Expertise in den Redaktionen weiterhin gefragt




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Sana26.06.2021
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Expertise in den Redaktionen weiterhin gefragt

Wie ich für die vergangenen zehn bis fünfzehn Jahre habe feststellen können, gibt es in den Niederlanden noch immer (oder wieder) einen Nährboden für die öffentliche Auseinandersetzung mit der manchmal brisanten Thematik der Religion(en).35 Er wird durch vielfältigen Meinungsjournalismus kultiviert – es sei denn, dass diese Sparte des Journalismus zum gröβten Teil Auβenseitern überlassen wird. Eine für die Zukunft zu lösende Aufgabe besteht nach meinem Erachten in folgendem: Redaktionen sollten ein so wichtiges Spezialgebiet wie es die Religion ist, nicht vorrangig Experten an Universitäten und spezialisierten Forschungseinrichtungen überlassen. In den Redaktionen sind mehr Sachverständigengutachten gefragt und zwar von Redakteuren und Redakteurinnen, die bereits während ihrer Journalistikausbildung auch eine theologische oder religionswissenschaftliche Ausbildung erhalten haben. So könnte ein zweigliedriger Studiengang beispielsweise an einer Universität, an der Theologie oder Religionswissenschaft und Kommunikationswissenschaft gut etabliert sind. In den Niederlanden kämen nur die (katholische) Radboud Universiteit Nijmegen und die (protestantische) Vrije Universiteit in Amsterdam in Betracht.

Vergleichbare Initiativen wie es das Fortbildungsangebot in Österreich und das schweizerische Forschungsprojekt sowie das Kursangebot in Winterthur sind, existieren in den Niederlanden nicht. Wünschenswert sind ein Kurs oder Studiengang an einer Akademie, Fachhochschule oder Universität mit dem Ziel, die Verknüpfung von Medienkultur, Religion und Politik in der eigenen Gesellschaft und im europäischen Raum interdisziplinär aus katholischer oder allgemeiner christlicher Sicht zu lehren, zu erforschen und zu diskutieren. Die theologische Fakultät der Vrije Universiteit in Amsterdam kennt seit einigen Jahren als einzige niederländische Universität einen Masterstudiengang „Medien und Religion(en)“. Denkbar wäre es, eine katholische Annäherung in diesem Angebot vorzunehmen bzw. einzubeziehen. Zwischen 1983 und 1992 gab es das katholische Medienzentrum (Katholiek Mediacentrum), um u.a. Theologiestudenten auf dem Gebiet der Medien fortzubilden. Dieser Initiative gingen die finanziellen Mittel aus. Möglicherweise war die Zeit damals dafür noch nicht reif; vielleicht, wäre eine Zusammenarbeit mit anderen Kirchen und Glaubensgemeinschaften der zweckmäßigerer Weg gewesen. Die kommunikationswissenschaftliche Forschung zur journalistischen Thematisierung von Religion steckt in den Niederlanden noch in den Kinderschuhen. Zudem wird über Religionsdarstellung in den niederländischen Medien nur lückenhaft informiert.

Obwohl die klassischen Massenmedien über gut ausgebildete Journalisten verfügen, bestehen dennoch Probleme. Gegenwärtig vollziehen sich einschlägige medienexterne Entwicklungen. So findet beispielsweise im Medienmarkt eine Umwälzung statt. Seit 1993 nutzt die nach 1979 geborene „Generation Online“ die Erleichterungen des World Wide Web in vollem Umfang. Diese Generation wächst in der Erwartung einer medialen Gratiskultur auf. Journalistische Inhalte der klassischen Medien müssen bezahlt werden. Wenn die Mehrheit der Jugendlichen sie im Stich lässt und sie später nicht nachträglich entdeckt, folgt die Werbung für Markenartikel und Dienstleistungen erfahrungsgemäβ dem Nutzungsverhalten jener Gruppe, die für sie am wichtigsten ist: den Jungen. Hinzu kommen zeitliche Grenzen sowie Unvermögen, simultan im Netz und in der aktuellen Zeitung zu lesen.

Die Ursachen der Krise in den europäischen und amerikanischen Printmedien bestehen nicht in der sich seit 2008 vollziehenden Rezession. Aber, so ist festzustellen, sie hat sie verschärft. Werbeeinnahmen und Abonnentenzahlen brechen ein. Werbekunden und Leserschaft verlagern sich ins Netz, in dem bis vor kurzem noch keine Gebühren für Internetpublikationen erhoben wurden. Inzwischen machen Zeitungsverleger erste Erfahrungen mit Bezahlsystemen im Internet.36 In den Niederlanden und anderswo zeichnen sich auch Probleme hinsichtlich medieninterner struktureller Veränderungen ab. So droht die Gefahr ständiger Sparmaβnahmen im Bereich der Redaktionen mit Qualitätsansprüchen der nichtkommerziellen Rundfunkorganisationen, Tageszeitungen und Meinungswochenblätter. Inhaltlicher Qualitätsverlust führt zur Abwanderung von anspruchsvollen Fernsehzuschauern und Lesern. Ursachen harten Einsparens der journalistisch und gesellschaftlich betrachtet wertvollen Printmedien sind nicht ausschließlich mit den Umbrüchen der Medienlandschaft, der Finanzkrise oder der Konjunkturschwäche verbunden. Ursachen bestehen beispielsweise in der Habgier der für zwei groβe Zeitungsverlage Verantwortlichen, die in einem Fall ihre Seele vorübergehend dem britischen Heuschrecken-Kapitalanlagen-Fonds Apax verkauft und im anderen Fall mit dem britischen Zeitungsabenteurer David Montgomery Geschäfte gemacht haben.

