Predigen für eine leere Kirche mag niemand, oder?
Journalisten und Verantwortungsträger im Bereich der Medienangebote benötigen Adressaten bzw. ein Publikum – Rezipienten oder Empfänger. Der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung-Online, Hans-Jürgen Jakobs, rief 2009 anlässlich der Medientage in München Henri Nannen in Erinnerung. Der Gründer und langjährige Chefredakteur der Illustrierten Stern besaß eine einfache Redaktionsrichtlinie: ‚Wer predigen will, der muss dafür sorgen, dass die Kirche voll ist’. In den ersten Jahrzehnten nach dem Kriegsende 1945 genügte es, inhaltlich attraktive Stoffe in die Massenmedien zu stellen. Dem so gewonnenen Publikum konnte man dann auch schwierigere Themen präsentieren. Was aber, so fragte Jakobs sich, was aber ist in einer Welt, in der die Kommunikation zwischen Menschen das Maβ aller Dinge ist, bei der der Computer die Grundlage für die Verbindung von Millionen von Menschen bildet – kurzum, in der für junge Leute das Internet ganz selbstverständlich zum Leitmedium geworden ist? – und in der, um in der Sprache Nannens zu bleiben, die Kirche leer bleibt?29
Als verantwortlicher Chefredakteur der Onlinezeitung sueddeutsche.[dot]de befürwortet Jakobs eine Lösung, die man von ihm erwarten darf: Alle jene, die die Kirche nicht mehr voll bekommen, werden sich stärker zur Gemeinde hinbewegen müssen, also Teil all jener communities und Plattformen werden, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Sie werden hier, wie Jakobs betont, für ihre Inhalte werben müssen, um mit ihren konventionellen Medien weiter vorankommen zu können.
Wenn die Kirche leer bleibt, muss man sich zu den Menschen hinbewegen. Einverstanden – aber Kirchen wie die niederländische ohne Kirchensteuer werden gar nicht oder kaum in der Lage sein, eine eigene digitale Parallelwelt zu schaffen, um ihre Botschaft über die sozialen Netzwerke wie Facebook oder über Videoplattformen wie YouTube neu zu beleben. Sie können versuchen, ihr Angebot über ihre Websites und die öffentlich zugänglichen Online-Informationsquellen wie Wikipedia zur Verfügung zu stellen und bereit zu halten. Bei einer Kirche der freiwilligen Mitarbeiter und vor allem Mitarbeiterinnen, wie die der niederländischen katholischen Kirchenprovinz und der protestantischen Kirchen, handelt es sich um Glaubensgemeinschaften ohne jährliche Einnahmen aus Kirchensteuer und ohne substantielle Ressourcen für eigene Medien und professionelle Kommunikationsanstrengungen. Diese Kirche ist vor allem vom guten Willen der herkömmlichen kommerziellen und nicht-kommerziellen Printmedien, von Hörfunk und Fernsehen abhängig. Zusätzlich bietet das Internet Möglichkeiten, die auch genutzt werden. Die Kirchen haben ihre eigenen Websites. Und es gibt Privatinitiativen von eingetragenen Vereinen oder von anderen nicht kommerziellen Organisationen. Das Angebotsspektrum dieser Anbieter bewegt sich in einer Spannbreite von einerseits qualitativ hochwertigen kritischen Inhalten mit Informationen und sinnvollen Diskussionsbeiträgen bis andererseits zu fundamentalistischen, manchmal sogar aufhetzenden Botschaften. Klassische und neue Medien sind also nicht mehr und nicht weniger als Vehikel für das Gute und das Böse, das Lobenswerte und das Verwerfliche – alles im Sinne des Wahrnehmers, wie Thomas von Aquino schon lehrte.
Die Journalisten der unabhängigen Medien sind nicht unbedingt Goodwillbotschafter, die Bischöfe sich wünschen. Und Bischöfe sind nicht immer Würdenträger, die Journalisten sich als Ansprechpartner wünschen. Der 2007 ernannte Erzbischof der Erzdiözese Utrecht, Wim Eijk, mochte in seinen ersten Amtsjahren überhaupt keinem Journalisten begegnen. Es besaß eine – für die von Medienkultur geprägte Zeit – unvorstellbare Abwehrhaltung gegenüber der Öffentlichkeit. Die Missbrauchsskandale zwangen ihn letztendlich doch, an die Medienöffentlichkeit zu gehen, nachdem er Mitte 2011 den Vorsitz der niederländischen Bischofskonferenz übernommen hatte. Die Art und Weise wie Eijk, der Anfang des Jahres 2012 vom Papst zum Kardinalswürde berufen wurde, das Erzbistum reorganisierte und sanierte, schlägt momentan in den Medien nicht mehr jene hohen Wellen, die man erwarten könnte. Diese Tatsache hängt nur zum Teil mit der Abwehrhaltung des Erzbischofs den Journalisten gegenüber zusammen. Wichtiger scheint mir die Tatsache zu sein, dass das Interesse der Medien an einer Kirchenpolitik alten Stils und an dem Verhalten eines eigenwilligen Bischofs - abgesehen von einigen Meldungen - definitiv der Vergangenheit angehört. Auf der Tagesordnung der multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft befinden sich grundsätzlich Themen zu Religion und Kirche und man kann feststellen: in größerem Umfang als zuvor.
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