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    Briefwechsel mit dem Reformator

    Jörg Hirsch

    »Lieber Doktor Luther«, so möchte ich den Brief beginnen, den ich dem großen Reformator allzu gern schreiben würde. »Lieber Doktor Luther« – also fingiere ich halt meinen Brief und tue so, als ob das ginge. Als ob der alte Meister irgendwo in Gottes Reich, in einem Winkel der bekanntlich vielen Wohnungen des Hauses Gottes behaglich am Fenster in seinem Ohrensessel säße und Briefe empfangen könnte, um sie dann und wann zu beantworten.

    »Lieber Doktor Luther, ich kenne Dich, aber Du kennst mich nicht. So ist das, wenn man berühmt ist. Ich, ein Pfarrer aus dem Badischen, erlaube mir, ein paar Zeilen an Dich zu richten. Nimm es mir nicht übel! Schenke mir ein wenig Deiner Zeit! Du hast ja genug davon in der Ewigkeit.

    Weißt Du, wir haben gerade Lutherjubiläum. Nicht schon wieder!, wirst Du jetzt denken. Du hast ja Recht, Deine runden Geburtstage haben wir gebührend gefeiert, die Todestage ebenfalls. Dein 500. Geburtstag liegt schon eine ganze Weile zurück. Aber jetzt! Jetzt feiern wir, wie Du die 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg genagelt hast. Ich wäre zu gern dabei gewesen. Deine Aktion hat die Welt verändert. Das war der Hammer, wenn Du den Ausdruck verzeihst! Heute noch gehört zur Allgemeinbildung zu wissen, wie Du damals die Missstände in der Kirche angeprangert hast. Wie Du richtiggestellt hast, dass man Buße nicht mal eben nebenbei tun kann, vielleicht noch Geld dafür bezahlen, statt echt zu bereuen, und wie Du darauf beharrt hast, das ganze Leben sei eine einzige Buße. Wie Recht Du hattest, verehrter Herr Doktor! Du siehst, wir haben es wirklich nicht vergessen. Es gibt im Übrigen einen Gedenktag dafür, im Herbst, am 31. Oktober. Den Reformationstag.

    Auch Dich selbst haben wir nicht vergessen. Die Leute stehen Schlange, um auf der Wartburg Deine Stube zu sehen. Wo Du die Bibel übersetzt hast. Oder Dein schönes Haus in Wittenberg. Lutherreisen zu den Lutherstätten sind bis auf weiteres ausgebucht.

    Nun will ich Dir, hochverehrter Doktor Luther, aber nicht nur die erfreulichen Dinge vortragen, ich will Dich auch am Elend unserer Zeit und unserer Kirche teilhaben lassen. Deswegen schreibe ich Dir ja. Unserer evangelischen Kirche geht irgendwie die Luft aus. Ich weiß auch nicht genau, woran es liegt, aber wir verlieren an Substanz und an Relevanz. Viele Menschen verlassen uns und treten aus der Kirche aus. Bei den Gottesdiensten bleiben die Bänke leer. Kaum einer will mehr hören, was wir zu sagen haben. Das Wort stand bei Dir noch in der Mitte. Ist es nicht so? Ein Wörtlein kann ihn, den Teufel, fällen, hast du gedichtet. Wir haben keine solchen Gegner mehr, aber leider auch keine richtige Sehnsucht mehr nach dem Wort, dem rechten und erlösenden. Alles ist ein bisschen belanglos geworden. Vielleicht kannst Du mir aus der Tiefe Deiner Weisheit und mit Deinem reichen Schatz an Erfahrung etwas raten. Was soll nur aus der evangelischen Kirche werden? Wohin sollen wir gehen? Ich weiß es nicht. Was könnten wir tun, um wieder mehr Gehör zu finden bei den Menschen? Über eine Antwort würde sich sehr freuen, der mit bewundernder Hochachtung verbleibende Pfarrer J. H.«

    Luther antwortet:

    »Gnade und Friede in Christo, unserem Herrn zuvor. Liebes Pfarrerlein, ich habe Deinen Brief erhalten. Desgleichen betrachte ich euer Treiben auf Erden wohl und schaue fein zu bei eurem Wirken. Allein, nicht mehr als Beteiligter, was bin ich – Gott sei es gedankt – dessen froh, sondern mit recht viel Abstand und gewissermaßen aus höherer Warte sehe ich euch zu. Auch all die Spirantia, die ihr um mich armen Bettelsack vollführet, sind mir nicht entgangen. Item, hättet ihr nur genauer gelesen, was ich einst geschrieben, dass keiner sich meines elenden Namens rühmen soll! Aber da seid ihr halsstarriger und eigensinniger als irgendein böser Bauer oder Weib, ja härter als irgendein Amboss noch Eisen ist. Luther, wer ist Luther? Rühmet euch des heiligen Namens Jesu Christi, der mit seinem edlen Blut euch reingewaschen hat. Und wenn schon, lest den Apostel Paulum, erinnert euch des Mosis, wenn ihr wollt, aber nicht meiner.

