Gottesdienst über Solus Christus mit dem Heidelberger Katechismus
Christian Schwarz
Predigttext: aus dem Heidelberger Katechismus
Von Gott dem Sohn
Frage 29
Warum wird der Sohn Gottes Jesus, das heißt »Heiland«, genannt?
Weil er uns heilt von unseren Sünden, und weil bei keinem anderen ein solches Heil zu suchen noch zu finden ist.
Frage 31
Warum wird er Christus, das heißt »Gesalbter«, genannt?
Er ist von Gott dem Vater eingesetzt und mit dem Heiligen Geist gesalbt zu unserem obersten Propheten und Lehrer, der uns Gottes verborgenen Rat und Willen von unserer Erlösung vollkommen offenbart; und zu unserem einzigen Hohepriester, der uns mit dem einmaligen Opfer seines Leibes erlöst hat und uns alle Zeit mit seiner Fürbitte vor dem Vater vertritt; und zu unserem ewigen König, der uns mit seinem Wort und Geist regiert und bei der erworbenen Erlösung schützt und erhält.
Frage 32
Warum wirst aber du ein Christ genannt?
Weil ich durch den Glauben ein Glied Christi bin und dadurch an seiner Salbung Anteil habe, damit auch ich seinen Namen bekenne, mich ihm zu einem lebendigen Dankopfer hingebe und mit freiem Gewissen in diesem Leben gegen die Sünde und den Teufel streite und hernach in Ewigkeit mit ihm über alle Geschöpfe herrsche.
Wie sprechen Sie von Gott, wenn Sie über Gott reden oder mit Gott reden? Wie sagen Sie dann?
Gott … Vater im Himmel … Jesus … Herr Jesus … oder Herrgott?
Viele ältere Menschen sagen oft: Unsern Herrgott.
Es gibt noch einen Herrgott!
Unser Herrgott schickt mir einiges!
Manchmal frage ich mich:
Brauchen wir Jesus eigentlich noch?
Wir haben doch einen Herrgott – reicht das nicht?
Die Reformatoren haben versucht zu beschreiben, was evangelischer Glaube (Glaube, wie er dem Evangelium entspricht) ist.
Sie haben einprägsame Formulierungen gebraucht, um zu beschreiben, wie wir gerettet werden:
Sola gratia – allein durch die Gnade.
Sola fide – allein durch den Glauben (nicht durch gute Werke).
Sola scriptura – Quelle ist allein die Heilige Schrift.
Und dann noch: Solus Christus – allein Christus ist es, der rettet.
Wenn Christus oder Jesus so wichtig ist, warum spielt er dann im Glauben von vielen Menschen keine große Rolle? Warum geht es immer nur um den »Herrgott«?
Jesus kommt uns nahe – zu nahe? –
mit seiner Güte;
aber auch mit seinem Anspruch.
»Warum wird der Sohn Gottes Jesus, das heißt »Heiland«, genannt?
Weil er uns heilt von unseren Sünden, und weil bei keinem anderen ein solches Heil zu suchen noch zu finden ist.«
Wenn wir Jesus nicht haben, dann fehlt uns etwas Wichtiges von Gott.
Gott, der uns so nah kommt wie nie zuvor.
Im Alten Testament deutet sich das schon an: nicht der ferne Gott, sondern der mitfühlende, emotionale Gott.
Im Neuen Testament kommt Gott nicht im Wort durch seine Propheten – er kommt selbst: Gott selbst wird Mensch. Das Wort wurde Fleisch, und wir sahen seine Herrlichkeit.
Prophet, Lehrer, Hoherpriester, König – alle Ämter des Alten Testaments fließen in ihm zusammen.
1. Jesus kommt uns nahe … mit seiner Güte: Dir sind deine Sünden vergeben!
»der uns mit dem einmaligen Opfer seines Leibes erlöst hat und uns alle Zeit mit seiner Fürbitte vor dem Vater vertritt«
Da bringen ein paar Männer ihren gelähmten Freund zu Jesus. Das Haus ist voll mit Menschen. Sie brechen das Dach auf und lassen ihn von oben herab. Da liegt er auf seiner Matte vor Jesus.
