• Inhalt Einführung
  • Einführung Wo wir schwach sind, da sind wir stark Predigt zur Synodeneröffnung Wolfhart Koeppen
  • 31. Oktober Fünf Plädoyers zu Kirche und Reformation Arno Schmitt
  • Verändert – wie sonst!
  • Arbeitshilfen für die Gestaltung von Gottesdiensten zu Kasualien, Feierragen und besonderen Anlässen




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    GottesdienstPraxis

    Serie B


    Arbeitshilfen für die Gestaltung von Gottesdiensten
    zu Kasualien, Feierragen und besonderen Anlässen
    Herausgegeben von Christian Schwarz

    Gütersloher Verlagshaus

    Reformation
    1517 – 2017

    Herausgegeben von Christian Schwarz

    Gütersloher Verlagshaus

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.

    Sind - Pokistonning jan.sharqiy qismidagi viloyat. Maydoni 140,9 ming km². Aholisi 29,9 mln. kishi (1998). Maʼmuriy markazi - Karochi sh. Yer yuzasining aksari qismi tekislik. Iklimi tropik iqlim, yanvarning urtacha temperaturasi 16-17°, iyulniki 29-35°.

    dnb.de abrufbar.

    1. Auflage

    Copyright © 2016 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

    in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

    Neumarkter Str. 28, 81673 München

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    Für freundlich erteilte Abdruckgenehmigungen danken wir allen Autorinnen, Autoren und Verlagen. Trotz intensiver Bemühungen war es leider nicht bei allen Texten möglich, den/die Rechtsinhaber/in ausfindig zu machen. Für Hinweise sind wir dankbar. Rechtsansprüche bleiben gewahrt.

    Umschlagentwurf: Finken & Bumiller, Stuttgart

    Umschlagmotiv: Luther Denkmal in Worms, Detail,


    Foto: © Christine Keim, Langen/Hessen

    Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

    Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

    Printed in Germany

    ISBN 978-3-579-06079-8

    www.gtvh.de



    Inhalt

    Einführung

    Wo wir schwach sind, da sind wir stark

    Predigt zur Synodeneröffnung

    Wolfhart Koeppen

    31. Oktober

    Fünf Plädoyers zu Kirche und Reformation

    Arno Schmitt

    Bausteine für Gottesdienste

    Wie wir wurden, was wir sind: EVANGELISCH!

    Theaterstück zu den Anfängen der Reformation

    Christel Weber

    Unbeschwert?

    Was der Radiowecker am Reformationstag predigt

    Martin Vogt

    Luther und Halloween

    Anspiel in einem alternativen Gottesdienst zum Reformationstag

    Hanno Gerke

    Andacht zum Playmobil-Luther

    Ute Haizmann

    Luther soll raten

    Briefwechsel mit dem Reformator

    Jörg Hirsch

    Ich bin dein und du bist mein

    Liedpredigt über »Nun freut euch, lieben Christen g’mein«

    Wolfgang Max

    Luther spricht

    Predigt zum Reformationsgedenken an Allerheiligen

    Peter Remy

    Was hätte Luther zur Finanzkrise gesagt?

    Peter Remy

    Wenn der Angst die Luft ausgeht

    Familienvesper zwischen Reformation, Halloween und Allerheiligen

    Arno Schmitt

    Rückendeckung

    Stefan Claaß

    Martin Luther – der Reformator auf den Spuren
    Wilhelm von Ockhams

    Eckhard Herrmann

    Der Jesus ist dem Herrgott sein Sohn

    Gottesdienst über Solus Christus mit dem Heidelberger Katechismus

    Christian Schwarz

    Allein der Glaube und keine Bilder

    Predigt über Ex 20,4–5a

    Berthold W. Haerter

    Bekenntnis – ja oder nein?

    Predigt zum Reformationsfest

    Nadja Papis-Wüest

    Gehalten – auch ohne Papst

    Predigt über Mt 16,13–19 zum Reformationsfest

    Markus Engelhardt

    Betet und die Trümmer wegräumen!