    Was nun das Zagen und Klagen angeht, und dass ihr Sorge traget in euren Herzen um die Kirche, die doch eine Errichtung des Herrn ist, und dass ihr nicht wisset, wo hü und wo hott, so scheint es mir so zu sein: Euch dünkt, ihr müsstet Erde kauen und Steine schlucken, und ist doch nichts als süßer Brei! Ihr müsst nicht fechten wider den Papst wie unsereiner, kämpfen gegen Hölle, Pest, Mord und Götzerei. Ihr solltet vielmehr danken für eure Freiheit! Und ihr solltet viel mehr Christum treiben bei euch, der doch der süßesten Speisen köstlichste ist. Grämt euch nicht so viel! Schaut auf ihn! Mehr habe ich nicht zu sagen. Auch muss ich schließen, denn der Briefe sind gar viele noch zu beantworten. Mit eigener Hand zu Papier gebracht von Martinus Luther.«

    »Verehrter Doktor, lieber Martin Luther«, so meine Antwort, »Deine Zeilen haben mich nachdenklich gemacht, und im Übrigen nicht gerade befriedigt. Ich hatte mir aus dem Fundus Deiner Weisheit und reformatorischen Erfahrung etwas konkretere Ratschläge erwartet. Dass wir ›Christum treiben‹ sollen, wie Du es nennst, weiß ich auch. Aber was heißt denn das? Uns fehlen irgendwie die Ideen, der Anreiz und Ansporn. Ich erlaube mir, auf weitere Nachricht zu warten. Herzliche Grüße aus dem Gebiet der Kurpfalz.«

    Luther antwortet ein zweites Mal und schreibt zurück:

    »Gnade und Fried’ im Herrn! Lieber Collega und mit Dir alle Brüder und Schwestern in Christo. Solange ihr noch solche Fragen habt, seid ihr immerhin noch nicht tot und kalt. Der Glaube ist immer im Werden und Wachsen, kein fertiges Sein. Ruhe gibt es für einen Christenmenschen nicht, aber Übung. So einer sagt: ich hab’s, lügt er sich eins in den Beutel.

    Nichtsdestoweniger ist Deine Frage ein wenig einfältig. Du fragst mich, was ihr tun sollt als Kirche Jesu Christi. Das kann ich euch genau sagen: auf sein Wort hören, wie es aufgeschrieben ist in der Heiligen Schrift, und solches halten, wie ihr’s lest. Schärft eure Waffen gegen Unglauben und Verdrossenheit in eurer Mitte. Deren gibt es wahrlich genug. Das war zu meiner Zeit nicht anders. Und meint bloß nicht, das ginge ohne Schwierigkeiten und ohne Streit, ganz bequem, so dass keiner sich die Zähne zusammenbeißen müsste und sich anstrengen. ‚Alles ist so belanglos’, wenn ich so was schon höre! Der Herr Christ ließ solches seinen Jüngern zu Ohren kommen, ihr könnt es nachlesen bei Mathaei im 10.: ›Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.‹ Das Schwert des Wortes freilich, will ich meinen. Ihr könnt das alles nachlesen im Evangelio, ihr nachgeborenen Christen. Seid nicht so harmonieselig. So feig und träg. Streitet euch mal um der Sache willen. Was haben wir gestritten damals, wenn ich daran denke, mit den päpstlichen Theologen und Abgesandten und auch mit den eigenen Kollegen. Die waren mitunter noch schlimmer. Aber der schlimmste ist der Teufel. Dass der nicht mehr bei euch zu Gange sein mag, das will ich nicht glauben, der Satanos als der Trägheitsteufel, Langeweileteufel, Egoismusteufel, Besitzteufel, Vergnügungsteufel, Unruheteufel, wie er auch heißen mag und wo er auftreten mag, euch zu versuchen.

