Die Säkularität der Medienkultur und Sakralität des Religiösen




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Die Säkularität der Medienkultur und Sakralität des Religiösen

Nachdem man die Verknüpfung zwischen der kirchlich-religiösen Kultur und der Medienkultur auf sich hat einwirken lassen, kann man sich die erste als ein sakrales Ganzes und die zweite als eine säkulare Ganzheit vorstellen – mit vielen Interaktionsmöglichkeiten und Querverbindungen. Schon recht früh erkannten der niederländische Religionswissenschaftler Hent de Vries und sein amerikanischer Kollege Samuel Weber Religionen und Medien als einflussreiche Teilgebiete des gesellschaftlichen Lebens, die auch aus dem Gesichtswinkel der Kommunikationswissenschaft studiert werden sollen.22

Schon während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) umarmten die niederländischen Katholiken begeistert das neue, in der dogmatischen Konstitution „Lumen Gentium“ (1964) entworfene Bild der Kirche als „Volk Gottes unterwegs“, ohne eine klerikale Elite und ohne die hierarchische Pyramide als Organisationsprinzip. Die katholische Kirche versuchte im Rahmen des Konzils auch Verständnis für die Welt der Medien und ihrer Begleitphänomene wie zum Beispiel Werbung, Nachdruck auf Konsum und Personenkult zu entwickeln. Von einer Annäherung war im Konzildokument „Inter Mirifica“ (1963) noch keine Rede. Aber die Pastoralinstruktionen „Communio et Progressio“ (1970) und „Aetatis Novae“ (1992) bedeuteten wichtige Schritte voran.23 Seitdem kann man während vier Dezennien verfolgen wie immer wieder – auch aus Anlass der jährlichen „Mediensonntage“ – in päpstlichen Ansprachen und Dokumenten positive Signale und Warnungen um den Vorrang stritten – mit letztendlich einer fortschrittlichen Entwicklung des Denkens über „soziale Kommunikation“ als Ergebnis. Der lateinische Begriff communicatio socialis bedeutet im Vatikan öffentliche Kommunikation oder Massenkommunikation, aber auch die damit verbundene zwischenmenschliche Kommunikation.1963 bekam das Bistum Breda als erstes Bistum in den Niederlanden einen Pressesprecher und eine Abteilung Kommunikation. Die Kirchenprovinz folgte 1972.

Die Professionalisierung der vatikanischen Kommunikationsanstrengungen wurde besonders unter Papst Johann Paul II. vorangetrieben, als der Spanier Dr. Joaquin Navarro-Valls die Regie führte. Sein Nachfolger seit 2006, der Jesuit Federico Lombardi, kann noch nicht im Schatten seines Vorgängers stehen, auch deshalb, weil Papst Benedikt XVI. ihm als Pressesprecher weniger Spielraum lässt, wie von Vatikan-watcher behauptet wurde. 2012 wurde der sehr erfahrene amerikanische Fernsehjournalist Greg Burke als Kommunikationsberater eingeschleust: Krisenkommunikation ist seine Aufgabe. Zentrales Problem bleibt jedoch, dass die Funktionäre des Vatikans, die auβerhalb der Medienabteilung tätig sind, zu leicht rückfällig werden, wenn in Krisensituationen Offenheit statt Verschwiegenheit geboten ist. Wenn das Schweigen nur unterbrochen wird, um Journalisten anzukreiden, dass sie kein gebührendes Respekt zeigen, beispielsweise, wenn sie Missstände an den Pranger stellen, macht des Zentrum der katholischen Weltkirche einen weltfremden Eindruck, was die Medien weltweit kritisieren.

Die (inzwischen weitgehend bedrohte) Näherung der Kirche zu den Medien kann man als einen Brückenschlag zwischen der sakralen Welt des Religiösen einerseits und der säkularen Medienwelt während des letzten halben Jahrhunderts betrachten. Durch die weltweite Medienaufmerksamkeit gegenüber dem Missbrauch in verschiedenen westeuropäischen Bistümern besteht die Gefahr einer Kluft, die sich als schleichender Prozess vollzieht. Diese kritische Medienaufmerksamkeit könnte zum einnehmen einer underdog-Position des Vatikans führen und die dortigen Funktionäre könnten versucht sein, ständig auf die „bösen“ Journalisten und Meinungsführer dieser Welt zu weisen. Am Palmsonntag, 28. März 2010, rief Papst Benedikt XVI. die Gläubigen auf dem Sankt Peterplatz auf, sich nicht durch Vorurteile einschüchtern zu lassen. Drei Tage zuvor hatte bereits die offizielle Zeitung des Vatikans, l’Osservatore Romano, eine Anspielung auf eine Verschwörung der bösen Kräfte veröffentlicht, indem sie am 25. März 2010 eine Verleumdungskampagne gegen den Papst signalisierte. Die niederländische Qualitätszeitung NRC Handelsblad warnte in einem Kommentar unter dem Titel „Schwerhöriger Papst“, die katholische Kirche dürfe strafrechtlichen Sanktionen nicht dadurch vorbeugen, dass sie sich hinter päpstlichen Briefen, dem kanonischen Recht oder einer Kommission unter dem Vorsitz eines ehemaligen Politikers verstecke.24 Mit der letzten Person ist der (protestantische) ehemalige Politiker und Bürgermeister Wim Deetman gemeint, der im Auftrag der niederländischen Bischofskonferenz einen Untersuchungsausschuss leitete und Dezember 2011 einen erschütternden Abschlussbericht veröffentlichte25, der erneut eine immense Medienaufmerksamkeit auslöste.

