Auf den Schultern eines kommunikationswissenschaftlichen Triumvirats




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Auf den Schultern eines kommunikationswissenschaftlichen Triumvirats
Leider verfügen die Niederlande nicht über Langschnittstudien zu Fragen, wie: Welche Haltungen und Einstellungen haben Journalisten in Bezug auf die verschiedenen Religionen? Wie thematisieren die Massenmedien religiöse Themen? Welche Wirkungen erzielen die Zeitungs- und Zeitschrifteninhalte auf die Leser? Welche Wirkungen werden bei Fernsehzuschauern oder bei Rundfunkhörern ausgelöst? Auf diesem Gebiet habe ich aus persönlichem Interesse zwar regelmäβig veröffentlicht; aber es gehörte nicht zu meinem Forschungsgegenstand oder meiner Lehrtätigkeit an der Universität von Amsterdam bzw. der Universität Antwerpen, wo ich zwischen 1982 und 2009 bzw. zwischen 1999 und 2008 als Lehrstuhlinhaber bzw. als Gastprofessor tätig war. Als ich in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der Fachgruppe Religionspsychologie einschlieβlich der Pastoralpsychologie der (heutigen) Radboud Universiteit Nijmegen arbeitete, beschäftigte ich mich zum ersten Mal mit der Frage, wie Religion in interpersonalen (zwischenmenschlichen) Kommunikationssituationen (dyadisch und in einer Gruppe), aber auch medial vermittelt werden könnte. Es war die Zeit, in der 1976 das Rundfunk- oder Medienpastorat in den Niederlanden seinen Anfang nahm.

Dass die Überschneidungen der Gedankenwelten der Religionskultur und der Medienkultur in der niederländischsprachigen Kommunikationswissenschaft erst spät „entdeckt“ worden sind, kann man bedauern. Aber man kann sich auch über die Erweiterung des Forschungsfeldes, das im Hinblick auf Islamdebatten interessante Perspektiven bietet, freuen. Kommunikationswissenschaftler mussten erst mit der Tatsache vertraut werden, dass die herkömmliche Mediengesellschaft und inzwischen auch die partizipative Internetgesellschaft von Medien(inhalten) und Mediennutzung durchdrungen sind und zwar „to an extent that the media may no longer be conceived of as separate from cultural and other social institutions“.17 Erst nachdem diese Annäherung von „media as agents of social and cultural change“ erkannt und anerkannt worden ist, kamen Religion, Mystik, Spiritualität und damit verbundene sinnstiftende Gedankenwelten als kulturelle Dimensionen in das Blickfeld derjenigen, die sich mit öffentlicher Kommunikation (Massenkommunikation) beschäftigen.18

Als Einstieg wähle ich drei thesenartige Gedanken. Sie stammen von drei inzwischen emeritierten Kollegen, die ich wegen ihrer bewundernswerten Leistungen für die kommunikationswissenschaftliche Lehre und Forschung während meines akademischen Werdegangs ständig verfolgte.
Der 2012 verstorbene Züricher Kommunikationswissenschaftler Ulrich Saxer entwickelte einen Ansatz zur Theorie der Interaktion zwischen Religion und Medien als Teilbereiche der Kultur. Immer wenn sich Massenmedien wie Hörfunk und Fernsehen oder Tageszeitungen und Zeitschriften mit Religion, kirchlichem Leben und geistigen Führern auseinandersetzen, sprechen wir von einer Medienkultur, die sich mit kirchlich-religiöser Kultur beschäftigt. Zugleich ist das Gegenteil der Fall, denn es ist eine Frage der Interaktion. Beide Untergruppen von Kultur, Religionskultur und Medienkultur also, sind Teil eines größeren Ganzen einer postmodernen Kultur, wie diese sich zu Beginn des dritten Jahrtausends in West-Europa manifestiert. Mehr noch, Medienkultur wie auch religiöse Kultur können entweder das Entstehen einer Gemeinschaft stimulieren und Menschen zusammenbringen oder Uneinigkeit begründen und Zwietracht säen. Letztendlich hängt es nur davon ab, wie Medien und Religionen miteinander agieren und in der Gesellschaft erfahren werden. Auf jeden Fall gibt es ein enges Verhältnis zwischen Religion, Kultur und Kommunikation.19

Der Salzburger Kommunikationswissenschaftler Michael Schmolke hat in einem Beitrag über Religionskommunikation auf die Präsenz von religiösen Inhalten, Formen, Quasi-Riten und Kommunikationsstrukturähnlichkeiten in den Medien hingewiesen. Dieses „Medienreligiöse“, das vom Lehramt mehr oder weniger emanzipiert ist, bringt Schmolke in Verbindung mit dem Fehlen eigener leistungsfähiger Medien der Kirchen und Religionsgemeinschaften. „Diese Medien hätten“ seiner Meinung nach „zur Religionskommunikation in so perfekter Weise beitragen können, dass sie dem ‚Medienreligiösen’ nicht nur Paroli geboten, sondern es durch bessere Leistung ausgestochen hätten.“20 Bietet Saxer einen Brückenschlag, um Religion und Medien sinnvoll miteinander zu verbinden, weist Schmolke auf eine Entwicklung mit Rissen und Friktionen als Begleiterscheinungen.


Denis McQuail, der emeritierter Lehrstuhlinhaber von der Universität Amsterdam, ist der Dritte im Bund meiner Vorbilder. Nach seiner Ansicht ist Kultur, wenn sie als Prozess interpretiert wird, etwas Künstliches und Symbolisches im Kontext der Massenkommunikation. Allgemeiner gesagt gehören zur Kultur auch Gewohnheiten, Bräuche und Vorstellungen, die mit dem Prozess der Massenkommunikation verbunden werden können.21 Kultur bezieht sich also auf ein zusammenhängendes Ganzes an Werten, Interpretationen und Ideologien in einer Gesellschaft, die den Rahmen für die Aktivitäten von Massenmedien und ihr Funktionieren als Institutionen bietet. Religiöse Gefühle und Überzeugungen gehören zu der Kategorie des „Glaubens“, genau wie politische Ideen und Denkweisen zur Kategorie der „Ideologien“ gehören. Auch wenn, zum Teil wegen der Medienkultur, ein Prozess der kulturellen Vereinheitlichung in einem bestimmten Land stattfindet, wird es immer noch möglich sein, zwischen verschiedenen Subkulturen und Lebensstilen zu unterscheiden. Außerdem geht es nicht nur um mehr oder weniger deutliche oder latente Unterschiede zwischen sozialen Klassen und Einkommensgruppen, sondern um die Vielfalt von religiösen und politischen Überzeugungen.

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