    Gottesdienst über Jes 62,6–12 zum Reformationsfest

    Christel Weber

    Identität heißt nicht Harmonie

    Predigt am Reformationstag über Röm 7,14–25

    Heinz Behrends

    Ich schäme mich nicht

    Predigt über Röm 1,16 f. mit Konfirmandentaufe

    Heinz Behrends

    Brauchen wir das Reformationsfest?

    Predigt zu Mt 5,1–11

    Eckhard Herrmann

    Mit Furcht und Zittern glaubensmutig sein

    Predigt über Phil 2,12 f. am Reformationsfest

    Markus Engelhardt

    Kirche des Evangeliums

    Predigt über die Seligpreisungen am Reformationstag

    Hanno Gerke

    Heraus die Maus

    Reformationspredigt zu Gal 5,1–6

    Kurt Rainer Klein

    Spatzen und Glatzen

    Predigt über Mt 10,26–33 zum Reformationsfest

    Klaus Kohl

    Gemeinschaft der Heiligen

    Gottesdienst am 1. November

    Christian Rave

    Loslassen

    Predigt über Röm 3,21–28

    Sibylle Rolf

    Hier stehe ich

    Ein neues Reformationslied

    Hanno Gerke

    Die Autorinnen und Autoren



    Einführung

    Wo wir schwach sind, da sind wir stark

    Predigt zur Synodeneröffnung

    Wolfhart Koeppen

    »Zu allem hat die Kirche etwas zu sagen. Aber wen interessiert das noch?« – Die Frage einer großen Wochenzeitung trifft den Nagel auf den Kopf. Die große Volksbewegung, der religiöse Aufbruch, der begeisterte Neubeginn, die mutige Entdeckung der Freiheit eines Christenmenschen im 16. Jahrhundert, die wir »Reformation« nennen, ist längst Geschichte. Und nicht wenige fragen inzwischen teils zynisch, teils resigniert: War da was?

    Schon lange werden Lebenseinstellungen und Lebensstile nicht mehr durch die Familie oder die Gemeinde, sondern durch die Medien, vor allem das Fernsehen und soziale Netzwerke vermittelt. Und Lebensbedingungen und Lebensziele nicht mehr von den Kirchen, ja nicht einmal mehr von der Politik, sondern von der globalisierten Wirtschaft, vor allem den großen internationalen Konzernen und Banken bestimmt.

    Dass sich die Kirche in Denkschriften zu Fragen der wirtschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit und der Arbeitslosigkeit äußert, auf Landes- und Ortsebene an vielen Brennpunkten diakonisch tätig ist, in Beratungsstellen die Opfer unserer Leistungskultur therapiert, in Kirchenkonzerten einen Beitrag zum kulturellen Leben leistet und in tausenden sonntäglichen Gottesdiensten Identitäts- und Gemeinschaftspflege betreibt, wird als Bestandteil unserer pluralistischen Kultur mehr oder weniger wohlwollend zur Kenntnis genommen. Aber dass alle diese personal- und kostenintensiven Bemühungen gesellschaftliches Handeln prägen, Bewusstsein beeinflussen, Gerechtigkeit fördern und Bedingungen des Friedens schaffen, wird im Ernst niemand behaupten.

    Wohin man kommt, wohin man hört, überall die Frage: Was bringt’s? Was habe ich davon? Mehr als publizistische Kirchenkritik und individuelle Zweifel offenbaren diese Fragen, wie sehr wirtschaftliches Denken und ökonomische Maßstäbe die Reichweite der christlichen Botschaft bestimmen. Wer nicht praktischen Nutzen, finanziellen Erfolg, öffentliche Sicherheit oder wenigstens Spaß verspricht, hat schlechte Karten.