Niederländische Zeitungen druckten ein am 1. April 2010 von der Nachrichtenagentur Reuters verbreitetes Zitat des Wiener Prälats Christoph Kardinal Schönborn ab. Auf seine rhetorische Frage, warum die Kirche „verfolgt“ würde und ob es in anderen Sektoren der Gesellschaft keinen Missbrauch gäbe, antwortete er: „Ja, die Medien mögen die Kirche nicht“. The New York Times hatte am 26. März 2010 neue Enthüllungen veröffentlicht. l’Osservatore Romano und l’Avvenire, die Zeitung der italienischen Bischöfe boten anonyme, nicht offizielle Sprecher des Vatikans ein Podium: Sie kritisierten die internationalen Medien in schärfster Weise, weil sie allein die Kirche für den sexuellen Missbrauch verantwortlich erklärten. Internationale und nationale Zeitungen veröffentlichten diese Kritik. Dieser Vorgang wiederholte sich nach Ostern 2010, anlässlich bestimmter Aussagen im Vatikan – nicht des Papstes, jedoch von Personen seiner Umgebung, die ihn angeblich schützen wollten. Was gut gemeint war, zeigte sich immer wieder als Fehleinschätzung der Stimmung in den Medien und unter Gläubigen, die eine klare Verurteilung der geschehenen Verbrechen, Hilfe für die Opfer und strenge Maβnahmen zur Prävention und zur Bestrafung zukünftiger Fälle erwarteten und erwarten. Leider ist festzustellen, dass Risikokommunikation vor der Ernennung des Kommuikationsberaters Burke nicht zu den Traditionen des Vatikan zählte.

Die Vorwürfe aus Rom und Wien verursachten bei den niederländischen Journalisten ablehnende Reaktionen. So schrieb zum Beispiel Bert Wagendorp zwei Tage später in seiner Kolumne in der Tageszeitung de Volkskrant: „Die Kirche ist multinational. Wenn ein Skandal auszubrechen droht, denkt eine multinationale Einrichtung zuerst daran, ihren eigenen business zu schützen und betreibt damage control. Vertuschung also, denn Rom hat noch nicht entdeckt, dass Transparenz eine bessere Verteidigung ist. (…) Die katholische Propaganda ist nun einmal schon über Jahrhunderte lügnerisch wie die Pest, und die Gläubigen werden noch immer für dumm gehalten.“26 Stereotypen, die man seit vielen Jahren nur noch sehr selten in Bezug zur katholischen Kirche und Katholiken lesen konnte, feierten wieder Triumphe. Aber sie wurden durch Äuβerungen herausgefordert, die man als einfacher Katholik lieber nicht gehört oder gelesen hätte. Dazu leider auch eine nicht als Ausrutscher zu entschuldigende Aussage des emeritierten Adrianus Kardinal Simonis. In der bekanntesten talk show des niederländischen nicht-kommerziellen Fernsehens , „Pauw & Witteman“, sagte Adrianus Kardinal Simonis in Bezug zum Missbrauch während seiner Amtszeit als Bischof und Erzbischof: „Ich habe es nicht gewusst“. Als ihm wegen dieser nach der deutschen Besatzungszeit (1940-1945) in den Niederlanden doppelsinnigen und belasteten Redensart Vorwürfe gemacht wurden, antwortete er, die Antwort bewusst gewählt zu haben in der Absicht, seine Verneinung auf eine einfache Formel zu bringen. Als diese Erläuterung weiterhin für Unruhe sorgte, gab der Kardinal seine Fehleinschätzung zu und bat er um Verzeihung ohne Vorbehalt.

Kolumnisten schlugen anlässlich der Aussage von Kardinal Simonis hart zu. Sylvain Ephimenco stellte in der Tageszeitung Trouw fest: „Kommunikativ gesehen ist die katholische Kirche nie stark gewesen. Diese Institution, basierend auf einer Liturgie aus armiertem Beton, einer strikten Hierarchie und aus Ritualen, die über Jahrhunderte ihren Anblick bestimmt haben, tat sich immer schwer, um in den Zug der Modernität einzusteigen. Und Kommunikation ist unter dem Blickwinkel heutiger technologischer Revolution bereits eine Modernität.“ Schlimmer wurde es wochenlang durch die Karikaturisten und Comiczeichner. Bei diesen Bildmaterialien erinnerte ich mich an die Protestbewegung in der arabischen Welt anlässlich der Mohammed-Karikaturen vor einigen Jahren. Was inzwischen in Bezug zum Islam verpönt ist und sogar tabuisiert wird, erlaubte sich mancher Kolumnist oder Zeichner während der Homo-Hostieaffäre und danach anlässlich der causa „Missbrauch in der katholischen Kirche“: Was vielen heilig ist oder wo Respekt Personen gegenüber angemessen wäre, wurde lächerlich gemacht und beschmiert. Etwas mehr freiwillige Selbstkontrolle hätte die Meinungsfreiheit nicht beschädigt.




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