Jesus sollte jetzt eigentlich sagen: Nimm dein Bett und geh!
Das sagt er auch, aber erst später.
Wissen Sie, was er zuerst sagt zu diesem Mann, den er vermutlich zum ersten Mal sieht?
»Kind, deine Sünden sind dir vergeben.« (Mk 2,5)
Der Mann wollte doch nur an seinem Körper geheilt werden.
»Herr Doktor, können Sie mir bitte etwas aufschreiben für meinen Magen?«
Und jetzt sagt Jesus: »Deine Sünden sind dir vergeben.«
Auf einmal steht er direkt bei ihm.
Wie einer, der dir tief in die Augen sieht,
und auf einmal ist alles vor ihm ausgebreitet,
deine ganze innere Seelenlandschaft,
so chaotisch und verstörend sie wirkt –
du kennst dich manchmal selbst nicht aus,
und Bereiche gibt es, wo du dich selber schon lange nicht mehr hintraust,
Gefühle und Gedanken, die dir selber Angst machen und dich quälen,
Dinge, die du keinem sagen kannst,
weil sie viel zu tief gehen
und dich dann vielleicht niemand mehr mag …
Und Jesus sieht es und kommt so nahe, wie kein Mensch kommen kann,
Jesus, der einer von uns ist und doch ganz anders,
und er sieht und erkennt
und weiß, wo du Hilfe brauchst,
er legt den Finger auf die Wunde,
aber nicht um noch tiefer aufzureißen,
sondern um zu heilen und zu verbinden.
»Kind, deine Sünden sind dir vergeben.«
Schau, Gottes Kind bist du zu allererst,
das ist mal das Wichtigste,
damit fangen wir an,
und das kann niemand dir nehmen,
denn der himmlische Vater hat dich von Anfang an geliebt.
Und deshalb kümmert er sich um dich,
auch wenn du nur einer unter acht Milliarden bist,
der himmlische Vater hat jedes Haar auf deinem Kopf gezählt.
»Dir ist vergeben.«
Was dich innerlich krank macht, aufreibt, zerstört –
es gibt eine Macht, um dich wiederherzustellen,
meine Liebe.
Du sehnst dich nach ihr, auch wenn du manchmal vor ihr davonläufst –
lass sie zu, lass dich von ihr berühren,
lass sie fließen,
und all das Verhärtete bricht auf
und Wunden werden geheilt.
So nahe kommt uns Jesus mit seiner Güte.
2. Jesus kommt uns nahe … mit seinem Anspruch: Komm und folge mir nach!
»mich ihm zu einem lebendigen Dankopfer hingebe«
Vielleicht war es nur ein bisschen smalltalk –
über das Wetter, über die Arbeit, über Gott und die Welt eben,
wie sie da saßen am See und ihre Netze in Ordnung brachten nach getaner Arbeit,
vor der nächsten Ausfahrt.
Man schwätzt miteinander und denkt an nichts Böses,
die Welt geht ihren Gang, man lässt ein paar Kommentare dazu ab,
die Politik darf natürlich nicht fehlen
(das Image der Politiker war wahrscheinlich schon immer schlecht),
und auf einmal, wie aus heiterem Himmel,
nimmt das Gespräch eine Wendung,
und er sagt zu ihnen:
»Kommt und folgt mir nach!«
Vielleicht fanden sie diesen Jesus aus Nazareth ja ganz interessant, klug,
man konnte ihm gut zuhören.
Ja, es hatte schon was, wenn er mit einem sprach.
Aber man hatte immer über irgendwelche Dinge geredet, auch über andere Menschen,
aber nie so richtig über sich selbst.
