Arbeitshilfen für die Gestaltung von Gottesdiensten zu Kasualien, Feierragen und besonderen Anlässen




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Sana10.04.2017
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Gottesdienst am 1. November

Christian Rave

Sollte Martin Luther tatsächlich seine Thesen am Abend des 31. Oktober angeschlagen haben, dann nicht, um einen neuen Feiertag zu erfinden. Vielmehr richteten sie sich an die vielen Kirchenbesucher am Hochfest Allerheiligen, das die Reformation im Sinne von CA XXI in Ehren hielt. Heute ist das Fest, obwohl im Evangelischen Gottesdienstbuch noch aufgenommen, aus dem Gemeindeleben weitgehend verschwunden. Im Credo erinnern wir uns zwar der sanctorum communio, aber feiern wir die Gemeinschaft mit denen vor, neben und nach uns auch? Wenigstens in den Jahren, in denen der 1. November auf einen Sonntag fällt?

Seit deutlich mehr als 900 Jahren leben Christen im Kleinen Wiesental. Seit 460 Jahren besteht hier eine evangelische Kirchengemeinde. Heute stellt uns der alte Feiertag »in der Gemeinschaft der Heiligen« in den großen Zusammenhang, die Gemeinschaft mit denen, die vor uns lebten, die neben uns leben, die nach uns leben werden.

Feiern in der Gemeinschaft der Heiligen – das heißt zunächst einmal, zu realisieren: Wir sind die Ersten nicht. Wir sind nicht die ersten Evangelischen im Tal, wir sind schon gar nicht die ersten Christen in den Dörfern hier.

Wir sind die Ersten nicht, die glauben – und zweifeln;

die leben wollen aus der Hoffnung – und manchmal allen Mut verlieren.

Wir sind die Ersten nicht, die miteinander lachen – und weinen;

die miteinander Feste feiern und Streit austragen; die miteinander froh sind – und manchmal überhaupt nicht mehr weiter mögen.

Wir sind die Ersten nicht, die manchmal fürchten, die Letzten zu sein.

Der Feiertag in der Gemeinschaft der Heiligen weist uns unseren Platz an: Evangelisch oder nicht – wir sind die Ersten nicht, und es ist nicht unser Verdienst, dass es hier seit 460 Jahren eine evangelische Gemeinde gibt, dass hier seit mindestens 900 Jahren Christen wohnen.

Der Feiertag in der Gemeinschaft der Heiligen stellt uns in eine Reihe mit denen, die uns vorangegangen sind in Glauben, Hoffnung und Liebe. Das Fest stellt uns in eine größere Gemeinschaft als den eigenen Kreis in dieser Zeit: Es weist uns einen Platz an in der Kirche aller Zeiten und aller Orte, es weist uns einen Platz an in der Gemeinschaft der Heiligen.

Das ist ganz schön dick aufgetragen: Gemeinschaft der Heiligen. Ich frage mich: Gemeinschaft der Heiligen: Gehöre ich da dazu? Ich fühle mich gar nicht heilig, eher im Gegenteil! Und dann – Gemeinschaft der Heiligen: Wenn ich denn schon heilig sein sollte, dann gehöre ich also zu einer Gemeinschaft, einer Art Familie von Menschen wie ich? Aber was ist das denn für eine Familie, was heißt es, dazu zu gehören?

Menschen, die mehr von sich selber und ihrer Familie wissen wollen, betreiben Familienforschung. Sie wühlen in alten Archiven und lesen staubige Bücher aus lang vergangener Zeit und versuchen, sich Stückchen für Stückchen ein Bild zu machen. Doch meine Familienforschung heute geht anders, denn meine Familienforschung beginnt in … der Zukunft. Allerdings habe ich ein altes Buch gebraucht bei meiner Forschung, ein Buch, das mir viel zu erzählen hat über meine Familie: die Bibel.

Das erste, was ich nachgelesen habe, ist: ob ich da nun wirklich dazugehöre, zu den Heiligen? Die Antwort war vollkommen deutlich: Selbstverständlich gehörst du dazu. Du hast doch die Stimme gehört, die dich rief, du möchtest doch glauben an Jesus Messias, du bist doch mit lebendigem Wasser getauft in seinem Namen?

Ja, aber … heilig bin ich nun wirklich nicht, nein: Keine Rede von einem fleckenlosen Leben, keine Rede von einem steinharten Glauben, und Weinen ist mir oft näher als Lachen.

Interessiert mich überhaupt nicht, sagte das Buch.

Heilig sind die, die zu Gott gehören, weil ER gerufen hat.

Heilig sind die, die zu Gott gehören, weil ER getauft hat.

Heilig sind die, die sich mit IHM im Fallen und Wiederaufstehen auf den Weg gemacht haben.

Und was die Flecken auf deinem Kleid angeht, die Risse von unterwegs, und die Ärmel, feucht von Tränen: Das kommt alles wieder in Ordnung. Lies mal ganz hinten, da steht es, alles wird wieder sauber und weiß werden, weil Gott das will und weil er selbst dafür sorgt.

