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    Predigt über Mt 10,26–33 zum Reformationsfest

    Klaus Kohl

    Auf die Dächer muss es, liebe Gemeinde. Ans Licht der Öffentlichkeit muss, was es zu sagen gilt am Reformationsfest. In die Zeitungen, in die Parlamente, in die Büros, in die Betriebe. In die Krankenhäuser und auf die Friedhöfe. Die Erkenntnisse der Reformatoren sind kein konfessionelles Geheimwissen. Die Bekenntnisse der evangelischen Kirche grenzen nicht ab, sondern schließen auf. Reformationsgottesdienste sind keine protestantischen Kaderschmieden. Protestantisches Bewusstsein produziert keine Antihaltung, entwickelt sich nicht gegen andere Konfessionen und Religionen. Pro-testanten sind Zeugen für. Zeugen für Jesus Christus. Darum heißt es in unserem Bibelabschnitt: »Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.« Bekennen – wie macht man das?

    Unser Predigttext ist eine Zusammenstellung verschiedener Sprüche unterschiedlicher Herkunft. Alles Bekenntnissprüche. Da liegt ein Problem. Bei der Lektüre dieser Sprüche komme ich mir vor wie gelegentlich in einer Presbyteriumssitzung, in der Sitzung eines Leitungsorgans der evangelischen Kirche. Die verschiedensten Voten kommen da zu Wort. Jede und jeder hat etwas Wichtiges zu sagen. Es wird viel geredet, streckenweise weit aneinander vorbei. Dass geredet wird, scheint wichtiger, als dass gehört wird. Viele kommen zu Wort. Wenig kommt zu Gehör. Wo doch der Glaube aus dem Hören kommt. Nach Martin Luther.

    Ich frage: Sind unsere Sätze Sätze eines aufschließenden Bekenntnisses? Einladende Sätze, die Lust machen auf die Nachfolge Jesu? Oder Reizwörter, die abblocken, die nur Recht haben, die nur die Diskussion beenden wollen? Lassen Sie uns hineinschauen in unseren Predigttext. Mal gucken, was hinaufmuss auf die Dächer. Was gesagt werden muss.

    Statt auf einen wuchtigen Bekenntnissatz von reformatorischer Qualität weise ich Sie auf eine geradezu triviale Bemerkung hin: auf einen Satz, der für alle schlüssig ist. »Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt.« Nicht wahr, das stimmt. Schauen Sie mich an. Bei mir geht das Zählen schnell. Und dennoch, ich lebe! Die Kosmetikindustrie kann sich dumm und dämlich verdienen. Glatze bleibt Glatze. Leben trotz Glatze? Nein, man ist inzwischen dahinter gekommen. Glatze ist ›in‹. Also: Leben mit Glatze! Es kommt noch primitiver. Noch deutlicher an die Anfänge gehend: »Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen?« Spatzen, die billigsten essbaren Vögel, der Braten des kleinen Mannes. »Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater.« Ist das ein Trost für den Spatz im Fallen? Doch allenfalls nur, wenn sein Fallen selbst, um Braten zu sein für die kleinen Leute, guter Sinn ist. Guter Sinn seines und all der unzähligen Spatzenleben. Sein Leben und Fallen Sinn und Sinnbild für das Leben und Fallen Jesu. Sinn und Sinnbild für das Leben und Fallen seiner Jünger. Und so sind die Spatzen Trost für die Jünger, die sich fürchten, weil ihre Nachfolge offensichtlich nichts bringt, nichts anderes als die Nähe Jesu. Nichts anderes als Jesu Bekenntnis für sie vor seinem himmlischen Vater. Das aber auf jeden Fall. Auch im tiefsten Fall. Also, Spatzen und Glatzen, was soll’s! Fürchtet euch nicht! Und dennoch, fürchtet euch!

    Mit diesen Sätzen vom Fürchten und vom Nicht-Fürchten und vom Leib und von der Seele werden uns nun doch ein paar Gedanken zugemutet, die etwas komplizierter sind. Leib und Seele, das sind nicht zwei verschiedene Substanzen, aus denen der Mensch besteht. Nicht ein vergänglicher Leib und eine unvergängliche Seele, so wie es die Griechen meinten. Für die Bibel ist der Mensch durch und durch Leib und Seele. Er lebt ganz als Leib und Seele und stirbt ganz als Leib und Seele. Nur, Leib ist der Mensch in Bezug auf seine Hinfälligkeit, seine Begrenztheit, sein Werden und Vergehen, sein Wachsen und Welken. Und Seele ist er im Blick auf seine Beziehungen, seine Kontakte, seine Verhältnisse.