Und jetzt sagt er auf einmal so einen Satz:
»Kommt und folgt mir nach!«
Das ist wie ein Schlag in die Magengrube,
ein Anschlag auf das Leben, das man weiter so führen sollte wie bisher,
ich meine, es kann doch nicht einfach einer kommen und sagen:
Ab heute soll alles anders gehen,
ab heute gehst du mit mir!
Wie kann dieser Jesus sich anmaßen,
von meinem Leben Besitz zu ergreifen,
ich bin doch ein erwachsener Mensch,
der seine eigenen Entscheidungen trifft und seinen eigenen Weg geht,
und jetzt das:
»Kommt und folgt mir nach!«
Direkt vor dir steht er und sieht dir in die Augen,
und du weißt: In diesem Augenblick geht es wirklich darum,
ob du am Leben vorbeigehst oder ihm begegnen wirst,
ob du deinen eigenen Plänen folgen willst,
wohl ausgedacht und in sich plausibel,
aber doch immer getragen vom Gedanken,
wie es für dich selbst am besten laufen möge,
oder ob du dich von ihm führen lässt,
seiner Stimme folgst
und darauf hörst, wohin sie dich leitet.
So nah ist er bei dir, mitten in deinem Leben,
und er weiß am besten, was du brauchst,
und weiß am besten, wo er dich braucht,
wo andere dich brauchen und diese Welt:
»Kommt und folgt mir nach!«
So oft hast du’s schon gehört in deinem Leben,
bist ihm manchmal gefolgt und hast seine Stimme manchmal geflissentlich überhört,
wohl wissend, dass du Eigenes aufgeben müsstest, um ihm zu folgen.
Wenn er das nächste Mal ruft und du seine Stimme hörst:
Geh mit, folge ihm und entdecke das Leben, das ER dir schenkt.
Solus Christus haben die Reformatoren gesagt: Allein Christus. So nah. Ganz bei dir.
Allein der Glaube und keine Bilder
Predigt über Ex 20,4–5a
Berthold W. Haerter
Diese Predigt entstand zum einen, weil ich den Auftrag hatte, über das reformatorische »Sola fides« zu predigen. Zum anderen hatte ich den sehr aufschlussreichen Aufsatz von Dr. Andreas Mertin »Der reformierte Blick auf die Bilder« gelesen.
1. Bilder verschönern
Ich möchte Ihnen zwei Fragen stellen und einen Moment Zeit zum Nachdenken geben. Überlegen Sie doch einmal, welche Bilder bei Ihnen zu Hause hängen. (Pause)
Und dann versuchen Sie sich bei zwei oder drei Bildern zu erinnern, warum Sie diese Bilder aufgehängt haben.
Haben Sie Bilder als Erinnerungen aufgehängt, Erinnerungen an Menschen, an Erlebnisse, besondere Momente?
Oder haben Sie Bilder an Ihren Wänden, weil Sie diese schön finden, weil Sie Ihnen gefallen oder weil sie Ihnen gut tun?
Sollen die Bilder Farbe in die Wohnung bringen?
Sind Bilder in unseren Wohnungen, weil wir sie geerbt haben oder weil sie wertvoll sind?
Sicherlich, es gibt noch andere Gründe warum genau diese Bilder in unserer Wohnung hängen.
Aber erstaunlich ist: Als die Menschen vor 40 000 Jahren zu Malen begannen, taten sie es aus den gleichen Gründen. Wir finden die Bilder des Homo sapiens in Höhlen im Norden Spaniens und im Süden Frankreich. Das sind wunderschöne Bilder z. B. von einem Nashorn oder von springenden Löwen. Sie sind wahrscheinlich als Dekoration und Verschönerung geschaffen worden.
2. Gebot des Bilderverbots
Aber dann finden wir erstaunlicherweise in der Bibel das Gebot, sich kein Bild von Gott zu machen. Im 2. Mosebuch (Exodus) und im 5. Mosebuch (Deuteronomium) heißt es:
»Du sollst dir kein Gottesbild machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist. Du sollst dich nicht niederwerfen vor ihnen und ihnen nicht dienen.«
Wie kommt es zu religiösen Bildern, und warum betont Zwingli dieses Bilderverbot? Er betont es viel stärker als Martin Luther. Ja, im lutherischen wie katholischen Katechismus ist dieses zweite Gebot ersatzlos gestrichen.
