• Hier stehe ich Ein neues Reformationslied Hanno Gerke
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  • Arbeitshilfen für die Gestaltung von Gottesdiensten zu Kasualien, Feierragen und besonderen Anlässen




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    Predigt über Röm 3,21–28

    Sibylle Rolf

    Luther hat im Rückblick auf seine reformatorische Entdeckung beschrieben, dass er sich gefühlt hat, als seien ihm die Tore zum Himmel geöffnet worden. »Die Freiheit eines Christenmenschen« ist von da an sein Thema. Als freier Christenmensch findet er die Kraft, gegen die Mächtigen der damaligen Welt aufzustehen – ein kleines Mönchlein aus Wittenberg. Ein freier Christenmensch ist er bis an sein Lebensende geblieben, und diese Freiheit hat ihn so beflügelt, dass er darüber Lieder gedichtet hat: Freut euch und lasst uns fröhlich springen – wir haben es eben gesungen.

    Seine Freiheitsentdeckung hat Luther gemacht, als er sich in die Bibel vertieft hat, vor allem in den Römerbrief. Unser Predigttext ist ein Abschnitt daraus. Auf den ersten Blick hat er aber mit der Freiheit eines Christenmenschen nichts zu tun. Das Wort »Freiheit« kommt noch nicht einmal vor. Dafür viele andere Wörter: Gerechtigkeit, Glauben, Gesetz, Gnade – und natürlich Gott. Und noch eins: Sünde. Und das ist nun wohl das gerade Gegenteil von Freiheit. »Uff«, haben Sie vielleicht beim Hören gedacht. Ganz anders klingt es als »Nun freut euch, lieben Christen g’mein«. Was hat Luther dazu gebracht, in diesen dichten theologischen Formulierungen Freiheit und Freude zu finden? In vier Schritten möchte ich mit Ihnen diesen Weg nachgehen.

    1. Wie wird man gerecht?

    Wer ist gerecht? Ein Lehrer, der für seine Schüler und Schülerinnen »gerecht« ist? Ein gerechter Richter? Gerechte Eltern? Wahrscheinlich können wir uns schnell darauf einigen, dass man einen Gerechten daran erkennt, dass er gerecht handelt. Er bevorzugt niemanden. Er hält sich selbst an die Regeln, die er anderen gibt. Ein Gerechter ist verlässlich. Er ist nicht heute so und morgen anders, nur weil er vielleicht schlecht geschlafen hat. Ein gerechter Lehrer gibt Noten nach Leistung und nicht danach, ob er Schüler und Schülerinnen mag. Ein gerechter Richter urteilt nach den Fakten und nicht danach, ob der Angeklagte hübsch oder reich ist oder großen Einfluss hat. Gerechte Eltern ziehen nicht ein Kind dem anderen vor. Sie versuchen, jedem Kind in seiner Eigenart »gerecht« zu werden. Gerecht ist, wer gerecht handelt. Dazu gehört auch, dass man sich an Regeln oder Gesetze hält.

    Genau das hat Luther in seiner theologischen Ausbildung gelernt: Gerecht ist, wer gerecht handelt. Das gilt auch bei Gott: Den Gerechten vor Gott erkennt man daran, dass er sich an Gottes Gebote hält. Und Gerechtigkeit kann man einüben. Man wird immer besser darin, wie ein Musiker auf seinem Instrument durch Übung besser wird. Das ist plausibel, denn genauso lernen ja unsere Kinder, wie man sich allmählich immer besser an Regeln halten kann – man lernt sie kennen und übt sie ein.

