sagt darum im Grunde alles: »Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: ›Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen‹, wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei.«

    »Buße« nun aber nicht so verstanden, dass wir zerknirscht auf den Knien zum Altar rutschen, die Heiligen um Fürbitte anrufen und allerlei Händel mit Gott führen um Ablass unserer Sünden. Sondern Buße in der Erkenntnis, dass wir ohne Christus nichts tun können. »Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren, es streit für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Fragst du, wer der ist, er heißt Jesus Christ« (EG 362, 2). Buße heißt Umkehr zu Christus, Erneuerung unseres Sinnes aus dem Geschenk seiner Gnade heraus. Mit unsrer Macht ist nichts getan – aber in unserm Tun wird seine Macht am Werke sein, wo wir aus Glauben leben.

    Vielleicht, liebe Alsfelder, erwartet ihr, dass ich jetzt noch etwas sage zum Flüchtlingsthema oder gar zur Politik. Im Grunde habe ich alles schon gesagt. Ihr wisst es. Vielleicht nur noch dies: Denkt nicht zu hoch von euch und nicht zu niedrig von den andern. Und vergesst nicht: »Die Welt kann nicht nach dem Evangelium regiert werden« (Aland, Lutherlexikon, 993). Aber Gott sitzt im Regiment.



    Was hätte Luther zur Finanzkrise gesagt?

    Peter Remy

    Was hätte wohl Luther zum Euro gesagt? Nein, es folgt jetzt nicht die übliche moralische Empörung gegen die Mächtigen der Finanzwelt, die man so oft unter uns hört. Angesichts der weltweiten Finanzkrise wird ja mittlerweile jedem Talkshowkonsumenten die ökonomische Kompetenz zugemessen, hier ein schnelles Urteil zu fällen und zu wissen, wo die Schuldigen sitzen. Ich traue mir kein Urteil über die komplexen Ursachen der Krise zu außer dem Bekenntnis, dass die Gier und die Verführbarkeit meines Herzens sicher nicht kleiner sind als die der Finanzmanager von Großbanken. Wozu wir als Christen berufen sind, ist auch nicht die Empörung über andere, nicht die Fortsetzung der Talkshow mit geistlichen Mitteln, sondern unser Auftrag ist die Verkündigung des Evangeliums, der frohen Botschaft vom gnädigen und barmherzigen Gott. Darum soll es auch in dieser Andacht gehen. Also noch einmal die Frage vom Anfang: Was hätte wohl Luther zum Euro gesagt? Wohl dasselbe, was er zu seiner Zeit zum Gulden gesagt hat.

    Z. B. dies: »Gold und Silber, Geld und Gut stiften viel Böses unter den Leuten. Soll man darum solches alles wegwerfen? Nein, wahrlich nicht! Ja, wenn wir unseren nächsten Feind vertreiben wollten, der uns am allerschädlichsten ist, so müssten wir uns selbst vertreiben und töten. Denn wir haben keinen schädlicheren Feind als unser eigenes Herz.«

    Aland, Lutherlexikon 232

    Oder auch dies: »Unser Herrgott hat alles zum Genuss und Gebrauch gegeben, nicht aber zur Anbetung und zur religiösen Verehrung. Darum gebrauche das Brot, den Wein, die Kleidung, den Besitz, das Geld, doch setze nicht dein Vertrauen darauf und rühme dich nicht dessen. Denn rühmen soll man sich allein Gottes und auf ihn vertrauen. Ihm allein gebührt die Liebe, die Furcht und die Verehrung.«

    A. a. O.


    Mit dem Geld fing sie an, die Reformation durch Martin Luther. Dies festzustellen ist keine Übertreibung. Ein Blick in die Geschichte genügt. Es war Papst Leo X., der die Peterskirche in Rom prächtig ausbauen und erneuern wollte. Um dieses Vorhaben zu finanzieren, schrieb er einen »großen Ablass« aus. Erzbischof Albrecht von Mainz übernahm den Vertrieb des Ablasshandels für Deutschland und durfte dafür die Hälfte der Einnahmen zur Begleichung seiner großen Schulden beim Bankhaus Fugger in Augsburg behalten.