Zwingli geht es bei der Betonung des Bilderverbots um das Sola fides, allein der Glaube. Alles, was davon ablenkt, stört, irritiert, falsche Vorstellungen von Gott hervorbringen könnte, das musste für ihn weg. Nur so kann allein der Glaube wie ein schöner reiner Kristall erstrahlen.
3. Zwinglis Befreiung von Bildern für allein den Glauben
Schauen wir genauer an, warum Zwingli die religiösen, die Kultbilder, denn um diese geht es, ablehnt, so sind es mehrere Gründe.
Zunächst zwei geschichtliche:
Zürich war vor der Reformation eine wohlhabende Stadt und hatte damit auch viele Bilder in den Kirchen. Man betete sie an. Und Zwingli erklärt: »Die Schrift verbietet, sich einem Geschöpf zuzuwenden, ja überhaupt ein solches abzubilden, damit es uns nicht wie Gott gefiele und von uns angebetet würde.« (Huldrych Zwingli, Schriften II, Zürich, 1995, 255)
Bilder, die man nicht anbeten kann, wie Glasbilder, störten ihn nicht.
Diese Bilder in den Kirchen waren dazu oft Stiftungsbilder von Privatleuten oder Zünften. Man schenkte sie und erwartete eine Gegenleistung der Kirche, nach der Devise: »Bild gegen Gnade« (Mertin, 13). Außerdem verewigte man sich auf den Bildern selbst, manchmal waren die Stifterfiguren grösser als die Heiligen- und Christusbilder.
Die Reichen konnten solche Bilder spenden, aber die Armen? Man versteht, dass das Volk diese Protzerei der Reichen ablehnte. 1523 fingen man in Zürich und Umgebung an, Bilder abzureißen oder zu übermalen. Vorher hatte man die Stifter gebeten, freiwillig die Bilder aus den Kirchen zu entfernen und heim in die Wohnstube zu nehmen.
Aber da ist noch ein anderer Gedanke, warum man Gott nicht auf ein Bild bannen sollte. Dieser ist für uns heute noch interessant.
Wir engen Gott mit einem Bild ein. Mit einem Bild verbindet sich eine Vorstellung. Wir interpretieren Bilder und plötzlich ist dieses Bild wie Gott. Gott ist dann nicht mehr der freie, nicht zu fassende, uns wohl ergreifende, aber dann wieder irritierende Gott.
Gott wird mit einem Bild festgelegt und man wird gezwungen, an diesen Gott zu glauben, wie er auf einem Bild ›verewigt‹ ist. Diese einengenden Bilder von Gott sind noch heute ein Problem für uns.
Da spotten Leute über uns Christen. Sie meinen: Wir sind aufgeklärte Menschen. Wir können nicht an einen alten Mann mit einem langen, weißen Bart glauben, der auf einer Wolke sitzt.
Aber wo in der Bibel befindet sich ein solches Sprachbild von Gott? Nirgends. Diese Menschen haben das Bild eines Gottes aus der Barockzeit verinnerlicht. Es ist das Bild eines Gottes, wie es Julius Schnorr von Carolsfeld in seiner berühmten Bilderbibel (Bibel in Bildern 1860 erstmals erschienen) weiter verbreitete.
Viele Ältere von uns haben solche Gottesbilder wohl auch noch in ihren Kinderbibeln gehabt, und diese prägen! Es ist eine Festlegung Gottes in einem Bild, das uns zum Verhängnis wird und Leute noch heute dazu bringt, nicht weiter über das Thema Glauben nachzudenken.
Sola fides, allein der Glaube.
Unser Glaube soll nicht mit irgendwelchen von Menschen ausgedachten Bildern eingeschränkt werden. Wir müssen unsere eigenen Erfahrungen mit Gott machen.
