Die Ursprünge des herrschenden ökonomischen Paradigmas




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Die Ursprünge des herrschenden ökonomischen Paradigmas
Das herrschende ordoliberale Paradigma der Wirtschaftswissenschaft basiert auf dem klassischen Liberalismus der Gründerzeit der Ökonomie der Moderne. Das freie, unabhängige, autonome Individium betritt die Bühne der Geschichte und leitet somit das Projekt der Moderne ein. Das Recht auf Eigentum und der Schutz des Eigentums ist die Garantie seiner Autonomie, die Garantie seiner Unabhängigkeit, die Garantie daß dieses Individium frei sein kann, um sein Privatinteresse zu verfolgen und um über sich und über die Gesellschaft der freien, autonomen und unabhängigen Individuen zu entscheiden. Das Recht auf Eigentum und der Schutz des Privateigentums sind die unabdingbare Vorraussetzung der Freiheit, der Autonomie und der Unabhängigkeit. Gerade dieses Recht verdrängt die Allmacht des absolutistischen Staates und leitet den Demokratisierungsprozeß ein. Der Schutz des Eigentums und dadurch der materiellen Reproduktion des somit entstandenen bürgerlichen Individiums, ermöglicht seine Behauptung gegenüber der Staatsgewalt bis zur Übernahme dieser Staatsgewalt von den durch ihn gewählten Vertretern, die die freien und dadurch entscheidungsfähigen Individuen repräsentieren. Das Recht auf Eigentum schafft die durch den Staat verteilten Privilegien ab, befreit die Produktion von der starren Abhängigskeits-Pyramide der Produktionsform des Feudalismus, degradiert die absolute Monarchie zu einer historischen Übergangsphase, die schrittweise, oder revolutionär, der Macht des aufkommenden Bürgentums Platz machen muß und konsolidiert den Markt als den Ordungsmechanismus der Produktion(Arbeitsmarkt) und der Distribution von Waren, Dienstleitungen, Eigentum und Profit. Die materielle Produktion und Reproduktion der Gesellschaft wird durch den Markt vermittlelt, der dadurch zu einem alles bestimmenden Ordnungsprinzip wird. Der Focus der Staatsfunktion ist dadurch konkretisiert. Der Staat muß alle Störfaktoren in Zaun halten und disziplinieren, die das Marktgeschehen beeinträchtigen könnten, das Territorium des Marktes beschützen und wenn möglich, die Expansion des Marktes über die nationalen Grenzen militärisch absichern. Der Markt selbst, frei von staatlichen Interventionen, frei also von Eingriffen, die die Geltung seiner Vernunft verhindern könnten, funktioniert wie ein spontaner Ordungsmechanismus, basierend auf der Natur des Menschen deren Gesetzmäßigkeit der Markt beschreibt und zur Geltung bringt.

Jeder Marktteilnehmer verfolgt sein privates Interesse. Er ist keiner religiösen Moral verpflichtet, keiner Nächstenliebe und keiner Pflicht gegenüber seinem Mitmenschen oder der Gesellschaft. Seine einzige Moral ist sein egoistisches Interesse. Gewinn und Verlust, Nutzen und Nachteil sind seine Kriterien. Dieses Streben nach dem eigenen Vorteil, den alle Marktteilnehmer egoistisch verfolgen, führt, seit Adam Smith, wie durch eine unsichtbare Hand geleitet, zum Wohl aller, zum Wohl der Gesellschaft. Somit ist dieser homo oeconomicus das Zentrum des wirtschaftlichen Geschehens, der durch seine egozentrische Beschränktheit einen Automatismus in Gang setzt, der die beste aller Welten produziert. Die Mechanik der Physik des 17. Und 18. Jahrhunderts wird zur Mechanik der Ökonomie und dadurch, da sie die Reproduktion der Gesellschaft bestimmt, zur Mechanik der Gesellschaft. Dieser Automatismus funktioniert solange er frei von äußerlichen, also politischen Einflüssen und Interventionen bleibt. Die Politik muß den Rahmen seiner Wirkung sichern, sonst nichts. Der erste Schritt der Moderne, die Befreiung des Individiums, schafft dadurch auch die erste Schranke der Realisierung des Politischen. Politisch bedeutet das, daß die Politik sich der Vernunft der Ökonomie unterstellen muß. Die Politik hat der so konzipierten reinen Vernunft des Marktes zu dienen. So sehr auch die unsichtbare Hand an Offenbarungsmetaphysik erinnern kann (die Hand Gottes bleibt für die Puritaner der Sinn und der Hintergrund der unsichtbaren Hand, was bis heute auch für die Bigotterie der Tea Parties weiterhin gilt), der dadurch entstandene Automatismus der Konsequenzen des spontanen egoistischen Handelns des homo oeconomicus birgt die Emanzipation des Menschen vom Willen Gottes und die Säkularisierung des menschlichen Handelns. Die unsichtbare Hand ist schließlich die Folge der spontanen Vernunft die aus dem egoistischen Handeln entsteht. Somit ist sie sowohl rein(ohne äußerliche Einflüsse und Störungen) wie auch innerweltlich. Sie ist die Quintessenz des ökonomischen Handelns. So ist die Ökonomie, also die Konstruktion dieses Modells oder des Paradigmas der Logik des Marktes, die vergegenständlichte Logik der reinen Vernunft, die keinen Gott braucht um zu gelten und zu funktionieren. Die Verfolgung des Eigeninteressens genügt. Eine innerweltliche Metaphysik ist durch dieses Marktparadigma entstanden. Wie Vogl es beschreibt, die Theodizee ist durch die Ökodizee ersetzt worden. Das Eigeninteresse des homo oeconomicus ist der Gravitationspunkt dieses Systems. Die Suche nach dem eigenen Vorteil und die Abwehr von jedem Nachteil, als Ziel des spontanen ökonomischen Handelns aller Marktteilnehmer, produziert ein Gleichgewicht, wodurch das Wohl aller realisiert wird. Somit ist das Modell des Marktes ein Gleichgewichtsmodell, das die Basis der späteren mathematischen Berechnung der Zukunft sein wird. Die Reinheit des liberalen Paradigmas steht für die reine Vernunft des Marktes, entstanden durch die spontane Wirkung der Privatinteressen.

