• Mit Furcht und Zittern glaubensmutig sein
  • Arbeitshilfen für die Gestaltung von Gottesdiensten zu Kasualien, Feierragen und besonderen Anlässen




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    Predigt zu Mt 5,1–11

    Eckhard Herrmann

    Brauchen wir das Reformationsfest?

    Brauchen wir die stets neue Erinnerung an jenen Disput zwischen Luther und der kirchlichen Obrigkeit des frühen sechzehnten Jahrhunderts, in dessen Folge die Christenheit in Deutschland in zwei für lange Zeit unversöhnlich nebeneinander stehende Parteien gespalten wurde?

    Brauchen wir diesen Tag, der vom Jahre 1667 an auf Anordnung Kurfürst Georgs II. von Sachsen seinen festen Platz im liturgischen Kalender unserer Kirche fand und der heute immer noch – oder je nachdem, von welchem Standpunkt aus wir’s sehen – in fünf deutschen Bundesländern als gesetzlicher Feiertag begangen wird?

    Ich meine: ja. Wir brauchen diesen Tag.

    Dies aber freilich nicht im Stile eines großen Jubelfestes, wie es – zweckentfremdet freilich – zur Demonstration ›wahren Deutschtums‹ noch bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert hinein von unseren Vorfahren stürmisch gefeiert wurde.

    Nein, wir brauchen diesen Tag, weil er uns Anlass geben kann zu einer ehrlichen und das heißt immer auch selbstkritischen Betrachtung unserer Kirche, ja, zu einer selbstkritischen Betrachtung unseres je eigenen Christseins, mit dem wir diese Kirche auf jeden Fall, positiv oder negativ, mitgestalten und mitprägen.

    Selbstbesinnung ist also angesagt.

    Und damit die Suche nach einer Antwort auf die stets aktuellen Fragen, welche Kirche wir überhaupt wollen und was wir für die Verwirklichung unserer Vorstellung von Kirche zu tun oder auch zu lassen bereit sind.

    Welche Kirche wir wollen, das, liebe Mitchristinnen und Mitchristen, hängt immer von der Zeit ab und den Anforderungen, mit denen sich die Menschen, die in dieser Zeit leben, auseinanderzusetzen haben.

    D. h. die Kirche muss fähig und vor allem auch gewillt sein, die bedrängenden Fragen und Probleme ihrer Zeit wahrzunehmen, ernst zu nehmen und Hilfestellungen für deren Lösung zu leisten.

    Und das wiederum verlangt von uns, von jeder und jedem einzelnen – denn wir sind die Kirche – ein hohes Maß an Sensibilität, Flexibilität und Weltoffenheit.

    Stures Beharren dagegen auf nicht mehr einsehbaren Traditionen bringt der Kirche nur allzu oft den – dann freilich auch berechtigten – Vorwurf der Weltfremdheit und des mangelnden Verständnisses für das, was um der Menschen willen nottut, ein, und schadet darüber hinaus ihrem Ansehen und ihrer Position im Gefüge unserer Gesellschaft.

    »Wer will, dass die Kirche so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt«, hat vor kurzem der Teilnehmer einer öffentlichen Diskussion über die Frage, wie zeitgemäß die Kirche sein muss, treffend gefordert.

    »Wer will, dass die Kirche so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.«

    Das war das Anliegen der Reformation.

    Und das muss stets auch unser Anliegen sein, wenn uns etwas daran liegt, dass die Kirche als wesentlicher, mitgestaltender Faktor unserer Gesellschaft ernst genommen werden soll.

    Wir können, ja wir dürfen uns nicht in einen goldenen Käfig zurückziehen und so tun, als lebten wir außerhalb der Welt in einem eigenen, unabhängigen, geschützten, heilen Bereich.

    Wir leben in der Welt und nehmen – ob wir wollen oder nicht – aktiv teil an allem, was geschieht.

    In dieser gesellschaftlichen Position können wir unsere Aufgabe als Christen – ganz egal ob evangelisch oder katholisch – immer nur als Protestanten wahrnehmen.