    »Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können.« Das trifft für manches zu. Dem Menschen in seiner Hinfälligkeit ein Ende machen und ihn dennoch nicht klein kriegen in Bezug auf seine Lebendigkeit, das schaffen viele Menschen und Mächte. Vor denen fürchtet euch nicht! Schauen wir Martin Luther an. Der hat sich wahrhaftig nicht gefürchtet. Nicht vor seinem Ordensoberen, nicht vor dem Papst, nicht vor dem Kaiser. Nicht einmal vor seiner Käthe hat er sich gefürchtet. »Fürchtet euch vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.« Vor dem, der uns in unserer Hinfälligkeit und Begrenztheit, der unserem Werden und Vergehen, unserem Wachsen und Welken ein Ende machen kann und zugleich all unsere Kontakte abschneidet und uns hineinstürzt in die tiefste Beziehungslosigkeit, in die einsamste Verhältnislosigkeit. Der uns verkommen lässt im absoluten Tod.

    Wer ist das? Wer kann das? Hier streiten sich die Ausleger. Klar, hier ist vom Teufel die Rede. Andere sagen, von Gott. Ich denke, beides stimmt. Aber es stimmt nur, indem um Gottes willen vom Teufel die Rede ist. Denn von Gott kann man gar nicht anders reden als von dem, der im Tode Jesu Christi den Tod getötet und den Teufel verteufelt und alle Mächte entmachtet und alle Macht an sich genommen hat, so dass wir nur noch von einer guten Macht gehalten sind. Und vom Teufel kann man gar nicht anders reden als von jenem teuflisch blamierten und tödlich beleidigten Wesen, das uns immer wieder auffordert und ermuntert, uns an den Haaren selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Was das bringt, und das noch bei einer Glatze, das wissen selbst die Primitivsten. Darum: Fürchtet euch vor Gott, der in der Hölle aufgeräumt und den Teufel, so quicklebendig er sich gibt, mit all seiner scheinbaren Macht gebunden hat an die Ohnmacht seiner Liebe. Der im Tode Jesu Christi eine unauflösliche Beziehung gestiftet hat zu seiner ganzen vom Tode bedrohten Kreatur. Der in der Verhältnislosigkeit des Todes neue Verhältnisse geschaffen hat. Verhältnisse der Liebe. Darum fürchtet Gott!

    Wer vor Gott sich fürchtet, der und die geht nicht in die Knie. Wer sich vor Gott fürchtet, übt den aufrechten Gang. Kann den Kopf heben und nach vorn schauen. Kann den Schwefelgeruch der Hölle ausatmen und tief durchatmen und die Luft des neuen Morgens einatmen. Wir sollen Gott fürchten und lieben. Mit diesen Worten beginnt Martin Luther im Kleinen Katechismus seine Erklärungen zu jedem der Gebote Gottes. Gott fürchten und lieben. Damit eröffnet der Reformator die Hilfestellungen, die der Christenheit gemeinsam mit Israel gegeben sind zu einer guten Gestaltung des Lebens. Gott fürchten und lieben. Das sind die Signaltöne zum Aufbruch in die evangelische Freiheit. In die Freiheit eines Christenmenschen, die es in allen Lebensbereichen, so wie die Gebote es beschreiben, wahrzunehmen gilt.

    Diese Signaltöne müssen auf die Dächer. Müssen in die Öffentlichkeit. In die Zeitungen, in die Parlamente, in die Büros, in die Betriebe. In die Krankenhäuser und auf die Friedhöfe. Aber wie? Der erste Satz unseres Predigttextes zeigt an, dass das nicht in erster Linie unsere Sache ist. Das geschieht. Auch ohne unser Zutun. Auch hier ist mit unserer Macht nichts getan. Auch nicht mit der Macht kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit. Auch nicht mit der Überzeugungskraft christlichen Bekennermutes. Gleichwohl, Jesus sagt: »Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.« Jesus bekennen. Ja, im Kleinen beginnt das. Nicht erst bei Petrus und der Magd. Und hört im Großen nicht auf. Kennen Sie den Autoaufkleber »Jesus liebt dich«? Geschmackssache ist das. Zum Bekenntnis kann es werden, wenn ich mal aus Unachtsamkeit an ein Auto mit einem solchen Aufkleber einen Kratzer mache oder eine Beule. Oder wenn mir jemand auf mein Auto knallt, auch wenn ich diesen Aufkleber nicht durch die Gegend fahre.

    O ja, liebe Gemeinde, die Reformation, über die viele kluge Köpfe sich kluge Gedanken gemacht haben und machen, die Reformation, über die die Christenheit 500 Jahre lang nicht zur Ruhe gekommen ist, die Reformation, sie will und wird die ganze Welt in Bewegung setzen. Deshalb beginnt sie mit einer sehr trivialen Erkenntnis. Die Reformation beginnt mit der Erkenntnis, dass wir guten Grund haben, Gott über alle Dinge zu fürchten, zu lieben, zu vertrauen. Weil Gott sich bekennt zu den Menschen. Das muss man erst mal hören. Und tun? Was gilt es dann zu tun?

    Ich schließe mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer: »Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann, eine sogenannte priesterliche Gestalt, einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder Gesunden … –, dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern die Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube«.



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