    2. Kann man Gerechtigkeit vor Gott üben?

    Was Luther dazu trieb, in das Augustiner-Kloster in Erfurt einzutreten, war der Wunsch, gerecht vor Gott zu sein und in die Gebote Gottes hineinzuwachsen. Das Leben im Kloster war hart: viele Gebetszeiten, wenig Schlaf, nur eine Mahlzeit am Tag, an manchen Tagen gar keine. Bruder Martinus schindet sich, er hält sich genau an das, was andere von ihm erwarten, er erfüllt jede Regel, möglichst noch besser als die anderen – und doch findet er nicht, was er sucht. Im Gegenteil, er entfernt sich immer weiter von seinem Ziel. Sein Wunsch, vor Gott gerecht dazustehen, stößt ihn immer tiefer in die Verzweiflung – denn er schafft es nicht. Immer findet er noch etwas, wo er eben doch gegen Gottes Regeln verstoßen hat. Je mehr er sich müht, desto weniger kommt er an; je mehr er sich verbessern will, desto mehr kreist er um sich selbst. Warum ist das so?



    3. Um frei zu werden, muss ich meine Unfreiheit erkennen

    Bruder Martinus setzt alles daran, Gott zu gefallen. Und doch findet er keinen Frieden. Erst als er in der Heiligen Schrift entdeckt, was Paulus über den Menschen und über Gott sagt, fühlt er sich, als sei ihm eine Tür geöffnet worden – der Weg in die Freiheit.

    Liebe Gemeinde, dieser Weg ist ziemlich überraschend; vielleicht haben Sie es noch im Ohr: Sie sind allesamt Sünder. Das lässt sich niemand gerne sagen, oder würden Sie sich als Sünder bezeichnen? Die meisten Menschen sind doch stolz darauf, dass sie das eben nicht sind – Sünder. Nicht in Konflikt mit dem Gesetz. Keine Punkte, in welcher Kartei auch immer. Vielleicht läuft nicht immer alles komplett richtig – aber deswegen gleich »Sünder«?

    Luther hat das Wort »Sünde« in seiner Tragweite erst nach langem Ringen begriffen. Sünde ist nicht nur das, was wir tun – sondern Sünde betrifft, was wir sind. Solange wir mit »Sünde« das falsche Tun meinen, so lange halten wir sie von uns fern. Denn dann nehmen wir an, wir könnten auch anders. Wir müssten nur wollen, wir sind doch schließlich freie Menschen!

    Wenn ich aber auch anders könnte, was bringt mich dazu, die Menschen, die mir nahe stehen, zu verletzen? Nicht richtig hinzuhören, wenn sie mir etwas Wichtiges sagen wollen? Was treibt mich eigentlich dazu an, den Menschen, mit denen ich umgehe, nicht wirklich »gerecht« zu werden, sondern ihnen mit meiner vorgefassten Meinung zu begegnen – klar, der war schon immer so, typisch …? Was bringt mich dazu, kleine Unwahrheiten zu erzählen oder wichtige Dinge zu verschweigen? Was hält mich eigentlich davon ab, andere wirklich selbstlos zu lieben? Warum denke ich bei dem, was ich tue, immer auch daran, was es mir bringt? Und warum stehe ich mir so oft selbst im Weg, indem ich nichts anderes sehe, als … mich selbst? Und schließlich: Warum vertraue ich nicht im Letzten auf Gott, sondern versuche, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, so, als brauchte ich Gott nicht?

    Bruder Martinus hat diese Fragen an sein Herz gelassen. Er hat gespürt, dass er hinter seinem eigenen Anspruch zurückbleibt. Wie würde Gott auf ihn blicken? Für ihn waren seine Gewissensnöte bedrängender als die Geister, die uns heute Nacht in den Straßen von Ladenburg auflauern.

    Dort, am Fenster seiner Zelle, hat er gesessen und gedacht: Wie gerne wäre ich anders: selbstlos, andere zu lieben, oder mutig, für das einzutreten, was doch eigentlich richtig wäre – aber allzu oft scheitere ich an meiner Angst oder daran, dass ich tue, was andere von mir erwarten. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto verzwickter wird es. Je mehr ich versuche, alles richtig zu machen, desto falscher wird es. Warum kann ich nicht so, wie ich will? Und – noch schlimmer – warum will ich manchmal noch nicht einmal das Gute? Wie kommt es, dass mir manchmal Menschen begegnen, die regelrecht das Böse in mir hervorrufen? Bei denen ich widerspreche, nur um zu widersprechen? Bei denen ich so lange argumentiere, bis ich am Ende das Gefühl habe, Siegerin zu sein? Bin ich am Ende gar nicht so frei, wie ich denke?