    Wer vom gemeinen Kirchenvolk einen Beitrag zum Bau der Peterskirche leistete, bekam auf einem Ablasszettel die Versicherung des Papstes, dass ihm die zeitlichen Strafen für seine Sünden – auch im Fegefeuer – erlassen seien. So zogen denn viele Ablasshändler durch Deutschland und warben für die Ablasszettel. Einer der eifrigsten unter ihnen war der Mönch Johann Tetzel, der wohl mit besonderem Geschick und Überzeugungskraft seine Ablasszettel anpries, so dass die Leute glaubten, was er behauptete: »Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt!«

    Der Landesherr Luthers und Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, untersagte den Ablasshändlern das Auftreten in seinem Land. So zog Tetzel nach Jüterbog dicht an die Grenze Sachsens. Viele Menschen, auch Studenten Luthers, kamen dorthin und kauften Ablasszettel. Dies hatte zur Folge, dass sie sich nicht mehr zur Buße rufen ließen, sondern sich auf den Ablass beriefen. Luther konnte dazu nicht schweigen: Er predigte gegen den Ablasshandel und führte Klage bei den Bischöfen. Doch dies alles half nichts. Da entschloss er sich zu einem außerordentlich kühnen Schritt. Am 31. Oktober 1517, veröffentlichte er seine 95 Thesen, die vom Evangelium her klar gegen den Ablass Stellung bezogen. Die wichtigsten Sätze lauten:

    These 1: »Da unser Herr und Meister Jesus Christus sagt: ›Tut Buße‹ (Matthäus 4,17), wollte er, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein sollte.«

    These 62: »Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.«

    Die 95 Thesen schlugen ein wie ein Blitz. Innerhalb von zwei Wochen waren sie in allen deutschen Ländern bekannt. In vier Wochen hatten sie fast die ganze abendländische Christenheit durchlaufen, »als wären die Engel selbst Boten gewesen«, wie man damals sagte. Ohne dass Martin Luther das damals ahnen konnte, wurde der 31. Oktober 1517 auf diese Weise der Geburtstag der Reformation, den wir uns Jahr für Jahr ins Gedächtnis rufen lassen.

    Mit dem Geld fing sie an, die Reformation, mit dem Protest gegen die Auswüchse der Ablasspraxis. Aber wir würden Luther nun ganz und gar falsch verstehen, wenn wir den Kern der Reformation im Protest gegen Missstände in Kirche und Welt sehen würden. Denn der Kern der Reformation lag für Luther sozusagen im Kern des Menschen. An einem der eingangs erwähnten Zitate wird das ganz deutlich: »Gold und Silber, Geld und Gut stiften viel Böses unter den Leuten. Soll man darum solches alles wegwerfen? Nein, wahrlich nicht! Ja, wenn wir unseren nächsten Feind vertreiben wollten, der uns am allerschädlichsten ist, so müssten wir uns selbst vertreiben und töten. Denn wir haben keinen schädlicheren Feind als unser eigenes Herz.« Der Kern der Reformation ist für Luther unser eigenes Herz!

    Schon 1516 hatte Martin Luther aus seinem Familienwappen das Zeichen der Lutherrose entwickelt, das er als Sinnbild seiner Theologie deutete. In einem Brief sagt er: »Das erste sollte ein Kreuz sein: schwarz im Herzen, das seine natürliche (rote) Farbe hätte, damit ich mir selbst Erinnerung gäbe, dass der Glauben an den Gekreuzigten uns selig machet. Denn der Gerechte wird seines Glaubens leben, den Glauben an den Gekreuzigten. Solch ein Herz aber soll mitten in einer weißen Rose stehen, anzuzeigen, dass der Glaube Freude, Trost und Friede gibt. Darum soll die Rose weiß und nicht rot sein; denn weiße Farbe ist der Geister und aller Engel Farbe. Solche Rose stehet im himmelfarbenen Felde, dass solche Freude im Geist und Glauben ein Anfang ist der himmlischen Freude. Und um solch Feld einen güldenen Ring, dass solch Seligkeit im Himmel ewig währet und kein Ende hat und auch köstlich über alle Freude und Güter, wie das Gold das höchste, edelste und köstlichste Erz ist.«

    Zit. nach Veit-Jakobs Dietrich, Martin Luther. Sein Leben und seine Zeit, München 2008, 134.

    Reformation wird bis heute zumeist als Aufruf zur Modernisierung der Kirche verstanden. Im Sinne Luthers geht es jedoch eher um eine Rückbesinnung. Rückbesinnung auf das Kreuz als Mitte, als Herz unseres Glaubens. Der Christ trägt das Kreuz im Herzen, so wie es die Lutherrose zeigt: »damit ich mir selbst Erinnerung gäbe, dass der Glauben an den Gekreuzigten uns selig machet.«

    Sich selbst beständig und immer wieder neu diese Erinnerung geben und sie sich geben lassen, das ist Reformation im Sinne Luthers.