Später, wenn die Subsumtion der Arbeit, d.h. der materiellen Reproduktion der Gesellschaft, unter dem Kapital voranschreitet, kommt ein zweiter Faktor dazu, der die Geltung der reinen Vernunft des Paradigmas bekräftigt und bestätigt: Der Wettbewerb. Die Konkurrenz der Produzenten, also der Kapitaleigner, ermöglicht die effektivste Realisierung des eigenen Profits, beschleunigt die Produktivität und ermöglicht die effektivste Kosten – Preis-Relation. Somit werden die erzielten Preise zur Inkarnation der Vernunft des Systems und das System zu einem System der Preise, da sie sein vernünftiger Inhalt sind. Die Mathematisierung der Ökonomie kann dadurch endlich problemlos realisiert werden. Die Berechnung der Entwicklung der Preise kann zur Berechnung der zukünftigen Entwicklung überhaupt werden. Natürlich unter der Voraussetzung, daß außerökonomische, also diesem Modell äußerliche Faktoren den Vernunftautomatismus des Systems nicht stören. Dafür muß die Politik sorgen. Sie muß den nötigen Rahmen liefern. Sie muß das gesamtgesellschaftliche Geschehen der Logik der reibungslosen Geltung des Marktes unterstellen, d.h. sie muß es disziplinieren. Noch ist die Mathematisierung des Systems nicht so vorangeschritten, damit man durch Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Differentialgleichungen Präventionen von Krisen errechnen und sie damit aus dem System verbannen kann. Noch finden Krisen statt. Zwar sind sie der Logik des Systems fern aber sie funktionieren wie eine notwendige Katharsis, die die Reinheit des Systems wieder herstellt. Diese Katharsis reinigt das System von irrationalen Elementen, die sich ins System eingeschlichen haben, sie ermöglicht die Wiederherstellung des Gleichgewichts, sie bestätigt die Regel und sie läßt die Ausnahme, Ausnahme sein. An den Glauben an die Vernunft des Systems, also des Modells der auf dem Markt konkurrierenden Kapital(eigen)interessen, tut dies kein Abbruch. Die Wiederherstellung des Gleichgewichts bestätigt schließlich, d.h. der homo oeconomicus durch sein Handeln die reine Vernunft vergegenständlicht. Dieses liberale Marktparadigma ist der Ort der reinen Vernunft und seine Wirkung wird immer effizienter, je mehr sich die Gesellschaft(also die reale Welt) dem anpasst. Diese Anpassung ist die Aufgabe der Politik, Sie muß die außerparadigmatische Unvernunft zügeln.

Die Rationalität des Marktmechanismus stößt auf eine, von ihr aus gesehene, irrationelle Welt. Schlicht und einfach, weil sie außerhalb der Logik dieses Systems residiert ist, zumindest was die Situation der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung betrifft.


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