Außerdem zeigt er sich uns in einem einzigen Bild, das authentisch ist: in Jesus Christus.
Wenn wir etwas von Gott und Jesus Christus erfahren wollen, dann müssen wir, mit dem 2. Helvetischen Bekenntnis gesprochen, das Evangelium nicht malen und damit festlegen.
Das Evangelium muss lebendig gepredigt werden, immer wieder neu in unsere Zeit hinein (siehe Heinrich Bullinger, 2. Helvetisches Bekenntnis, Zürich 1967, 26).
Es ist aber auch unser Recht und unsere Freiheit, selbst im Buch der Bücher nachzulesen. Die Reformation hat diese Einstellung bewusst gefördert. Wir müssen und dürfen unseren Glauben praktizieren. Wir werden dann die Erfahrung machen, dass von uns lieb gewordene Gottesbilder in unseren Köpfen plötzlich nicht mehr stimmen.
Da besuche ich eine Frau, die schwer krank ist. »Ich bete auch jetzt«, meint sie. »Mein Leben lang habe ich Gott mit ›lieb Gott‹ [typisch schweizerische Anrede] angeredet. Ein schönes Bild ist das, der liebe Gott. Aber jetzt stimmt es nicht mehr für mich. Gott ist doch nicht einfach lieb, wenn ich so leiden muss. So kommt bei meinem Beten zu Gott immer mehr das ›Warum, du, Gott? Hilf mir, Gott! Gott, ich brauche dich.‹«
Lebendiger, nicht festgelegter Glaube verändert sich mit meiner Lebenssituation. Er zerstört alte Gottesbilder in meinem Kopf und er sucht neue Bilder von Gott, die jetzt für mich stimmen. Nur so kann ich mit Gott reden.
Und wahrer Glaube kennt Zweifel, Umwälzungen, Veränderungen, Fragen. Ja, ein Glaube ist echt, wenn er die Veränderung meines Gottesbildes erlebt.
Anfechtung, Fragen, Zweifel sind geradezu das Markenzeichen eines gelebten Glaubens.
4. Glaube allein führte schon zum Bilderverbot nach Babylon
Eigentlich ist diese Erkenntnis nichts Neues. Nicht heute und nicht in der Reformationszeit.
Als die Juden nach der vernichtenden Niederlage, nach 40 Jahren Leben in Babylon als kleine, schwache, aber an Gott festhaltenden Gruppe zurück nach Jerusalem kam, da wussten sie: Jedes Bild, das wir uns bisher von Gott gemacht haben, ist falsch. (Mertin, 6)
Erst war Gott der Sieger, der die Israeliten auch vor übermächtigen Feinden bewahrte, wenn sie nur fromm waren und gute Werke taten, auch Bilder für den Tempel spendeten.
Dann wurden sie in die Gefangenschaft verschleppt und Gott – er war kein Siegerbild aus dem Tempel mehr.
Die Israeliten merkten aber, wie Gott sie still und Kraft gebend begleitete. Eine Generation später kehrte er wieder mit ihnen zurück nach Jerusalem. Nun mussten sie mühsam das zerstörte Jerusalem und den Tempel aufbauen und schlussfolgernd legten die Theologen fest:
»Du sollst dir kein Gottesbild machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist. Du sollst dich nicht niederwerfen vor ihnen und ihnen nicht dienen.«
Das war Befreiung, Befreiung für einen Gott, und Befreiung der Bilder. Bilder mussten keine religiösen Aufgaben mehr wahrnehmen, sie konnten wieder als Verschönerung wie bei uns heute dienen.
Am Anfang sagte ich ja: Bilder waren vor 40 000 Jahren zur Verschönerung, zur Freude da, wie heute. Die Religion benutzte und missbrauchte Bilder erst ab 20 000 vor uns. Sie waren eine gute PR. Die Juden machen da seit 2500 Jahren nicht mehr mit. Und die Reformatoren entdeckten vor 500 Jahren wieder, dass religiöse, von Menschen angefertigte Bilder keine Wunder bewirken können, noch heilig, noch Bilder von Gott sein können. Der Philosoph Theodor Ardorno hat treffend formuliert: »Kein solches Bild ist möglich.« (zit. ebd.)
