Fünf neue Leitlinien für Religionsjournalismus




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Fünf neue Leitlinien für Religionsjournalismus
Anfang 2010 formulierte eine Gruppe von Religionsjournalisten und Religionspublizisten der jüngeren Generation „Fünf erneuerte Prinzipien für Religionsjournalismus“.13 Sie betrachten sich als Brückenbauer, wenn sie in der von Pluralismus gekennzeichneten niederländischen Gesellschaft über Religionen veröffentlichen. Skizziert wird, wie ihr Spezialgebiet sich durch den Druck der „Islamkontroverse“ nach dem 11. September 2001 grundsätzlich geändert hat. Kritisiert wird das „übermäβige eindimensionale Identitätsdenken“ während des ersten Dezenniums des einundzwanzigsten Jahrhunderts nicht nur im Journalismus, sondern auch in der Politik und in der Schulausbildung. Glaubensüberzeugungen und Gläubige wurden aus Unwissenheit oder der Einfachheit halber „etikettiert“ und verstärkten stereotypes Denken bei den Medienrezipienten, den Mediennutzern – bei den Bürgern also. Negative Stereotypen wurden eher verstärkt als abgebaut. Um aus dieser Sackgasse zu geraten unterbreitet die Initiativgruppe der Brückenbauer folgende Leitlinien bzw. Empfehlungen:


  • Das Prinzip des Respekts für starke Überzeugungen, inklusiv orthodoxe oder fundamentalistische Orientierungen. Unterschiedliche Auffassungen und Kontraste akzeptieren und versuchen zu erklären. Respekt zeigen für Religionen mit starken Wahrheitsansprüchen und bindenden Wertemustern, die eine kritische und zugleich respektvolle Annäherung verdienen. Vermeidung einer voreingenommenen Haltung und eines verengten Blicks auf bestimmte Religionen und religiöse Praktiken, gerade wenn sie als „fremd“ erfahren werden. Orthodoxe Glaubensüberzeugungen nicht quasi selbstverständlich mit Intoleranz, Aussperrung oder Gewalt verbinden und dadurch Stereotypen in der Meinungsbildung verstärken.
    Als ein Plädoyer für Offenheit gegenüber religiösen Traditionen und ihren Merkmalen und für die Zuversicht, dass Religionsfreiheit nicht unbedingt zu einer Einschränkung der Freiheit der nicht-gläubigen Bürger führt, so könnte die zusammenfassende Aussage für das erste Prinzip lauten.



  • Das Prinzip der Wahrhaftigkeit, mit der Aufgabe auf der Suche nach Wahrheit zu sein, ohne in Wahrheitsrelativismus stecken zu bleiben. Religion und Journalismus beanspruchen (wie die Initiatoren der fünf Prinzipien betonen) beide eine gewisse Wahrheit. Lange Zeit wurde Religionsjournalismus weitgehend von dem Blickwinkel der Kriterien des Aufklärungsdenkens aus bestimmt: Glaubensüberzeugungen wurden an Hand dieser Kriterien geprüft und von dem Ergebnis hing es ab, ob sie Aufmerksamkeit bekamen oder nicht. Die Brückenbauer schlagen vor, „die Wahrheit“ ruhen zu lassen und sich grundsätzlich zu beschäftigen mit der Suche nach „Wahrhaftigkeit“, dabei wert zu legen auf die gesellschaftliche Bedeutung einer Glaubensüberzeugung und den Beitrag derer Anhänger an sozialer Kohäsion und weiteren Leistungen für die Gesellschaft, gemäβ der alten Weisheit „Am Obst kennt man den Obstbaum“.



  • Das Prinzip der Bilanz, zwischen journalistischer Aufmerksamkeit für Zwischenfälle mit hohem Nachrichtenwert im religiösen Bereich und der weniger Aufsehen erregenden religiösen Alltagsrealität, wie sie erlebt wird; eine Bilanz besonders auch in Hinblick auf Berichterstattung über Anschläge von Extremisten, blutige Rituale die in den Medien Aufmerksamkeit bekommen und religiöse Vorstellungen und Gedanken, womit man in der Kultur des Westens nicht richtig vertraut ist. Der Journalist könnte, laut der Initiativgruppe, Engagement mit verschiedenen Religionen zeigen und sich öfters bemühen, neben verum, auch einmal bonum und pulchrum in der religiösen Praxis „exotischer“ Religionen zu entdecken.



  • Das Prinzip der ausreichenden Kenntnisse, über Geschichte, Ideen und Praktiken der einschlägigen Religionen und religiösen Bewegungen. Eine Grundhaltung, die darauf basiert, dass Religion keine isolierte Dimension und keine Randerscheinung des modernen gesellschaftlichen Lebens ist, sondern einen integralen und relevanten Bestandteil ausmachen. Von Journalisten darf erwartet werden, dass sie sich mit den Religionsquellen befassen und Hintergrundinformationen auswählen, die nicht in manchmal mangelhaften und von bestimmten politischen Überzeugungen geprägten Google-Informationen oder Wikipedia-Beiträgen stecken bleiben. Durch die Vertiefung des Wissens über verschiedene Religionen und ihre Gläubigen sollte Stereotypenbildung bei Mediennutzern entgegengewirkt werden. Mehr Aufmerksamkeit für die Interpretation der als eigenständigem Vorgang zu akzeptierenden Dynamik der Gesellschaft setzt mehr Kenntnisse und ein gut entwickeltes Gespür für Nuancierungen in der Berichterstattung und von Journalisten angeregter Meinungsbildung voraus.



  • Das Prinzip der Leichtfüβigkeit und des Muts in verständlicher Sprache – auch bei der zumeist schwierigeren religiöse Sprache – mit der Zielsetzung, einen Brückenschlag zwischen der religiösen und der säkularen Welt, zwischen religiösen und nicht-religiösen Bevölkerungsgruppen zu bilden. Eine bestimmte Leichtfüβigkeit und ein gesundes Gefühl für Humor werden von den Initiatoren der Leitlinien als ein Gegengewicht gegen schwermütige dunkle Töne empfohlen, die so oft in der clash zwischen Glaube und Unglaube klingen. Ohne respektlos zu werden sei der Religionsjournalist auβerdem aufgefordert, sich leichtfüβig mit religiöser sowie säkularer Rechthaberei zu beschäftigen, ohne Angst vor Repressalien.

Journalisten mögen normative Ratschläge und Vorschriften nicht, besonders dann nicht, wenn sie ihnen von ‚Drittparteien’ unterbreitet werden. Die fünf „Prinzipien“ jedoch wurden im eigenen Kreis entwickelt und diskutiert. Ihr idealtypischer Charakter lässt sich dabei keineswegs leugnen und darf nicht Hemmschwelle sein für eine breite Diskussion über deren Anwendung in der Praxis des Alltagsjournalismus. Diese breit gefächerte Berufsgruppe sollte sich mit den Anregungen der Brückenbauer auseinandersetzen, da in den meisten Redaktionen kaum Journalisten arbeiten, die sich schwerpunktmäβig mit Religionen, Religiosität, Kirchen und Spiritualitäten beschäftigen. Im Unterricht der vier Fachhochschulen für Journalismus könnten die als Empfehlungen zu betrachtenden „Prinzipien“ das nicht so gefragte Fach Berufsethik für Journalisten neu beleben.





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