Das Fehlen einer pro-aktiven Kommunikationsstrategie
Keine niederländische Versicherungsanstalt deckt meines Wissens Reputationsschäden. Seit 2000 können auch (kirchliche) Missbrauchsfälle nicht mehr durch eine Haftpflichtversicherung abgedeckt werden. Als ich 2004 in einem Vortrag für die Fakultäten der Theologie und Religionswissenschaft der Radboud (damals noch Katholische) Universiteit Nijmegen die Risiken einer Kirche auf Imago Schaden thematisierte und vorschlug – wie im Unternehmensbereich – pro-aktiv Risikokommunikationsmanagement zu entwickeln und nachzudenken über auf Kommunikation basierter Methoden, um den guten Ruf wieder herzustellen, wurde ziemlich lau reagiert: Warum sollte man? Zwei Tageszeitungen zeigten jedoch Interesse und berichteten über den Vorschlag.41 Deshalb widmete ich diesem Thema ein ganzes Kapitel in einem 2009 erschienen Buch über Kirche, Religion und Medien.42
Als „case study“ wählte ich u.a. einen Missbrauchsfall aus dem Jahr 2006 im Bistum Rotterdam. Dieser Fall wurde auf der Vorderseite der Tageszeitung De Telegraaf bekannt gemacht einschließlich der Erörterung des Verhältnisses der Kirchenprovinz mit einer Versicherungsanstalt. Es erfolgte eine Kompromisslösung zwischen der Kirchenprovinz und ihrer ehemaligen Haftpflichtversicherungsgesellschaft: Bereitstellung von einer Million Euro für Missbrauchsfälle, die vor dem Jahr 2000 begangen worden sind. Dieses Ergebnis wurde am 6. März 2006 auf der Vorderseite der Tageszeitung NRC Handelsblad als Exklusivbericht veröffentlicht. Als das Buch Mitte 2009 erschien, konnte ich nicht ahnen, welchen Umfang die Missbrauchsaffäre auch in den Niederlanden haben würde. Ende November 2009 hielt ich in Brugge (Belgien) einen Vortrag über das Kräftefeld im Dreieck: Journalisten - Bischöfe und ihre Vikare - Pressesprecher. Dabei behandelte ich den Umgang des Bistums und besonders des Bischofs mit einer Missbrauchsmeldung aus einer Pfarrei als Fallstudie im Rahmen der Krisenkommunikation. Auch beschäftigte ich mich mit der Fragestellung: Wenn so viele Bistümer in der USA, in Irland, Australien, Canada, Deutschland und Belgien von Missbrauchsaffären heimgesucht worden sind, warum sollte es vor der niederländischen Grenze Halt machen?
Kirchen können nach dem fast vollzogenen Säkularisierungsprozess weder eine Sonderrolle einfordern noch Nachsicht erwarten, wenn offizielle Kirchenvertreter in den Medien wegen ihrer Verfehlungen getadelt werden, Missbrauchsfälle aufgespürt werden etc. Bei ihrer Arbeit könnten Journalisten der älteren Generation ggf. negative Haltungen und Gefühle gegenüber Kirche, Glauben und Religion, mit der sie aufgewachsen sind, unterdrücken. Mit dem Christentum weniger verbundene junge Kollegen könnten vorurteilsfrei (oder mit Vorurteil) in der Vergangenheit von Kirche und ihren Würdenträgern Geschehenes und möglicherweise noch Vorkommendes (ebenso, wie dies in anderen Einrichtungen unterschiedlicher Art geschieht) recherchieren. Für Islam, Buddhismus oder Hinduismus mag dasselbe wie für den Katholizismus oder Protestantismus zutreffen, wobei Unwissenheit und Fehlen des öffentlichen Interesses bei den eher weniger bekannten und nicht so stark verbreiteten Religionen eine größere Rolle spielen könnte.
Als ein Leser sich bei der damaligen Chefredakteurin der Tageszeitung NRC Handelsblad, Birgit Donker, erkundigte warum gerade ihre Zeitung Missbrauch in der katholischen Kirche der Niederlande als Dauerthema gewählt hatte, antwortete sie: Es handelt sich bei dieser Kirche um eine Institution, in die nicht nur viele Millionen Gläubige emotional investiert haben, sondern um eine Institution, die auch eine beträchtliche Konzentration von Macht und Kapital repräsentiert. Eine solche Institution muss von einer Zeitung ebenso kritisch verfolgt werden, wie dies für den Rechtsstaat, den Polizeiapparat, die Welt der Banken und für die Schule gilt. Diese Überlegung gilt um so mehr, wenn ersichtlich ist, dass in kirchlichen Einrichtungen Kinder, die ihrer Obhut anvertraut worden sind, missbraucht wurden und dies in einer hierarchischen und geschlossenen Umgebung. Donker verneinte die Behauptung aufgebrachter Leser, ihre Zeitung führe eine Hetzkampagne gegen die katholische Kirche. Über die Gesinnung ihrer Zeitung fügte sie hinzu: NRC Handelsblad hat eine liberale und säkulare Signatur, das stimmt. Wir glauben an die Kraft der Vernunft und stehen Kollektivitäten kritisch gegenüber, insbesondere dann, wenn sie mit Macht ausgestattet sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir Religionen gegenüber ablehnend stehen. Auch in unserer Zeitung ist mehr Raum frei für etwas, was mit dem vagen Begriff „Sinngebung“ bezeichnet werden könnte. Donker erinnerte an die philosophischen und religiösen Themen auf der täglichen Seite zur freien Meinungsbildung und an die Wochenbeilage mit Buchbesprechungen.43
Da in den Niederlanden keine Kirchensteuerpflicht besteht, sind Religionsgemeinschaften von freiwilligen Beiträgen ihrer Kirchenmitglieder bzw. von Spenden abhängig. Deshalb können Kirchen nur bescheidene Aktivitäten auf dem Sektor von Kommunikations- und Themenmanagement, Public Relations, Interessenvertretung und Journalismus organisieren. Als Toyota neun Millionen gefährliche Autos produziert und verkauft hatte, zeigte das japanische Weltunternehmen Reue und fing im Frühjahr 2010 eine kostspielige Kampagne an, um wieder das Vertrauen der Kunden zu gewinnen. Gerade für Japaner bedeutete das technische Versagen einen Ehrverlust und galt als schwer vorstellbare Niederlage. Die niederländische Zeitschrift für Werbung und Marketing Adformatie lobte groβzügig die Entschuldigungen des Toyota-Präsidenten Akio Toyota und rügte scharf die Krokodilstränen der katholischen Kirche – auch des Papstes.
Der kirchlichen Kultur des Schweigens und Verschweigens steht das Prinzip der Transparenz gegenüber und zeigt eine Alternative auf. Es geht dabei um Öffnung und Offenheit ohne Geheimnisse, so wie das mit der Modernität schon lange vertraute Publikum es von allen non governmental organisations zu recht fordert. Das den Kirchen zur Verfügung stehende Budget führt verständlicherweise zu einer begrenzten Anzahl von Pressesprechern und Kommunikationsberatern, die mit den Kirchen verbunden sind - vergleicht man mit Beraterzahlen aus der Wirtschaft, auf verschiedenen Regierungsebenen, des Verwaltungsapparates oder von Nicht-Regierungsorganisationen, die im Sozialbereich arbeiten.
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