5. Menschen glauben in Bildern
Nun ist es aber so: Wir denken in Bildern, und die Bibel tut es auch.
Da ist das Bild vom guten Hirten. Da ist das Bild vom rettenden Gott, wie es das Mittelfenster unserer Kirche zeigt (der sinkende, von Christus gerettete Petrus). Da ist das Bild des Geborgenheit schenkenden Gottes, wie es das linke Fenster zeigt (der Vater, der den verlorenen Sohn umarmt), und das »Dennoch ist Gott da«, wie es das rechte Hoffnungsfenster zeigt (der Regenbogen und das Grün, das Dornen durchdringt).
In unseren Köpfen gibt es noch andere Bilder von Gott, und auch die Predigt lebt von Sprachbildern, wie Gott ist.
Erst wenn wir etwas von Gott denken können, können wir an ihn glauben und ihn ansprechen. Aber diese nicht festen, nur gedanklichen Bilder können wir jederzeit durch andere ersetzen. Außerdem können wir alle unsere Bilder von Gott mit dem einzigen sichtbaren Bild von Gott korrigieren: Jesus Christus. Er ist mehr als ein Bild von Gott. Er ist die menschliche Anwesenheit Gottes in dieser Welt.
6. Daher ist allein Glaube …
An ihn, an Gott glauben, alleine, heißt befreit sein von allem, was uns von Gott gezeigt, gesagt, anerzogen wurde, wie und wer Gott ist.
Gott ist immer noch der ganz andere.
An ihn zu glauben – allein – heißt:
seine eigenen Erfahrungen mit Gott machen dürfen;
sich sein Bild von Gott innerlich immer wieder neu aufzubauen;
Gott zu erleben, der mich persönlich ergreift und drängt, davon zu reden.
Glauben heißt selbst zu erfahren: ER ist da! Er umgibt mich!
Glaube allein heißt, zweifeln dürfen.
Anfechtungen durchzustehen in der Gewissheit, Gott ist stärker und überlebt mit mir jede Anfechtung.
Zu diesem Gott kann ich beten und erfahre, was am Ende des Matthäusevangeliums steht: Jesus sagt: Und seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Bekenntnis – ja oder nein?
Predigt zum Reformationsfest
Nadja Papis-Wüest
Zur Bekenntnissituation in der Schweiz:
Nach einem regelrechten Bekenntniszwang im 19. Jahrhundert gab die Schweizerische Kirchensynode nach lange andauernden theologischen Richtungskämpfen das Bekenntnis frei. Verschiedene Bekenntnisse waren erlaubt sowie das Weglassen jeglichen Bekenntnisses. Diese Bekenntnisfreiheit blieb aber nie unbestritten. So schuf eine Initiativgruppe unter der Leitung von Pfarrer Dr. Matthias Krieg 2006 ein »Werkbuch Bekenntnis«, um die Diskussion erneut anzuregen und wenn möglich (wieder) ein gesamtschweizerisches Bekenntnis einzuführen. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund führte dann in den Jahren 2010 bis 2011 eine Vernehmlassung (Anhörung) durch, die 2012 mit einem Bericht abgeschlossen wurde. Die Bekenntnisfreiheit blieb bestehen, aber es wurden viele Projekte zum Thema »Bekennen« durchgeführt und auch eine Sammlung von Reformierten Bekenntnissen herausgegeben. Diese Sammlung enthält 21 Bekenntnisse und eine Leerstelle, an der einst ein moderner Katechismus stehen soll. Dies alles dient der Unterstützung, nicht dem Zwang zum einheitlichen Glauben.