    Dessen ungeachtet wird in der Kirche des Wortes unentwegt geredet – auf Kanzeln und in Klassenzimmern, in Kirchenvorständen, Kommissionen und Synoden, in Verlautbarungen und Erklärungen. Aber die allermeisten Aktivitäten – ich zitiere den Holländer Johann Christian Hoekendijk – sind wie ein »emsiges Auf-der-Stelle-treten, das den Eindruck erwecken soll: Aber wir bewegen uns doch!« Wie gesagt: »Zu allem hat die Kirche etwas zu sagen. Aber wen interessiert das noch?«

    Nun bringt es freilich nichts, den Zeitgeist zu beklagen und die böse Welt (vor allem die Medien) für die schlechte Presse der Kirche verantwortlich zu machen. Die Alternative kann auch nicht sein, sich in die Nestwärme der kleinen Gruppe zurückzuziehen und nach der Devise »small is beautiful« aus der Not eine Tugend zu machen. Sicher, andere Institutionen – politische Parteien, Gewerkschaften, Verbände – haben ähnliche Probleme. Auch ihnen laufen die Mitglieder davon. Ein schwacher Trost. Denn dass Kirchen und Gemeinden hinsichtlich individueller Akzeptanz und gesellschaftlicher Relevanz de facto nicht viel mehr sind als Vereine zur Pflege religiöser Folklore (auch dies eine Formulierung des alten Hoekendijk), ist zunächst mal ihr eigenes, ihr hausgemachtes Problem – unser Problem. Denn das meiste von dem, was uns gegenwärtig so verunsichert, ist ja nicht Folge unseres Christusglaubens, Konsequenz eines alternativen Lebensstils, Preis der Nachfolge, sondern im Gegenteil: mangelnden Mutes und mangelnder Zeitgenossenschaft.

    Schauen wir uns doch um: Da gibt es viel Betriebsamkeit, aber (von Ausnahmen abgesehen) wenig Begeisterung. Es gibt viel Fleiß und Einsatzbereitschaft, aber auch viel Verbissenheit und Resignation. Es gibt, aufs Ganze gesehen, wenig Mut zum Risiko, zur Veränderung, eher ein trotziges: Weiter so! Bei allem Schielen auf Marktchancen überwiegt die Angst vor der Unübersichtlichkeit des Angebots, in dem die traditionellen Kirchen und Gemeinden nur mehr eine kleine Fachabteilung im riesigen Supermarkt der Religion sind. Und es gibt – ich denke, da werden Sie mir zustimmen – eine große Angst vor Auseinandersetzungen, vor Ziel- und Interessenkonflikten, die kreative Lösungen wirksamer blockiert als aller Gegenwind von außen. Die aktuellen Verteilungskämpfe in unserer Kirche um knapper werdende Finanzen wirken ja deswegen so kläglich, weil die Rasenmähermethode linearer Kürzungen gerade das vermeidet, was so dringend nötig wäre und was alle fordern, aber niemand in Angriff zu nehmen wagt, nämlich die Festlegung von Prioritäten, den Verzicht auf liebgewordene Erbhöfe, den Abschied von eingefahrenen Selbstverständlichkeiten und vor allem den Mut zu Entscheidungen.

    Es sieht so aus, als sei Ruhe die erste Christenpflicht, als gäbe es für volkskirchliche Gemeinden nichts Wichtigeres als Harmonie; als sei nichts schlimmer, als Position zu beziehen und sich um klarer Optionen willen in Gottes Namen auch einmal Feinde zu machen; als käme es vor allem darauf an, »unerbittlich nett zueinander zu sein« (Hans Magnus Enzensberger). Deshalb dürfen wir uns als Kirche nicht wundern, wenn wir immer wieder über die eigene Ziel- und Belanglosigkeit stolpern.

