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  • Predigt über Phil 2,12 f. am Reformationsfest




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    Predigt über Phil 2,12 f. am Reformationsfest

    Markus Engelhardt

    Liebe Schwestern und Brüder! »Meine Lieben« – mit dieser Anrede beginnt unser kurzer Predigttext. Das hat mich an einen etwas merkwürdigen Schatz im Bücherregal meines Vaters erinnert. Es ist ein Band mit Predigten meines Urgroßvaters. Er war Anfang des letzten Jahrhunderts Pfarrer im Nordbadischen. Er ließ seine in feiner Sütterlinschrift handgeschriebenen Predigten jahrgangsweise zu einem Buch binden. Über jeder dieser Predigten stehen die drei Großbuchstaben »I. H. G.«. Ich habe eine ganze Weile gerätselt, was das zu bedeuten hat, »I. H. G.« »Ich hab’s geschrieben«?! Hm, heutzutage im Zeitalter von Predigten, die man leicht aus dem Internet abkupfern kann, mag das Sinn machen. Aber damals war es ohnehin klar, dass jeder Pfarrer seine Predigt selber schrieb. Nun, irgendwann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. »I. H. G.« bedeutet: »Im Herrn Geliebte«. So redete mein Urgroßvater die Gemeinde an. Nicht: »Liebe Gemeinde«. Auch nicht: »Meine Lieben«. Schon gar nicht: »Liebe Freunde«. Sondern: »Im Herrn Geliebte«. Macht das einen Unterschied? Ich denke ja. Er führt uns sogar in das Allerheiligste der Reformation.

    I.

    Liebe lebt davon, dass man einander liebenswert und schön findet. In Gottes Augen sind wir Menschen, wie wir von uns her sind, nun aber alles andere als attraktiv und der Liebe wert. Die Bibel stellt uns im Römerbrief die Diagnose: »Wir sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollen« (Röm 3,23). Auf so eine ernüchternde Erkenntnis reagieren wir gern mit einer Verdoppelung unserer Anstrengungen. Wenn wir nicht liebenswert sind, dann müssen wir uns eben liebenswert machen. Müssen, machen, Anstrengungen erhöhen, intensivieren, effektivieren: das Vokabular beherrschen wir. Ich weiß sehr gut, wovon ich da rede.



    Die Reformation hat die Verkündigung der Kirche ganz neu ausgerichtet: Ihr braucht euch nicht wie im Hamsterrad abzumühen, bei Gott einen guten Eindruck zu hinterlassen. Denn »Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren« (Röm 5,8). Lange bevor wir auf den Gedanken kommen können, unsere Verdienste und Vorzüge geltend zu machen, sind wir bereits I. H. G., »im Herrn Geliebte«. Geliebt, nicht weil wir in der himmlischen Buchführung einen so tollen Kontostand aufwiesen, sondern um Jesu Christi willen. Darum ist auch die Kleinigkeit beachtenswert, dass der Predigttext im griechischen Urtext nicht mit der Anrede eröffnet wird: »Meine Lieben«, sondern: »Meine Geliebten«. Mir ist das nur recht. Ich mag es nicht, bei der Begrüßung als »Mein Lieber« adressiert zu werden. Das hat meist einen ironischen oder herablassenden Beigeschmack. Ganz anders bei der Anrede »Meine von Gott Geliebten«. Auch wenn wir sie, weil unsere Sprache sich beständig fortentwickelt, heute nicht mehr verwenden, ist sie doch eine Art Ultrakurzfassung der reformatorischen Kernbotschaft:

    Niemand kann sich Gottes Liebe verdienen, niemand braucht sie sich verdienen, sie wird geschenkt. Oder wie es Luther in einem seiner schönsten, tiefsten Sätze gesagt hat: »Gott liebt die Sünder nicht, weil sie schön wären, sondern die Sünder werden schön, weil sie von Gott geliebt sind.« Das ist ja schon die Erfahrung, die hoffentlich ganz viele unter uns in ihrem Leben gemacht haben: wie ich mich gleichsam aus dem Innersten heraus schön gemacht fühle, wenn jemand, an dem mein Auge mit Liebe hängen geblieben ist, mich tatsächlich ›zurückliebt‹. Um wie viel mehr gilt diese urmenschliche Erfahrung dann, wenn es um Gottes Liebe zu uns geht!