    Gebraucht das Schwert! Nicht, um zu verstümmeln, da sei Gott vor, aber um zu schneiden, um zu zertrennen, was gut ist und was schlecht. Was der Sache Gottes dient und was nicht. Das schreibe ich euch. Es muss genügen. Lebt wohl und seid starke Verächter des Satans! Denkt daran, gekreuzigt wurde einer, der Triumphator in Israel, sein Sieg ist auch eurer. Eines Tages wird das alle Welt erkennen. Gott befohlen, Martinus Luther.«

    »Lieber verehrter Meister, es ist gewiss nicht recht, Dich hochberühmten Mann noch einmal zu behelligen«, so wende ich mich zum dritten Mal an den Wittenberger Doktor. Kämpferischer sollen wir sein, schreibst Du. Ja, schon! Du lebtest in der Zeit von Bauernkrieg und Türkensturm und anderen Schlachten. Die Leere und die Oberflächlichkeit unserer Tage kanntest Du nicht, so wenig wie die Erschöpfung, die aus Überreizung folgt. All das war Dir fremd. Das sehe ich wohl und lese es aus Deinen Zeilen. Vielleicht kannst Du mir einen abschließenden Rat geben, wie wir wieder etwas reformatorischen Schwung bekommen können? Wie immer Dein ergebener Freund aus dem Badnerland.«

    »Gnade und Frieden! Es ist wahr, was Du schreibst, mein Bester, Leere und lange Weile habe ich nicht gekannt, aber was glaubst Du, wie vertraut mir der Unglaube gewesen ist! Ha! Dem Magister Philippo Melanchthon, einem Landsmanne von Dir, habe ich eigenhändig geschrieben, höre nur und lies: Ich hasse von Herzen die großen Sorgen, von denen Du, wie Du schreibst, verzehrt wirst. Dass sie Dein Herz so beherrschen, daran ist nicht die Größe der Gefahr, sondern die Größe unseres Unglaubens schuld.

    So schrieb ich, es ist wohl wahr. Höret und betet ohn’ Unterlass! Hört nicht auf zu beten! Haltet Meditationes, wo ihr könnt, Gottesdienste! Habt Vertrauen, Gott wird nicht von euch lassen! Ihr seid ja versiegelt mit Tauf’ und Sakrament. Mehr hab ich nicht zu sagen. Doch will ich Dich lesen lassen, was ich meiner lieben Frau Katherin Lutherin von Bora zu Wittenberg verfasset hab über das unnötige Sorgen und rechte Vertrauen. ›Was sorgst Du Dich für Deinen Gott? Grad als wäre er nicht allmächtig, der da könnte zehn Doktor Martinus schaffen, wo der alte ersöffe in der Saale oder im Ofenloch oder auf Wolfs Vogelherd. Lass mich in Frieden mit Deiner Sorge, ich habe einen besseren Sorger, denn Du und alle Engel sind. Der liegt in der Krippe, aber sitzt gleichwohl zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters. Bete Du und lass Gott sorgen. Wirf Dein Anliegen auf den Herrn, der sorgt für dich. Hiermit Gott befohlen. Gerne wollten wir erlöst sein und heimfahren, wenn Gott es wollte. Amen. Amen. Amen. Eurer Heiligen williger Diener. Martinus Luther‹.«

    Diese letzten Zeilen sind echt und stammen aus Luthers Brief an seine Frau, geschrieben acht Tage vor seinem Tod am 18. Februar 1546 in seinem Geburtsort Eisleben. Mit diesen Zeilen will ich meinen erfundenen Briefwechsel mit dem Reformator beschließen. Dass wir sein Werk feiern, darf einhergehen mit einer Rückbesinnung auf die Stärken der Reformationszeit, nämlich kämpferisch zu sein für die eigene Glaubensüberzeugung, das heißt, sich trauen, die Überzeugung nicht nur zu zeigen, sondern für sie in der Öffentlichkeit einzustehen. Sodann aus Gottvertrauen leben. Kaum jemand hatte so eine innige Rückbindung an die Kraft Gottes, die er empfing, wie Luther. Er konnte stundenlang beten und fand dennoch oder gerade deswegen Zeit für sein immenses Lebenswerk. In glaubensschwachen Zeiten auf Gottes Wort hören und mutig danach leben. Dazu braucht es gar keinen Briefwechsel mit Luther. Die wachgehaltene Erinnerung an die Reformation reicht vollkommen.



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