• Luther und Halloween
  • Was der Radiowecker am Reformationstag predigt




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    Was der Radiowecker am Reformationstag predigt

    Martin Vogt

    In seiner Ursprungsfassung wurde dieser Text als Radioandacht am 31.10.2015 auf WDR 2 gesendet.

    »Guten Morgen«, sagte mein Radiowecker. »Aufwachen! Ich wünsch’ dir einen unbeschwerten Tag!«

    »Was ist?«, fragte ich, noch halb in meinen Träumen.

    »Ich wünsch’ dir einen unbeschwerten Tag«, wiederholte mein Radiowecker fröhlich.

    »Ist ja nett von dir«, stammelte ich, noch immer etwas ungläubig. »Aber wieso kannst du auf einmal sprechen? Und wieso hast du so früh am Morgen schon so entsetzlich gute Laune?«

    »Och, gute Laune habe ich öfter. Du merkst es nur nie. Deswegen dachte ich, ich lass’ dich heute mal daran teilhaben.«

    »Aha.« Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Idee gut finden sollte. »Und was soll das mit dem ›unbeschwerten Tag‹?«, fragte ich vorsichtig.

    »Na, denk doch mal nach! Was ist denn heute?«

    »Öh, 31. Oktober.«

    »Und was ist am 31. Oktober?«, fragte mein Wecker.

    »Halloween. Na und?«

    »Lass mal Halloween beiseite. Was ist denn heute noch?«

    »Reformationstag, Herr Lehrer. Kann ich mich jetzt noch mal umdrehen?«

    »Nein, bloß nicht! Wenn du dich umdrehst, pennst du wieder ein und der ganze Tag ist im Eimer!«

    »Der Tag ist sowieso im Eimer – bei dem Programm, das heute ansteht.« Allein der Gedanke daran machte mich schon ungehalten.

    »Wieso?«, fragte mein Radiowecker. »Was steht denn heute an?«

    »Mein Chef hat mir einen Sonderdienst ’reingeknallt. Einfach so.«

    »Oh. Ich hab mich schon gewundert, warum ich dich heute so früh wecken sollte.«

    »Na, dann weißt du ja jetzt Bescheid«, knurrte ich. »Später müssen wir noch zu meinen Schwiegereltern und da kann ich mir wieder anhören, dass ich mehr verdienen müsste und wie toll doch ihr anderer Schwiegersohn ist. Von einem unbeschwerten Tag kann also keine Rede sein!«

    »Ich hab’ ja nur gemeint«, begann mein Radiowecker vorsichtig. »Weil heute Reformationstag ist.«

    »Ach! Und da müssen alle unbeschwert sein? Auf Knopfdruck, oder was?«

    »Nein, natürlich nicht. Aber die Sache mit der Reformation hat doch echt was Entlastendes!«

    »Wieso?«

    »Na ja, das Ganze geht ja los mit Martin Luther.«

    »Weiß ich. Soviel hab’ ich in der Schule noch mitgekriegt.«

    »Schön. Martin Luther hat sich die ganze Zeit gefragt: Wie kriege ich das hin, dass Gott mir gnädig ist?«

    »Was ist denn das für ’ne komische Frage?«

    »Luther fand die gar nicht komisch. Man hatte ihm beigebracht, dass Gott nur die mag, die Gutes tun. Und Luther hat natürlich in seinem Leben nicht nur Gutes getan. Sondern auch Schlechtes.«

    »Na klar«, warf ich ein. »Macht doch jeder!«

    »Sicher«, kam es aus Richtung der Leuchtziffern. »Aber es hilft ja nichts, wenn du sagen kannst: Die anderen sind genauso schlecht wie ich. Denn das bedeutet ja nur: Gott wird die meisten Menschen verdammen. Vielleicht sogar alle.«

    »Was heißt denn verdammen?«

    »Na, in die Hölle schicken.«

    »Klingt nicht gut. Aber da glaub ich sowieso nicht dran.«

    »Du vielleicht nicht. Aber für Martin Luther und seine Zeitgenossen war das ganz realistisch.«

    »Wie? Haben die geglaubt, dass nur Heilige bei Gott ’ne Chance haben?«

    »Genau. Und Luther war kein Heiliger, das wusste er.«

    »Na ja, ein Heiliger – wer ist das schon?«

    »Du jedenfalls nicht!« Es klang, als würde mein Radiowecker genau wissen, wovon er sprach.

    »Vielen Dank für die Klarstellung. Ich glaub’ trotzdem nicht, dass Gott mich in die Hölle schickt.«

    »Das glaub’ ich auch nicht«, erwiderte mein Wecker. »Aber das ist ja gerade das Gute an der Reformation. Martin Luther hat nämlich kapiert: Wir müssen Gott gar nicht beeindrucken. Im Gegenteil: Glauben reicht. Glauben, dass Gott uns liebt.«

    »Du meinst, das ist wichtiger als gute Taten?«

    »Genau! Das unterscheidet Gott eben von den Menschen. Dein Chef und deine Schwiegereltern, die wollen nur Leistung sehen. Aber Gott will nicht deine Leistung. Gott will dein Vertrauen. Und wenn du das kapiert hast, dann kannst du tatsächlich unbeschwert sein! Weil klar ist: Wertvoll und liebenswert bist du auf jeden Fall. Egal, was die anderen sagen.«

    »Klingt nicht übel. ›Egal, was die anderen sagen.‹ Ich glaub’, ich fühl mich schon besser.«

    »Dann ist ja gut, dass wir mal geredet haben« sagte mein Radiowecker. Anschließend schaltete er auf das normale Programm um, und der Tag konnte beginnen.



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