Beispielhafte Forschungsergebnisse aus der Schweiz
Eine Wiener Broschüre mit einer lobenswerten Initiative bot mir ein erstes Beispiel für good practices im Bereich der Aus- und Fortbildung. Mein zweites Beispiel bezieht sich auf Anstrengungen im Forschungsbereich. Ich entnehme es der Universität Zürich und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur. Ich hatte das Glück, in den letzten vier Jahren Mitglied des Expertenausschusses für Religion und Medien des vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Forschungsprojekts „Die Darstellung von Religionen in Schweizer Massenmedien: Zusammenprall der Kulturen oder Förderung des Dialogs?“ zu sein. In dieser Beratungsrolle habe ich viel über Religion als Medienthema dazugelernt, insbesondere auch, weil Forscher aus der Kommunikationswissenschaft und aus der Theologie interdisziplinär beispielhaft zusammenarbeiteten, um beispielsweise empirisch festzustellen, wie verschiedene journalistische Medien in der Schweiz über Themen mit religiösen Aspekten berichten, welche Religionsgemeinschaften in der Berichterstattung vorkommen (und dominieren), welche religiösen Hauptakteure mit welchen Häufigkeiten in den Medieninhalten auftreten und welche Rolle die Medien spielen im Kulturenkonflikt. Die Forschungsgruppe unter der Leitung von Urs Dahinden und Vinzenz Wyss hat das Projekt inzwischen mit wertvollen Publikationen erfolgreich abgeschlossen und Mitte 2012 ein Schlussbericht vorgelegt.30
Die ersten Aufsätze veröffentlichte das Forschungsteam 2009 mit Bezug zu den Teilprojekten der Studie im letzten Heft des 42. Jahrgangs von Communicatio Socialis.31 In ihrem Beitrag in Communicatio Socialis stellen Wyss und Guido Keel die Frage, mit welchen Inszenierungsstrategien Journalisten Themen mit religiösen Aspekten aufgreifen und bearbeiten.32 Der Journalismus in der Schweiz bietet dafür, ebenso wie der niederländische Journalismus, ein interessantes Untersuchungsfeld, weil die Schweiz und die Niederlande sowohl eine multikulturelle als auch multireligiöse Gesellschaft sind. Nur stimmten nicht rund 57,5 Prozent der niederländischen Bürger für die Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten“. Es waren die Schweizer, die mit diesem Ergebnis internationale Empörung hervorriefen. Andererseits haben die Niederländer schon länger einen Fleck auf ihrer weiβen Weste: Das Schweigen, auch in der Politik, zum Scheitern der herkömmlichen Integrationspolitik in Bezug auf Einwanderer aus islamischen Staaten und Regionen wurde durch die Ermordung des Politikers Pim Fortuyn (2002) und des Filmemachers Theo van Gogh (2004) zwar beendet, aber Übereinstimmungen und Kompromisse im Hinblick auf Lösungen lassen sich nur mühsam finden. Die beiden Morde und die Auswanderung der Politikerin und Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali (2006) in die Vereinigten Staaten erregten international Aufsehen ebenso wie die Minarett-Frage in der Schweiz.
Wyss und Keel bieten in ihrem Aufsatz einen Einblick in die Art und Weise, wie die befragten Journalisten in der Schweiz den Themenbereich Religion und religiöse Ereignisse bearbeiten. Die zweite Veröffentlichung im Rahmen des Schwerpunkts „Religion als Medienthema in der Schweiz“ in Communicatio Socialis bezieht sich ebenfalls auf das Züricher Forschungsprojekt. Auf der Grundlage einer Inhaltsanalyse zu Schweizer Medien berichtet Carmen Koch über die mediale Darstellung von Religion. Die Analyse zeigt, dass Islam und Katholizismus die Berichterstattung dominieren.33 Die Ergebnisse legen, wie Koch feststellt, den Schluss einer unausgewogenen Berichterstattung nahe, beginnend mit einer geringen Vielfalt dargestellter Religionsgemeinschaften bis hin zu einer einseitigen Verwendung von Attributen, frames und narrativen Mustern. Besonders in Bezug zu Religionen ist vorstellbar, dass Attributsprozesse psychologischer Natur sind: Wer beispielsweise katholischen Glaubens ist, verarbeitet Informationen über katholische Führungspersönlichkeiten anders als sein Nachbar, der Muslime ist. Muslimische Hauptakteure werden eher als radikal oder extremistisch und buddhistische Akteure eher als friedlich beschrieben. Die „Bilder im Kopf“ sind wichtig für die Einschätzung der Funktionen oder Dysfunktionen einer Religion für das Individuum und ihre „Leistung“ oder Bedrohung für die Gesellschaft. Bei frames handelt es sich in der Kommunikationswissenschaft um Deutungsmuster, die Informationen strukturieren, ihre Komplexität reduzieren und die Selektion von neuen Informationen leiten. Narrative Muster (Held, Opfer, Schuldiger, usw.) spielen auch im Journalismus eine Rolle, es sei denn, dass sie nicht systematisch in die kommunikationswissenschaftlichen Forschungen einbezogen werden. Koch hat sich dieser Aufgabe gestellt und auf die Narrationsforschung zurückgegriffen.
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