So landete ich mit meiner Familienforschung in der Zukunft, bei Johannes, der in einer Vision erzählt, wie es mit unserer Familie endet: »Dies sind die [Menschen], die aus der großen Bedrängnis kommen, und sie haben ihre Kleider gewaschen und weiß gemacht im Blut des Lammes [das ist Christus, der Herr]. Sie werden nicht mehr Hunger leiden noch Durst, noch wird sie überfallen die Sonne oder glühende Hitze, denn das Lamm … wird ihr Hirte sein und wird ihnen den Weg weisen zu lebenden Wasserquellen: und Gott wird abwischen jede Träne von ihren Augen.« (Offb 7,14–17)

Meine Familie hat Zukunft. Die Geschichte meiner Familie beginnt erst richtig, wo andere aufhören. Das bedeutet, dass es keinen Graben gibt zwischen mir und denen vor mir, dass die Toten nicht für immer von uns weggenommen, sondern uns höchstens einen Schritt voraus sind, dass sie auf uns warten, denn wir gehören zueinander, gerade in der Zukunft.

Meine Familie beginnt erst, wo andere aufhören. Das bedeutet auch, dass die Grenzen hier und jetzt sehr relativ sind: Sie hier sind meine Familie, denn wir haben die gleiche Zukunft. Auch wenn wir unseren Glauben jetzt ganz verschieden erleben, gehören wir doch zusammen. Es gibt nicht eine Zukunft für Junge und Alte, für Katholiken und Protestanten, für Gläubige und Zweifler. Es gibt nur einen Herrn, der Leben schenkt.

Auch unsere Partner in Teltow bei Berlin, in Whitstable in England oder in Kamerun sind meine Familie. Denn es gibt keine schwarze oder weiße, keine reiche oder arme Zukunft, sondern einen Herrn, der Leben schenkt. Zusammen sind wir unterwegs nach Gottes Zukunft, füreinander sind wir verantwortlich und lassen einander nicht im Stich.

Meine Familienforschung beginnt in der Zukunft, sagte ich, aber ich lande im Heute, denn vor der Zukunft von Gottes Reich liegt die große Bedrängnis. Das Leben jetzt wird gekennzeichnet gerade von den Dingen, von denen Johannes sagt, dass sie vorbeigehen werden: Hunger und Durst, Sonnenglut und sengende Hitze. Heute und hier hätte er wohl von der Qual des Überflusses an Nahrung geschrieben. Oder von Menschen, die so verzweifelt und in Lebensgefahr waren, dass sie sich auf den gefährlichen und strapaziösen Weg zu uns gemacht haben, und von Menschen hier, die am liebsten alle Grenzen verbarrikadieren würden. Oder er hätte geschrieben von Nachbarn, die einander das Leben schwer machen; von tödlichen Krankheiten; vom Konkurrenzkampf am Arbeitsplatz; von – was hättet ihr aufgeschrieben?

Meine Familienforschung ist anscheinend noch nicht fertig. Was kann ich denn in der Wirklichkeit von heute damit anfangen, dass ich einigermaßen weiß, wo alles endet? Johannes gibt Hinweise: Von den Menschen in den weißen Kleidern wird gesagt, dass sie aus der Bedrängnis kommen. Man kann also hindurchkommen!

Auch wird gesagt, dass sie einen gefunden haben, der ihnen den Weg zeigt: Jesus, das Lamm. Wenn wir eine Familie sind, dann muss dieser Pfadfinder also auch für mich da sein. So blättern wir zurück in dem alten Buch und kommen zu einem Dokument, das die Menschen beschreibt, die hinter diesem Pfadfinder herlaufen.

Glücklich werden sie genannt, denn sie finden Gnade bei Gott.

Glücklich werden sie genannt, denn für sie hat Gott alles bestimmt.

So werden sie beschrieben: Sie sind in sich selber arm, sie wissen, dass sie nichts erreichen aus sich selbst und alles von Gott erwarten müssen; sie machen sich die Not dieser Welt mit Tränen zu eigen, sie hungern nach Gerechtigkeit und werden darum verfolgt; sie setzen sich ein für den Frieden.

Das sind die Menschen, deren Kleider wieder weiß werden, wenn sie aus der Bedrängnis zum Vorschein kommen: Menschen, die bei Christus gefunden haben, was sie aus sich selbst nicht erlangen konnten, die sich deshalb bemühen, ihm zu folgen. Die Menschen sind meine Familie.

Diese Menschen sind – wir. Wir sind die Menschen, die zu Christus gehören. Wir sind die Menschen, deren Tränen abgewischt werden. Uns gehört das Reich Gottes. Wir gehören zusammen und sind Gott heilig.

Wir sind die Ersten nicht – zum Glück nicht. Es gibt andere vor uns und mit uns, die uns zurufen: »Die Befreiung kommt durch unseren Gott … und durch das Lamm!« (Offb 7,10)

Wir sind die Ersten nicht – wären wir doch die Letzten, wäre es doch endlich so weit, dass wir die Bedrängnisse hinter uns lassen könnten und unsere Kleider wieder weiß waschen könnten, für immer!

Aber, Schwestern und Brüder, es ist doch schon so weit. Es beginnt doch schon. Wir gehören zusammen und teilen den Leib und das Blut des Lammes miteinander, und unsere Kleider werden wieder weiß wie am ersten Tag unseres Lebens. Und wir singen von dem, der uns aus der Bedrängnis befreit. Sein Königreich beginnt – unter uns. Schon 460, schon 900, schon über 2000 Jahre lang.



Loslassen


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