Liebe Gemeinde, Bekennen ist wie Beten ein Grundvorgang des Glaubens, schreibt Matthias Krieg in einer Kursausschreibung zum Werkbuch über Bekenntnisse. Wie bei der Begrüßung erwähnt, gibt es eine Bewegung in unserer reformierten Landeskirche, die das Bekenntnis wieder einführen möchte. Seit einiger Zeit läuft die Vernehmlassung dazu. Seit Jahrzehnten glauben und feiern wir in unserer reformierten Kirchgemeinde bekenntnisfrei, d. h. wir halten daran fest, dass jede und jeder die Möglichkeit hat, ein eigenes Bekenntnis zu haben und sich doch mit anderen zu einer Gemeinschaft zusammenzufinden.
So etwas wäre zu Zeiten von Luther und Zwingli unmöglich gewesen. Die Familienväter waren dazu aufgerufen, dass die Kinder schon früh den Katechismus verinnerlichen, und auch die Erwachsenen empfanden sich durch solche bekenntnisartigen Lehrbücher dem einen oder anderen Glauben zugehörig. Es ist noch nicht lange her, dass in unseren Kirchen traditionell das Glaubensbekenntnis gesprochen wurde, nicht zuletzt von denen, die sich konfirmieren lassen wollten. Und noch heute ist es in den Kirchen unserer Nachbarländer Brauch, sich in jedem Gottesdienst auf ein Bekenntnis zu berufen. Für uns allerdings wäre das ungewohnt, fremd und vielleicht auch schwierig. Ich stelle es mir ähnlich wie beim Unser-Vater-Gebet vor. Das beten wir in jedem Gottesdienst, wirklich in jedem. Es ist ja bei uns Reformierten hier in der Schweiz eigentlich das einzige, das alle auswendig können und miteinander sagen im Gottesdienst. Ehrlich gesagt liegt mir nicht gerade alles am Unser-Vater, aber es hat seinen großen Wert eben darin, dass es biblisch ist, dass es christlich ist und dass es in wenigen Worten viel aussagt.
Biblisch ist es, weil es auf Jesus Christus zurückgeht, zumindest teilweise. Und weil Jesus den Leuten damit sagen wollte: Wenn ihr betet, sprecht mit Gott wie mit einem vertrauten Menschen, wie mit einem liebevollen Vater. Heute würden wir wahrscheinlich ein anderes Gottesbild suchen, aber damals war der zugewandte Vater das Nächstliegende. Christlich ist das Unser-Vater, weil es alle Christen und Christinnen kennen und beten. Das verbindet uns innerhalb unserer Religion und über alle Zeiten hinweg. Es sagt viel in wenigen Worten, manches ein wenig schwer verständlich für uns heutige Menschen. Unser Glaube würde heute andere Bilder und Worte brauchen, trotzdem bete ich das Unser-Vater gern.
Aber wie ist es jetzt mit dem Bekenntnis? Könnten wir uns vorstellen, jeden Gottesdienst das gleiche Bekenntnis zu sprechen, quasi so wie das Unser-Vater?
Bekennen finde ich etwas Schönes und Wichtiges. Ich gebrauche das Wort gern, zum Beispiel im Gespräch mit einem Brautpaar oder mit Taufeltern. Mit der Taufe eines Kindes und auch mit der kirchlichen Trauung bekennen wir uns zueinander und zur Kirche, sogar die, die sonst kaum etwas mit der Kirche zu tun haben. Wenn wir unsere Kinder in die Kirche schicken, bekennen wir unsere Zugehörigkeit, ob das ›in‹ ist oder nicht, ob es schwierig ist oder nicht. Sich zu etwas oder zu jemandem zu bekennen, ist nicht modern. Heute muss alles schnell und unverbindlich, möglichst spontan und unkompliziert sein. Da ist das Bekennen und auch das Eingehen tiefer Bindungen und langanhaltender Beziehungen etwas Ungewöhnliches. Und trotzdem spüre ich immer wieder, dass Menschen sich bekennen möchten und dass sie sich nach tiefen Bindungen sehnen. Es ist nur nicht mehr selbstverständlich, und darum muss jeder und jede den eigenen Weg, das eigene Bekennen und die eigene Wahrheit finden. Das ist ein ziemlicher Anspruch, viele scheitern daran. Wäre es nicht einfacher, man hätte ein Rezept, quasi vorgegeben? Nicht nur für Beziehungen, sondern auch für den Glauben? Wenn wir das religiöse Erleben der heutigen Menschen anschauen, dann basteln viele ein wenig herum, viele haben sich abgewandt und viele nehmen einfach das, was gerade am nächsten liegt, oder das, was sie von zuhause mitbekommen haben. Das eine wie das andere birgt Gefahren.