Der PcM Uitgevers-Konzern mit damals den drei wichtigsten überregionalen Tageszeitungen (NRC Handelsblad, Trouw und de Volkskrant) wurde 2004 um schnelle bzw. kurzfristig hohe Gewinne zu erlangen an die britische Kapitalanlagefonds Apax verkauft, ohne die große nicht-kommerzielle Bedeutung dieser Qualitätszeitungen für die niederländische Gesellschaft zu berücksichtigen. Apax handelte wie alle Heuschrecken der finanziellen Welt bekanntlich agieren: Das niederländische Zeitungsunternehmen wurde mit Schulden beladen. Um die Zeitungen zu retten wurden sie für viel Geld 2007 zurückgekauft. Allein die für den Verkauf an Apax Verantwortlichen, erhielten Millionengewinne. Um die durch das Apax-Abenteuer schwer verschuldeten Zeitungen dauerhaft zu retten, musste ein finanzkräftiger Eigentümer gesucht werden. Nachdem die ersten Sparmaβnahmen erfolgt waren, übernahm Ende 2009 der belgische Zeitungsverleger Christian Van Thillo das niederländische „Zeitungsarmenhaus“. Van Thillo besitzt bereits seit 2004 die Amsterdamer Tageszeitung Het Parool und erwarb zudem 2009 die Tageszeitung Algemeen Dagblad (AD) mit ihren Regionalausgaben.

Anfang 2010 verkaufte Van Thillo unter Druck der Wettbewerbsbehörde Nederlandse Mededingingsautoriteit (NMA) das Flaggschiff seines neuen Besitzes: Das Zeitungsunternehmen NRC Media mit der Qualitätszeitung NRC Handelsblad und nrc next, seit fünf Jahren eine neue und erfolgreiche Nebenausgabe von NRC Handelsblad für Jungerwachsene. Ein niederländischer Kapitalanlagefonds mit dem Ruf zuverlässig zu sein übernahm sie. Seit 2007 gehören die meisten überregionalen niederländischen Tageszeitungen dem stark verschuldeten britischen Kapitalanlagefonds und Zeitungskonzern Mecom, der von David Montgomery geleitet wird – und der auch im deutschen Zeitungsmarkt für Unruhe sorgte. Zeitungen wie De Gelderlander, BN De Stem, Eindhovens Dagblad, Dagblad De Limburger und andere Titel erreichten in den letzten Dezennien des zwanzigsten Jahrhunderts eine sehr gute Qualität. Wiederholte harte Einsparungen (erneut 2012) reduzierten sie jedoch allmählich zu lokal- und regionalorientierten Nachrichtenzeitungen ohne eigene Wurzeln, ohne befriedigendes Eingehen auf aktuelle gesellschaftliche Bedürfnisse und ohne redaktionelles Potential zur Förderung und Begleitung multikultureller und multireligiöser Transformation. Fazit: Zeitungen ohne einzigartige Identität, ohne Idealismus der jüngeren Journalistengeneration und ohne ein durch Ideale gekennzeichnetes Programm werden Opfer der Kommerzialisierung und sind letztendlich austauschbar mit der in diesem Fall auflagenstärksten populären überregionalen Tageszeitung De Telegraaf oder der überregionalen Zeitung AD Algemeen Dagblad. Diese in allen Bevölkerungsschichten gelesene Zeitungen verdeutlichen, dass, wenn es um Kirche und Religion geht, nur Interesse für kirchliche Skandale unterschiedlicher Art besteht wie Streit, Veruntreuung, Missbrauch von Jugendlichen durch Priester und evangelische Pfarrer etc.

In den meisten Redaktionen arbeiten Redakteure mit einem unterschiedlichen religiösen Hintergrund bzw. ohne einen solchen. Journalisten mit einer humanistischen Weltanschauung könnten schon besser vertreten sein. Leider sind auf den Redaktionen der Tageszeitungen und Rundfunkanstalten kaum mehr Experten auf dem Gebiet der Religionswissenschaft oder Theologie anzutreffen. Fehlendes Religionsinteresse und die hauptsächlich jüdisch-christliche und freisinnig-liberaleTradition der Journalistenausbildung sollten zur Diskussion gestellt werden. Multireligiöser Journalismus stellt nicht Luxus dar, sondern ist eine Notwendigkeit.




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