    Klingt Ihnen das zu kritisch, zu pessimistisch? Darf man so fragen, wo wir doch auf das Jubeljahr »500 Jahre Reformation« zugehen und schon ein bisschen in Feierlaune sind? Sollen wir nicht – allein schon für die kritische Öffentlichkeit – die Errungenschaften jener Epoche werbewirksam herausstellen, anstatt sie in typisch protestantischer Manier kleinzureden? Außerdem können wir darauf verweisen, dass zumindest bei uns in Bayern keine Hamburger Verhältnisse herrschen, dass unsere Kirchengemeinden weithin noch einen anerkannten Platz in der kommunalen Öffentlichkeit haben, dass die Pfarrer immer noch bei der Weihe von Sparkassen oder Kläranlagen als Festredner mitwirken dürfen und dass wir Evangelischen trotz unserer kleinen Zahl akzeptierte ökumenische Partner sind. Ich meine jedoch: Gerade diese angenehmen Selbstverständlichkeiten können den Blick für die anstehenden Probleme und Aufgaben verstellen, erwecken sie doch den Eindruck: Bei uns ist es noch nicht so schlimm, bei uns gibt’s noch nicht so viele Kirchenaustritte, bei uns wird noch jede/r kirchlich beerdigt, bei uns fragt man noch nach der Kirche.

    Aber Vorsicht! Als Trittbrettfahrer der großen, dominierenden römisch-katholischen Kirche haben wir’s in der Tat leichter als andere, die sich schon längst auf dem freien Markt unterschiedlichster weltanschaulicher und religiöser Anbieter bewähren müssen. Gerade in der Diaspora profitieren wir immer noch von der altbayrisch-selbstverständlichen Verbindung von Kirche und Folklore. Aber wer garantiert uns, dass das im 21. Jahrhundert noch eine tragfähige Basis ist, um Menschen den Sinn der Kirche und die Bedeutung des Evangeliums plausibel zu machen? Sie zu ermutigen, gegen die übermächtigen Gesetze eines rein an ökonomischen Gesichtspunkten orientierten Denkens und einer von den Medien propagierten Spaßkultur widerstandsfähig zu werden? Fähig und bereit für die mühsamen, riskanten, nicht mehr durch Gewohnheit abgesicherten Schritte konkreter Jesus-Nachfolge?

    Darum können wir uns, auch wenn wir’s allesamt gern harmonisch, beschaulich und friedlich hätten, weder als Synode noch als Kirchengemeinden um die unbequemen Fragen herumdrücken, in denen unser Auftrag und unsere Zeitgenossenschaft gleichermaßen auf dem Spiel stehen. Ich nenne nur einige dieser Fragen (mehr hoffentlich in unseren Diskussionen heute):

    Für welche Ziele stehen unsere Gemeinden eigentlich? Wie werden diese Ziele bestimmt? Und durch wen? Was wissen wir über die tatsächlichen Fragen, Sorgen, Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen in unseren Gemeinden? Was ist unsere spezifische, unvertretbare und unverwechselbare Aufgabe – an unserem Ort, in unserer Region, in unserer Gesellschaft? Wo ergreifen wir Partei, statt uns vor lauter Angst, zwischen alle Stühle zu geraten, mit Bestandspflege und Vereinsmeierei zufriedenzugeben?

    Viele Fragen. Dabei das sind noch längst nicht alle. Und ich bin nicht der Weihnachtsmann oder Frau Holle. Ich habe keine fertigen Antworten im Gepäck. Schon gar keine allgemein überzeugenden und akzeptierten.

    »Darum will ich mich am allerliebsten meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi in mir wohne … denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.« Nachzulesen im 2. Brief des Paulus nach Korinth (12,9b.10b). Gewiss, ich bin nicht Paulus. Und wir sind allesamt keine Apostel. Aber Paulus formuliert ja keine zufällige persönliche Erfahrung, sondern ein Grundgesetz der Kirche. Er will nicht aus der Not eine Tugend machen, sondern von dem Zwang entlasten, wir müssten – auch und gerade als Christen – immer noch besser, noch leistungsfähiger, noch zielstrebiger, noch erfolgreicher, noch netter, noch fröhlicher, noch glaubensstärker, noch liebesfähiger und noch hoffnungsvoller sein als andere. Wer sagt denn, dass wir als Christen auf alle Fragen eine Antwort und als Kirche zu jedem Problem auch eine Lösung haben müssten?! Da wäre es wirklich so etwas wie eine neue Reformation – sprich: eine große Befreiung –, wenn wir uns unsere Schwächen, unsere Rat- und Konzeptionslosigkeit, unser Ungenügen am herrschenden Betrieb und die Folgenlosigkeit von unglaublich viel Fleiß, Einsatz und Engagement ehrlich und ohne Selbstmitleid eingestehen könnten, statt immer noch zu tun, als wären wir wer, als wären wir wichtig, als hätten wir den Leuten wirklich etwas zu sagen, als stünde die Kirche noch mitten im Dorf.