    Es ist ein Leichtes, über all das Beklagenswerte in der Welt zu klagen, und wir sind wahrlich Meister darin. Es ist ein Leichtes, den Splitter im Auge des Bruders zu sehen. Schwer ist es, den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen. Gegen die Ablasspraxis hat Luther deshalb protestiert, weil sie Gottes teure Gnade billig macht. Auch wir machen Gottes teure Gnade oft zu billig, wenn wir meinen, wir bedürften der Buße nicht, weil uns der »liebe Gott« immer schon gnädig sei. Luther lehrt uns, es genau umgekehrt zu sehen: Weil Gott uns gnädig ist, bedürfen wir umso mehr der Buße! Die Erfahrung der Gnade Gottes lässt uns erkennen, wie sehr wir der Buße bedürfen: »Herr, geh weg von mir. Ich bin ein sündiger Mensch!« sagt Petrus zu Jesus. Diese Einsicht erwächst aus der Gnade. Luther sagt: »Ein gläubiger Mensch empfindet wohl in sich das Übermaß der Sünden.« Wenn Gottes Gnade uns begegnet, erkennen wir unsere letzte Verlorenheit. Wir sind, wie Luther es ausgedrückt hat »Gerechtgesprochene und Sünder zugleich«.



    Luther wollte mitnichten eine Kirchenspaltung, er wollte vielmehr diese Rückbesinnung auf das, was unser Christsein ausmacht. Das Wort »Re-Formation« bedeutet »Wiederherstellung«. Luther wollte als Katholik die beschädigte Kirche Jesu Christi wiederherstellen, »re-formieren«. Diese Reformation beginnt bei uns, bei jedem einzelnen Christenmenschen, und sie beginnt immer wieder neu: das hat Luther mit dem Wort von der »ecclesia semper reformanda«, der stets zu erneuernden Kirche gemeint. Die Erneuerung der Kirche beginnt in unserem Herzen. Wenn wir Christus im Herzen tragen, den Gekreuzigten. Diese Re-Formation der Kirche, die bei uns selbst beginnt, ist unsere Aufgabe, auch unsere ökumenische Aufgabe als katholische und als evangelische Christen.

    Wenn der Angst die Luft ausgeht

    Familienvesper zwischen Reformation, Halloween und Allerheiligen

    Arno Schmitt

    Reformation spielt in der allgemeinen Erinnerung nur noch eine geringe Rolle. Mitte des vorigen Jahrhunderts, als noch zu Schulgottesdiensten und örtlichen Abendveranstaltungen eingeladen wurde, war das noch anders, mitunter sehr: Als Tag der Protestanten war Reformation nicht selten gegen den katholischen Folgetag, Allerheiligen, kontrastiert. Die Zeiten sind ökumenischer geworden. Man hat gelernt, die beiden Feiertage miteinander und im Zusammenhang zu feiern. Eine Neuerscheinung kommt hinzu: Halloween. Aus den öffentlichen Kalendern kaum mehr wegzudenken. Gespenster und Gruselgestalten, kleine und gar nicht mehr so kleine und ordentlich große. in Grüppchen und Gruppen, im Dunkeln sich tummelnd, ziemlich genau zwischen Herbst- und Winterbeginn, zischend, fauchend, von »Teufel« und »Hölle« und »verdammter Seele« grummelnd, um »Süßes« bittend, mit »Saurem« drohend: Mythenseligkeit, raffiniertes Geschäftsmarketing, willfähriges Konsumverhalten, Spiellaune, Selbstinszenierung, groovender Herbstblues? Von alledem etwas? Oder doch etwas anderes? Laut werden die Fragen nicht gestellt, zögerlich eher, verlegen. Die Eltern des Kindergartens und andere Gruppen der Gemeinde, allen voran die Mitarbeiter/innen der Kinderkirche, beschäftigten sich mit der Sache. Wochen davor schon. Der 31. Oktober ist der Ferien wegen kein leichter Termin. Für die Organisatoren gibt es einiges zu tun. Der Zugangsweg zur Kirche wurde durch Fackeln, der Kirchenraum durch Laternen, der Altarraum durch Kerzen (im Halbkreis auf unterschiedlich hohen Baumstümpfen) erhellt. Im Raum davor: Matten und Decken für die Kinder und Akteure, nach hinten sich über Stuhlhalbkreise zu einem großen Raum weitend. Der Altar: herbstlich geschmückt, umlegt von roten, nach vorne zusammenlaufenden Tuchbahnen. Vor dem Altar: ein alter Bauerntisch mit drei Stühlen. Daneben: eine großflächige Plakatwand. Rechts und links vorne: zwei weitere (kleinere) Plakatwände. Im vorderen Seitengang: Platz für Instrumentalensemble (Keyboard, Klarinette, Gitarre). Gegenüber: Platz für die Vokalgruppe und das Blechblasensemble. Von Halloween war in der Einladung nicht die Rede. Mit den Kindern der Kinderkirche wurde strikte Geheimhaltung verabredet. Als Gespenster- und Gruselgestalten verkleidet würden sie sich zunächst im Gemeindehaus treffen, später als Jack-O’Lantern-Gestalten (mit entsprechendem Getöse) zur Vesper stoßen. Dieser war eine einfache Struktur vorgegeben: Eröffnung, dreiteilige Spiel- und Erzählsequenz, Abschluss. Möglich, den Abend nach der Vesper zu beenden. Fortsetzung mit einer Lesenacht.

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