    II.

    Die reformatorische Kernbotschaft in Ultrakurzfassung: das ist ein guter Beginn für einen Predigttext am Reformationstag. Aber die Fortsetzung bringt uns ins Stolpern. Es handelt sich genau genommen um zwei Stolpersteine. Der erste hat es mit der Frage des Zusammenwirkens zwischen unseren Möglichkeiten und der Kraft Gottes zu tun. Seltsamerweise ist es ausgerechnet Paulus selbst, der diese Frage wachruft. An die Christen in Philippi adressiert er die Mahnung: »Schaffet, dass ihr selig werdet«. So übersetzt Luther. Die katholische Einheitsübersetzung macht daraus, gut katholisch: »Müht euch um euer Heil«. Da braucht man sich nicht wundern, wenn reformatorisch gesonnene Christen die Welt nicht mehr verstehen. Wir haben in der Lesung vorhin jene Stelle aus dem Römerbrief gehört, in der Luthers reformatorische Grunderkenntnis in fast sprichwörtlicher Verdichtung dargeboten wird: »So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben« (Röm 3,28). Ja, was nun?? Sola gratia, sola fide, allein durch Gnade und den Glauben, wie es die Reformatoren gelehrt haben – oder eben doch schaffen, wirken und sich um das Heil abmühen? Die Schlange hätte im Garten Eden nicht so leichtes Spiel mit Adam und Eva gehabt, wäre da nicht deren kaum zu bremsender Schaffens- und Betätigungsdrang gewesen. Und auch in das Nachdenken über den heutigen Predigttext bahnt sich die Schlange an genau derselben Stelle einen Weg und stellt ihre versucherischen, so plausibel anmutenden Fragen: Sollte es wirklich zutreffen, dass der Mensch ausgerechnet, wenn es um sein Heil geht, nicht mehr ist als »Stein und Klotz«? Sollte er gerade in seiner Gottesbeziehung nicht gefordert sein als ein tätiges, schöpferisches Wesen, für das es jede Menge zu tun gibt?



    Das war der eine Stolperstein. Der andere liegt direkt daneben. Paulus ergänzt nämlich seine Mahnung: »Schaffet, dass ihr selig werdet« um die Näherbestimmung: »mit Furcht und Zittern«. Das weckt keine positiven Bilder – wie mag das einer hören, der an Parkinson leidet? Überhaupt, wer wünscht sich Angst und Furcht?

    Ja, es war so, dass Martin Luther mit Furcht und Zittern zum Reichstag nach Worms gereist ist. Wie er dann dort vom Platz gegangen ist, ist bekannt: mit der Roten Karte, als Gedemütigter, für vogelfrei Erklärter – aber in Wahrheit als moralischer Sieger, dem in vielen deutschen Landen die Herzen der Menschen zuflogen.

    Ja, es war so, dass viele der im Herbst vor 25 Jahren in der DDR engagierten Christen Furcht und Zittern empfanden, als sie vor den Kirchen die LKW von Polizei und Kampfgruppen aufgereiht sahen. Was daraus wurde, ist bekannt. »Wir hatten alles geplant, wir waren auf alles vorbereitet – nur nicht auf Kerzen und Gebete«, bekannte später der SED-Häuptling Horst Sindermann. Ja, es ist so, dass wir auch heute, am Reformationstag 2014 Furcht und Zittern empfinden angesichts der Weltlage. In Osteuropa die Wiederkehr russischer Großmachtsträume keine 25 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion, und Herr Putin lacht nur über Europa und das Völkerrecht. Und noch schlimmer, was im Namen Gottes im Mittleren Osten oder in Afrika geschieht, und unsere Ohnmacht dabei. Ich empfinde da wirklich eine Art Furcht und Zittern, jedenfalls eine große Ratlosigkeit, was hier aus christlicher Sicht zu sagen und zu tun wäre. Hat Margot Käßmann Recht, die auch angesichts des Massenmordens durch den »Islamischen Staat« in bemerkenswerter Konsequenz beim Pazifismus als einzig denkbarer christlicher Option bleibt? Oder hat Wolfgang Huber – er stand heute vor einem Jahr auf dieser Kanzel – Recht, wenn er darauf hinweist, dass das Gebot »Du sollst nicht töten« auch das Gebot einschließt, nicht töten zu lassen – und darum militärische Mittel gegen den IS-Terror in einem klar definierten Rahmen für legitim hält? Ich tendiere inzwischen eher zu Bischof Hubers Urteil, aber wirklich sicher bin ich nicht. Halb bewundere ich sie, halb sind sie mir unheimlich, die da so ganz genau wissen, was richtig und was falsch ist. »Schaffet, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern« – das ist mir da näher.