    Bruder Martinus, möchte ich rufen, du weißt gar nicht, wie Recht du hast! Ich möchte solche Fragen gerne von mir wegschieben, aber an manchen Tagen kommen sie mir ganz schön nahe. Und was Martinus umtreibt, wird zu meiner eigenen Frage: Warum schaffe ich es nicht, so zu sein, wie ich eigentlich will – anderen zugewandt um ihretwillen? Ich weiß doch eigentlich, was gut und richtig wäre, ich kenne die Gebote Gottes, und sie sind mir wichtig – aber warum sehe ich zu und schweige, wenn zwei Kolleginnen über eine dritte, nicht anwesende herziehen? Warum geht es mir so oft darum, meine eigene Haut zu retten? Warum werde ich den Menschen, mit denen ich lebe, oft genug nicht gerecht – Kollegen, Angehörigen und Freundinnen? Ich fühle mich gefangen in mir selbst.

    Wenn ich diese Fragen wirklich an mich herankommen lasse, dann ahne ich, welche Sprengkraft für Luther darin lag: Sie sind allesamt Sünder. Das ist die Diagnose, die aufdeckt, was ich schon längst geahnt habe: Ich kann mir nicht selbst helfen. Ich stecke viel zu tief darin. Es betrifft nicht nur das Äußere. Es geht bis ins Herz.

    Sicher, all das Schreckliche, das Menschen tun können, auch das sind Sünden: Wenn Menschen andere Menschen quälen und missbrauchen, wenn Menschen andere zu Nicht-Menschen erklären. Aber die eigentliche Sünde liegt noch tiefer. Sie liegt in mir drin, auch in mir. Und damit, dass ich gerecht handle, ist ihr nicht beizukommen. Aber jetzt ist es gesagt. Und darin liegt der Anfang der Befreiung.



    4. Die Freiheit des Christenmenschen

    Die Freiheit liegt noch nicht im Bekenntnis der Sünde. Sondern darin, dass mir nur Gott helfen kann. In allen Nöten, die Martinus umtreiben – sein Beichtvater hält ihm Christus vor. »Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst.« (2Kor 5,19) Martinus erfährt: Du musst nicht in dir selbst stecken bleiben. Sondern wirf dich auf Christus, so wirst du eine Freiheit entdecken, die bis in dein Herz reicht.

    Im Glauben wirst du frei von deiner Sucht danach, dir, den anderen und Gott immer beweisen zu müssen, wie gut du bist. Welch ein Druck da von dir weicht! Du musst nicht gut werden, indem du gut handelst! In Gottes Augen bist du längst gut. Weil Gott dich liebt, musst du dich niemandem mehr beweisen. Du musst nicht deinen Weg zu Gott suchen, sondern Gott hat den Weg zu dir schon längst gefunden. »Ich bin dein, und du bist mein«, haben wir eben gesungen. So sprechen Liebende. Und während menschliche Liebende immer in der Gefahr stehen, sich wieder zu ›entlieben‹: Nichts kann dich mehr von Christus trennen. Denn er ist schon längst für dich da. Wo findest du Christus? Dort, wo er sich dir schenkt, ohne dass du etwas dafür tust. In seinem Wort, im Gebet, im Abendmahl in Brot und Wein.