    Da feiern wir mit unglaublichem Aufwand »500 Jahre Reformation«. Aber gleichzeitig erleben wir, wie zerbrechlich alle unsere kirchlichen Selbstverständlichkeiten geworden sind. Wir erinnern uns an die großen Aufbrüche des 16. Jahrhunderts und sind gleichzeitig damit beschäftigt, ängstlich festzuhalten, was scheinbar unsere Bestände garantiert. Umso wichtiger ist die Erkenntnis, dass die Tragfähigkeit des Evangeliums und die Tragkraft des christlichen Glaubens weder von unseren Erfolgen abhängt noch durch unsere Defizite widerlegt werden kann. Denn wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber nicht bedrückt. Wir zweifeln, aber wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt, aber wir sind nicht verlassen. Wir sind am Boden, aber nicht am Boden zerstört. Ja, das Sterben Jesu ist unser Kennzeichen, damit man auch das Leben Jesu an uns erkennt. (2 Kor 4,7–10): Worte eines Menschen, der vom Christenglauben, von Gemeindeaufbau und kirchlichem Leben mehr verstanden hat als wir alle …

    Ja. Das wäre stark: Wenn wir zu unserer Schwäche stehen könnten, ohne Angst, das Gesicht zu verlieren! Das wäre ein konkretes, verständliches und nachvollziehbares Bekenntnis zu dem Christus, dessen Gnade genügt, damit aus Schwachheit Segen wachsen kann (vgl. 2 Kor 12,9). Das wäre ein befreiendes Gegenmodell zur Diktatur der herrschenden Leistungs- und Erfolgskultur, in der vor lauter Fortschritt, Wachstum, Gewinn- und Marktorientierung immer mehr Menschen auf der Strecke bleiben. Das würde ansteckend wirken und Schule machen. Das wäre eine Erklärung der reformatorischen Rechtfertigungslehre, die wirklich das Leben betrifft.

    Deswegen sag ich mal ganz direkt: Hören wir damit auf, uns gegenseitig unsere tatsächlichen oder vermeintlichen Erfolge vorzuführen; teilen wir lieber unsere Fragen, Ängste und Sorgen! Hören wir damit auf, in Pfarrkonferenzen und Synoden heile Welt zu spielen, als sei es mit ein bisschen Oberflächenpolitur getan! Bringen wir stattdessen den Mut auf, öffentlich und freimütig die Schwächen unseres Christenglaubens und die Schwachstellen unseres kirchlichen Lebens einzugestehen! Trauen wir uns – und nun wirklich wörtlich genommen! – in Jesu Namen, unsere Ratlosigkeit zuzugeben, unsere Ziel- und Konzeptionslosigkeit zu bekennen, anstatt so zu tun, als sei es mit ein paar kosmetischen Operationen und dem einen oder anderen Reförmchen getan. Setzen wir gegen die allgegenwärtige Erfolgsreligion nicht nur verbal, sondern praktisch das Bekenntnis zu dem Christus, der bis heute unvergessen ist, weil er keine Angst hatte vor der eigenen Schwäche und sich gerade deshalb mit der Schwachheit der Schwachen einlassen konnte!