    Aber wie ist das nun im Blick auf unsere Beziehung zu Gott zu verstehen? Im Grunde müsste man dazu erst einmal eine Schutthalde an Missverständnissen abtragen, die sich um das Begriffspaar »Furcht« und »Gott« aufgetürmt hat. »Furcht Gottes«, dieser Ausdruck ist längst miserabel beleumundet. Auch die frömmsten Eltern würden ihrem Neugeborenen heute niemals mehr den Namen Fürchtegott geben, wie das vor 100 Jahren in gut protestantischen Häusern noch verbreitet war. Die meisten hören heraus: Furcht vor Gott, und stellen sich dabei einen Big Brother-Gott vor, und zwar den im Geist George Orwells, nicht den banalen »Big Brother« von RTL 2. Also einen einschüchternden, auf Schritt und Tritt kontrollierenden, rigoros bestrafenden Gott, der nur Angst macht. Der in unserer Stadt lebende bekannte Psychoanalytiker Tilmann Moser hat diesem Big-Brother-Gott und was er in der Erziehung anrichten kann, in seinem vor 40 Jahren viel gelesenen Buch »Die Gottesvergiftung« ein erschütterndes Denkmal gesetzt.

    III.

    Liebe Gemeinde, ich habe die beiden besonders herben Stellen unseres Predigttextes mit Bedacht Stolpersteine genannt. Denn Stolpersteine haben ja auch ihr Gutes. Sie zwingen zur Aufmerksamkeit. Es gibt immer mehr Städte, die Stolpersteine zu einem Projekt der Erinnerungskultur gemacht haben, um damit verdrängte Vorgänge der jüngeren Stadtgeschichte dem Vergessen zu entreißen. Solche Stolpersteine gibt es auch in Texten und nicht zuletzt in der Bibel. Und das ist gut so. Was zuerst störend wirkt, kann bei näherem Hinsehen hilfreich sein, um auf vernachlässigte Elemente der biblischen Texte aufmerksam zu machen.



    Was aber könnte im Blick auf unseren Textabschnitt so ein vernachlässigtes Element sein? Ich nenne etwas Selbstkritisches. Auf unserer evangelischen Seite gibt es eine große Scheu, dem Menschen für seine Seligkeit auch nur die kleinste aktive Rolle zuzuschreiben – aus der Sorge, man schaffe ein Einfallstor für das, was der Katholizismus die Werkgerechtigkeit nennt. Also die Rechtfertigung nicht allein aus Gottes Gnade, sondern auch aus dem, was wir tun und leisten. Die Folge ist, dass wir Evangelischen, die Kirche des Wortes und des sola scriptura, dazu tendieren, die Bibel selektiv zu lesen: Nur ja nicht zu sehr betonen, dass der Glaube Früchte trägt und Jesus in der Bergpredigt sagt: »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen«. Bloß nicht den Bibeltexten zu nahe kommen, in denen davon die Rede ist, dass die Taten der Liebe ihren Lohn im Himmel haben werden. Bloß kein Gedanke an eine evangelische »Sonntagspflicht«, daran, dass nicht nur Katholiken am Sonntag am Gottesdienst teilnehmen und die Gemeinde stark machen sollten. Im Gegenteil: lieber den geistlichen Hochmut so weit treiben, dass man sich noch etwas darauf einbildet, die Freiheit gegen die »Sonntagspflicht« auszuspielen. Das schlägt sich dann in der schrägen Wahrnehmung nieder: Die armen Katholiken, die müssen am Sonntag in die Messe – wir aber genießen die Freiheit der Kinder Gottes und erfahren Gott auf dem Schauinsland. Diese ›Freiheit‹ definiert sich dann fröhlich nach dem Lehrsatz: »Kirchliche Sitte im Protestantismus ist es, nicht zur Kirche zu gehen« (Trutz Rendtorff).