    Als Protestanten im tiefsten Sinne des Wortes: als Menschen, die Einspruch erheben, die sich einmischen bei allem, was dem Leben schadet, indem sie Zeugnis ablegen für den, der uns den Weg gewiesen hat zu einem Leben in Frieden und Freiheit, Jesus Christus.

    »Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus« (1 Kor 3,11), schreibt Paulus in seinem ersten Brief an die Christen in Korinth.

    Was Jesus gedacht, gesagt, getan hat, das ist die Basis, auf der wir stehen und auf der wir auch stehen bleiben müssen; aber was wir – auf diesem Grund stehend – aus unserem Leben machen, wie wir unser Leben gestalten als Christinnen und Christen, als Kirche: das können wir frei entscheiden, zugleich aber immer auch situationsabhängig, indem wir unsere Umgebung und Umwelt einbeziehen und berücksichtigen und die Freiheit auch des anderen wahren.

    Zwischen diesen beiden Polen stehend, auf Gott angewiesen und an den Mitmenschen gewiesen, nehmen wir teil an der Verantwortung für die Gestaltung unserer Gesellschaft.

    So ist denn der Reformationstag seit jeher ein durch und durch politisches Ereignis, weil uns heute mehr als an jedem anderen Gedenk- und Feiertag des Kirchenjahres unser politisches Mandat als Kirche ins Bewusstsein gerufen wird.

    Deswegen, liebe Gemeinde, brauchen wir diesen Reformationstag.

    Weil wir die Kirche brauchen.

    Nicht die Kirche, die bleibt, wie sie ist; sondern die Kirche, die bleibt.

    Seit jeher haben die Seligpreisungen – dieser Abschnitt aus der Bergpredigt Jesu – ihren festen Platz im Reformationsgottesdienst. Die Seligpreisungen konfrontieren uns mit der politischen Dimension unseres Glaubens.

    Armut und Gewalt, Hunger und Durst, Barmherzigkeit und Wahrhaftigkeit, Frieden und Gerechtigkeit: das sind die Schlagworte, mit denen Jesus uns vor Augen führt, wie eng unser Glaube mit der Weltwirklichkeit verknüpft ist; das sind die Fakten, denen wir uns als Christinnen und Christen zu stellen haben; die Probleme, an deren Lösung wir uns als Kirche konstruktiv zu beteiligen haben – mit Worten und mit Taten.

    Anwalt der Sprachlosen, der Machtlosen, der Hilflosen zu sein mit den Mitteln und Möglichkeiten der Zeit, in der wir leben, einzutreten für eine gerechte Verteilung der Güter – weltweit, aber auch in unserem Lande, in dem immer mehr Menschen in Abhängigkeit und Obdachlosigkeit getrieben werden –, sich einzusetzen für Frieden und Gewaltlosigkeit gegenüber Ausländern und Asylsuchenden, gegenüber Frauen und Kindern, Partei zu ergreifen für alle, die auf der so genannten Schattenseite des Lebens stehen, das ist unsere Aufgabe.

    Das war seit jeher unsere Aufgabe.

    Und das wird immer unsere Aufgabe bleiben.

    Die Aufgabe jeder einzelnen Christin, jedes einzelnen Christen.

    Die Aufgabe der Kirche.

    Neben, ja vor diesen Forderungen steht bei Jesus immer eine Zusage, eine Ermutigung.

    Steht das Versprechen, dass Gott uns nicht allein lässt.

    Er ist das Licht, an dem wir uns in der Dunkelheit orientieren können und das uns den Weg weist.

    Er ist die Quelle, aus der wir die Kraft für unser Reden und Handeln schöpfen können.

    Er ist die feste Burg, die uns Geborgenheit und Sicherheit und Schutz bietet.

    Auf ihn können wir uns verlassen, weil er uns nicht verlässt.

    Im Vertrauen auf ihn können wir uns, nicht krampfhaft an Althergebrachtem festhaltend, sondern offen für Veränderungen, als Kirche, als Christen, als Protestanten im Alltag bewähren.



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