    Ich schließe mit einer kleinen Geschichte. Die steht zwar nicht im Neuen Testament, nicht mal bei Martin Luther, sondern bei dem jüdischen Theologen Martin Buber. Aber ich finde, sie passt. Denn sie bringt unsere Lage auf den Punkt und sie beschreibt, was zu tun ist:

    »Einst hatte sich einer im tiefen Wald verirrt. Nach einer Zeit verirrte sich ein zweiter und traf den ersten. Ohne zu wissen, wie es dem ergangen war, fragte er ihn, auf welchem Weg man hinausgelange. »Das weiß ich nicht«, antwortete der erste, »aber ich kann dir Wege zeigen, die nur noch tiefer ins Dickicht hineinführen. Und dann lass uns gemeinsam nach dem Wege suchen.«



    31. Oktober

    Fünf Plädoyers zu Kirche und Reformation

    Arno Schmitt

    Die Beiträge erschienen über mehrere Jahre hinweg als 80-Zeilen-Kolumnen in der regionalen Tagespresse.

    Und lass sie nicht liegen!

    Nicht Querulant, nicht Besserwisser. Martin Luther war einer ihrer eifrigsten und gründlichsten. Er liebte seine Kirche und litt an ihr. »Den aller Weltkreis nie beschloss«: Sie haben sich seiner bemächtigt, zu einer Marionette gemacht, zum Deckmantel uralter Machtansprüche und nimmermüder Lust, die Seelen und die Welt zu beherrschen. Nein, so Martin Luther: Gott müsse sich selbst befreien, anders gelänge es nicht, Gott Gott sein und den Menschen Mensch werden zu lassen. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen.

    Also her mit dem Hammer: 95 Sätze aufs Pergament und ran an die Tür. Öffentliche Einladung: Hallo, da draußen! Wir haben ein Problem! Die Liederlichkeit des Ablasshandels! Aber das nicht allein! Der Skandal reicht tiefer! Ans Fundament der Kirche! Auf wen ist die Kirche gepolt, so die Frage: auf Gott oder den Mammon? Schauplatz und Zeitpunkt der Demonstration: Schlosskirche zu Wittenberg, 31. Oktober 1517, Tag vor Allerheiligen. Die Thesen gingen wie ein Lauffeuer durchs Land!

    Längst ist es still geworden um die Kirche der Reformation. Die Gemüter haben sich beruhigt. Mit protestantisch hatte sie es (von Ausnahmen abgesehen) ohnehin nie so recht. Dem Streit geht sie aus dem Weg, bleibt lieber auf den Fersen als aufzustehen, weicht lieber aus als sich zu stellen. Ob Luther seine Kirche wiedererkennen würde? Manchmal stelle ich mir vor (wünsche es mir geradezu), er würde seinen Sockel verlassen und nach uns Ausschau halten. Zu Papier und Feder, Nagel und Hammer würde er greifen und an die Türen kleistern: »Also doch, ihr habt es tatsächlich getan? Gott ins Abseits gedrängt? Ihm geraten, sich davon zu machen, und was euch ein Kreuz war, mitzunehmen? Seine Klarheit, seine Hoffnung, seine fassungslose Milde, seine Träume, seine Heiterkeit, seine Liebe, seine Vergebungsbereitschaft, die Anarchie seines Herzens? Mein Gott, nichts hat sich geändert! Der euch gesucht hat, sucht, alles mit euch teilen will: fortgeschickt habt ihr ihn, unter Arrest gestellt! ›Ein feste Burg ist unser Gott‹! Ja, ich hab es mir aus dem Herzen geschrieben. Aber singt es lieber nicht! Denn Gott nicht kaserniert habe ich gemeint, versteckt, hinter Mauern, sondern lebendig, in Sicht- und Rufweite! Gott und Mensch unterwegs! Auf Zukunftskurs: in Kenntnis der Gefahren, der Untiefen, der Grenzen, der eigenen auch, doch ohne Angst und in getrostem Vertrauen!«