    IV.


    Liebe Gemeinde, ich will nicht, dass die Werkgerechtigkeit fröhliche Urständ feiert. Das kann religiös sensible Menschen seelisch kaputt machen, wie Luther als Mönch erfahren hat und es in manchen katholischen Milieus heute noch so ist. Der entscheidende Prüfstein ist, wie wir es mit dem Rühmen halten. Das kann man bei Paulus in all seinen Briefen immer wieder lesen. Unser Predigttext selber ist es, der uns das Rühmen austreibt. Er macht Gottes Tun, nicht das unsere groß: »Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.« Überall, wo in der Bibel das Thema des falschen und des richtigen Rühmens auftaucht, geht es um das Zusammenspiel von Gott und Mensch. Der Leitton heißt: An Gottes Segen ist alles gelegen; wer sich rühmt, der rühme sich Gottes. Aber dabei verschwindet der Mensch nicht in der Belanglosigkeit. Er wird gewürdigt, Gottes Mitarbeiter zu sein.

    Dem Gedanken der Gottesfurcht schließlich können wir am ehesten dann wieder etwas abgewinnen, wenn wir meditieren, was Ehrfurcht eigentlich ist. Es geht in der Ehrfurcht vor Gott um etwas sehr Elementares, das eigentlich jedes Kind schon erfassen kann: dass der Mensch eben nicht, wie es die antiken Philosophen lehrten, das Maß aller Dinge ist, dass ich meinen Lebensentwurf nicht aus eigenen Kräften garantieren und verantworten und ihn schon gar nicht eigenmächtig zum Abschluss bringen kann. Sondern dass ich immer nur der Zweite bin, weil Gott über mir ist und mich und mein Tun heilsam begrenzt. Nicht dass der Mensch in einzigartiger Weise über den anderen Geschöpfen steht, macht sein Menschsein aus, sondern dass er in einzigartiger Weise unter Gott steht, hat der berühmte Freiburger Theologe Karl Rahner gesagt. Ehrfurcht vor Gott heißt so gesehen, dass wir um Gott wissen und mit ihm rechnen und dass wir uns nicht vom verbreiteten Bazillus der Gottvergessenheit anstecken lassen. Ehrfurcht vor Gott hilft dazu, Gott nicht zu verharmlosen, ihn nicht auf banales menschliches Maß zurückzustutzen. Ich bin überzeugt, es gibt keine wirklich religiösen Erfahrungen, wenn da nicht auch das Bewusstsein eines unendlichen Abstands zwischen Gott und mir mitschwingt, also ein Stück Erschrecken vor der Größe und Heiligkeit Gottes. Und wohl auch nicht ohne wenigstens von ferne ein Stück Unruhe zu empfinden angesichts der Frage: Wie kann ich im Urteil Gottes bestehen, wenn ich angesichts einer aktuellen Herausforderung meiner Zivilcourage mich ängstlich wegducke?

    Mir hilft dabei, wie Luther im Katechismus bei der Erklärung der Zehn Gebote von der Gottesfurcht redet, nämlich in ganz enger Verbindung mit den Worten Liebe und Vertrauen. Es ist wie eine Überschrift über alle zehn Gebote, dass Luther das erste Gebot so erklärt: »Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.« So kann der Gedanke der Gottesfurcht unser Verständnis Gottes von der Harmlosigkeit befreien und unserer Gottesbeziehung mehr Tiefe und Substanz geben. Es gibt ja auch ein Zittern vor lauter Freude. Deshalb nicht trotz, sondern wegen der Gottesfurcht: »Nun freut euch, lieben Christen g’mein und lasst uns fröhlich singen«.

    Kirche des Evangeliums


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