Kann uns ein gemeinsames Bekenntnis helfen, wieder zu einer Einheit zu werden? Kann es Gemeinschaft stiften?
Ja, denn eigentlich hat ein Bekenntnis keinen anderen Zweck, als Gemeinschaft zu stiften. Nur – was mache ich, wenn mich das Bekenntnis, das die Landeskirche wählt, ausschließt? Wenn sie zum Beispiel Formulierungen braucht, die mich als Frau demütigen? Oder wenn etwas von der Jungfrau Maria drin steht, was ich einfach nicht glaube? Oder wenn Gottesbilder gebraucht werden, die manche verletzen? Die Frage ist nämlich nicht, ob ein Bekenntnis oder nicht, sondern welches, wie es tönt, wer’s verfasst. Leider bin ich da pessimistisch. Ich habe im Studium erlebt, wie wir wegen der neuen Zürcher Bibelübersetzung stundenlang ausgefragt wurden und vernehmlassen konnten, was uns sprachlich und von der Sprachgerechtigkeit her wichtig sei. Heute ist nichts davon in der neuen Zürcher Bibel enthalten. Und ich sehe das Gebetsbuch, welches die Zürcher Landeskirche für alle Mitarbeitenden und Behördenmitglieder herausgibt, und merke, wie traditionell, wie trocken und patriarchal es formuliert ist.
Die Idee der Bekenntnisfreiheit ist genau darum aufgekommen: Damit jede und jeder ein eigenes Bekenntnis finden und auch sprechen kann. Damit ich meine Bilder und Glaubensvorstellungen, meine Gotteserfahrung bekennen kann und nicht etwas nachplappere, was mir nicht entspricht oder mir sogar widerspricht. Eigentlich ist es ein schöner Gedanke, der von der Freiheit, aber er stellt große Ansprüche an die Gläubigen. Und wenn wir unsere Gottesdienste anschauen, dann sehen wir die Folge davon: Es gibt kein Glaubensbekenntnis mehr in unseren Feiern. Viele sind nicht bekenntnisfrei, sondern bekenntnislos geworden. Ich denke, wir könnten dem entgegenwirken, indem wir dem Bekenntnis einen festen Platz im Gottesdienst einräumen und jedes Mal ein anderes vorlesen. Und indem wir Kinder und Jugendliche in die Arbeit am und mit dem eigenen Bekennen einführen. Hier in Langnau machen wir das seit Jahren.
Das wäre für mich echt reformiert. Die reformierte Tradition hält ja daran fest, dass jeder einzelne und jede einzelne verantwortlich sind für ihr Glaubensleben. Die reformierte Tradition hält auch am Grundsatz fest, veränderbar zu sein. Und nicht zuletzt halten wir in der Tradition von Paulus daran fest, frei zu sein: Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig. (2 Kor 3,6b)
Ein neues Bekenntnis wird mich nicht umbringen, aber ich glaube daran, dass unser Geist und vor allem die Kraft Gottes auch Wege um das Bekenntnis herum findet und wir es als menschliche Hilfestellung, als Werkzeug anschauen können und nicht als Zementierung unserer Freiheit. Mir persönlich wäre es trotzdem lieber, wir würden uns weiterhin selber bekennen können, so wie es uns möglich ist – auch bekenntnislos, aber vor allem bekenntnisfrei.
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