    Gott mag dich! Wie du bist, so bist du ihm recht! Nicht weil du es dir verdient hättest oder irgendwie irgendwann durch irgendetwas noch verdienen könntest! Umsonst, allein aus Gnade! Reformatorische Schlüsselerkenntnis. Ja, Kirche: Gott mag dich! Mit allem, was du bist und in den Jahrhunderten geworden bist! Da ist einiges zusammengekommen, du weißt es. Eine ganze Menge Gutes. Eine ganze Menge Schräges und Miserables aber auch. Meine nicht, Gott mit Ausreden kommen zu können. Du kennst seinen Kurs. Ins Freie will er dich führen. Das Leben soll wissen, worauf es sich verlassen kann. Aber noch einmal sich hinhalten, noch einmal mit sich spielen zu lassen, das wohl nicht mehr. Er würde sich seine Bündnispartner/innen anderswo suchen, seinen Plan mit anderen vollenden. Also, Gemeinschaft der Heiligen. Es ist dir mit der Gnade das Teuerste überhaupt gegeben. »Nimm sie und lass sie nicht liegen!« (Dietrich Bonhoeffer)

    Verändert – wie sonst!?

    31. Oktober. Tag der Reformation. Früher gab es da schulfrei. Mit »Ein feste Burg« und großen Gottesdiensten. Luther war Volksheld. Ähnlich wie Bismarck. Lange her. Heute weiß kaum mehr jemand drei Sätze vom großen Reformator der Kirche vor bald 500 Jahren zu sagen, dem Wiederfinder des Evangeliums von der Liebe Gottes, dem genialen Bibelübersetzer und »Lehrer der Deutschen«. Und doch: Luthers Erben leben. Noch immer ist nichts zu Ende, die Reformation unterwegs. Sie war es in der Aufklärung, 250 Jahre sind das her. Und sie ist es, rund um die Welt noch heute, wo immer es um das freie Gewissen, die Wahrung der Freiheits- und Menschenrechte und den Kampf um Demokratie und soziale Verantwortung geht.

    Geborgenheit in einem gefügten Weltbild, überschaubar und überholt, hat die evangelische Kirche nicht zu bieten. Ihre Institution ist schwach, dafür recht flexibel. Kein herrisches Lehramt, das Freiheit schafft, Aktualität, aber auch Unsicherheit, Angreifbarkeit. Eines aber haben die Nachfolger verstanden: Wahrheit, Gewissheit, Heiliger Geist lassen sich nicht verordnen, allenfalls erbitten. Verstanden auch das: in der Mitte die Bibel. Nicht mit einem Kursbuch zu verwechseln, die Züge und Verbindungen einfach gegeben. Du musst sie herausfinden, nach Versuch und Irrtum ermitteln, nicht ganz einfach mitunter. Das allein aber ist es nicht. Die Kirche hat ein Vertrauenswissen. Und das ist ihr Kapital, wichtiger denn je: Du, Mensch, bist gemocht vom Grund der Welt. Du stehst in einer lebendigen Beziehung zu einer lebendigen Mitte und findest deine Schwestern und Brüder mitten unter Fremden. In unzähligen Gemeinden, Gottesdiensten, in Seelsorge, Schule und Beratung wird dieser Schatz ausgeteilt, Tag für Tag, Woche für Woche. Der Bedarf an glaubwürdigem und denkwürdigem Christsein ist enorm. Und nie ist die Kirche besser als ihre Glieder.

    Die Kirche ist kleiner geworden. Viele Zeitgenossen haben den Kontakt zur Kirche verworfen, ihn über die Jahre verloren, neu ihn anderswo aufgenommen. Heilsversprechen sind zum bunten Markt geworden, ganz auf der Welle der Zeit: Für alles komme ich selbst auf, warum nicht für meinen Gott? Und sei es das ewige Licht meines Fernsehers oder das Selbsterlebnis des Kaufens oder alles das Andere, das ich mir leiste. Hauptsache, es gefällt. Ganz ohne Zweifel: Es kann das alles noch eine Weile so weitergehen, die Hohlheit noch immer nicht hohl, die Leerstellen noch immer nicht leer genug sein. Aber irgendwann werden die Irrtümer verbraucht sein und die Menschen wieder zu fragen beginnen, wird uns Heißhunger auf Brot, das sättigt, überfallen. Und dann werden wir den Ort, wo Gott zu finden ist, wie Martin Luther Kirche nennen. Verändert (wie sonst?!), aber Kirche!



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