    Der Weg in die Freiheit führt über den Glauben. Er mutet uns zu, einzugestehen, dass wir nichts zu unserer Befreiung tun können, sondern alles geschenkt bekommen. Sich alles schenken zu lassen, ist gar nicht so einfach. Ich ertappe mich dabei, mir selbst auf die Schulter zu klopfen. Das habe ich aber gut gemacht, bin halt ein guter Mensch. Aber es gibt auch die Momente, in denen ich etwas von der Freiheit ahne, zu der Christus uns befreit hat. Immer dann, wenn ich nicht auf meinen Nutzen sehe, sondern mich beschenken lasse vom Augenblick. Von dem, was mir gerade zuteilwird. In der Stille, in der Begegnung mit einem Menschen, in der Musik, im Abendmahl und im Gebet. Beschenkte Menschen sind freie Menschen. Sie sind frei, weil sie ihre Hände öffnen und loslassen können. Sie halten Gott hin, worunter sie leiden – ihre Lieblosigkeit und ihre Selbstsucht. Indem wir uns dazu bekennen und Verantwortung dafür übernehmen, lassen wir los. Es verliert seine Macht. Ich bleibe nicht bei mir alleine. Das ist die »Gerechtigkeit im Glauben«.

    Wenn wir gleich miteinander Abendmahl feiern, schenkt Gott sich uns, rührt uns im Herzen an und führt uns in die Freiheit. Jedem und jeder von uns spricht er zu: Du bist in meinen Augen wertgeachtet, weil ich dich liebe. Du musst mir nicht beweisen, dass du gerecht bist. Lass dich beschenken von meiner Gnade. Mögen wir Martinus heißen oder Sophie, Katharina oder Stefan, mögen wir in Wittenberg wohnen oder in Ladenburg: Im Glauben, der alles von Gott und nichts von sich selbst erwartet – hier liegt die Freiheit des Christenmenschen. Hier, in der festen Burg, die unser Gott ist.

    Hier stehe ich

    Ein neues Reformationslied

    Hanno Gerke

    Zu singen nach der Melodie »Nun freut euch, lieben Christen g’mein« (EG 341)

    1. Hier stehe ich! Es ist nun Zeit,

    von dir, mein Gott, zu singen.

    Du hältst zu mir in Freud und Leid,

    im Scheitern und Gelingen.

    Bin ich verstrickt in Schuld und Schmerz,

    machst du mich frei, siehst mir ins Herz.

    Ich spüre deinen Segen!

    2. Ich schau’ auf manchen Tag zurück;

    es bleiben viele Fragen.

    Du warst mir nah, das war mein Glück,

    hast Schweres mitgetragen.

    Hab’ ich die Strecke nicht geschafft

    und war am Ende meiner Kraft,

    hast du mich aufgerichtet.

    3. Ich seh’, wie weit der Weg noch ist,

    und mach’ mir viele Sorgen.

    Wie schön, Gott, dass du bei mir bist!

    Du machst mir Mut für morgen.

    Wenn auch das Ziel noch ferne bleibt,

    bist du es, der die Angst vertreibt.

    Du kommst mir selbst entgegen.

    Die Autorinnen und Autoren

    Superintendent i. R. Heinz Behrends, Göttingen

    Pfarrer Prof. Stefan Claaß, Herborn

    Dekan Markus Engelhardt, Freiburg

    Pfarrer Hanno Gerke, Dortmund

    Pfarrerin Ute Haizmann, Weinheim

    Pfarrer Berthold W. Haerter, Oberrieden (CH)

    Dekan Eckhard Herrmann, Regensburg

    Pfarrer Jörg Hirsch, Heidelberg

    Pfarrer Kurt Rainer Klein, Schornsheim

    Pfarrer Wolfhart Koeppen, Passau

    Pfarrer Dr. Klaus Kohl, Bonn

    Pfarrer Wolfgang Max, Bretten

    Pfarrerin Nadja Papis-Wüest, Langnau a. Albis (CH)

    Pfarrer Christian Rave, Tegernau

    Pfarrer Peter Remy, Alsfeld

    Pfarrerin Dr. Sibylle Rolf, Oftersheim

    Pfarrer Arno Schmitt, Mannheim

    Pfarrer Dr. Christian Schwarz, Wiesloch

    Pfarrer Martin Vogt, Sundern



    Pfarrerin Christel Weber, Borchen
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