Arbeitshilfen für die Gestaltung von Gottesdiensten zu Kasualien, Feierragen und besonderen Anlässen




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Sana10.04.2017
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Predigt über Röm 3,21–28

Sibylle Rolf

Luther hat im Rückblick auf seine reformatorische Entdeckung beschrieben, dass er sich gefühlt hat, als seien ihm die Tore zum Himmel geöffnet worden. »Die Freiheit eines Christenmenschen« ist von da an sein Thema. Als freier Christenmensch findet er die Kraft, gegen die Mächtigen der damaligen Welt aufzustehen – ein kleines Mönchlein aus Wittenberg. Ein freier Christenmensch ist er bis an sein Lebensende geblieben, und diese Freiheit hat ihn so beflügelt, dass er darüber Lieder gedichtet hat: Freut euch und lasst uns fröhlich springen – wir haben es eben gesungen.

Seine Freiheitsentdeckung hat Luther gemacht, als er sich in die Bibel vertieft hat, vor allem in den Römerbrief. Unser Predigttext ist ein Abschnitt daraus. Auf den ersten Blick hat er aber mit der Freiheit eines Christenmenschen nichts zu tun. Das Wort »Freiheit« kommt noch nicht einmal vor. Dafür viele andere Wörter: Gerechtigkeit, Glauben, Gesetz, Gnade – und natürlich Gott. Und noch eins: Sünde. Und das ist nun wohl das gerade Gegenteil von Freiheit. »Uff«, haben Sie vielleicht beim Hören gedacht. Ganz anders klingt es als »Nun freut euch, lieben Christen g’mein«. Was hat Luther dazu gebracht, in diesen dichten theologischen Formulierungen Freiheit und Freude zu finden? In vier Schritten möchte ich mit Ihnen diesen Weg nachgehen.

1. Wie wird man gerecht?

Wer ist gerecht? Ein Lehrer, der für seine Schüler und Schülerinnen »gerecht« ist? Ein gerechter Richter? Gerechte Eltern? Wahrscheinlich können wir uns schnell darauf einigen, dass man einen Gerechten daran erkennt, dass er gerecht handelt. Er bevorzugt niemanden. Er hält sich selbst an die Regeln, die er anderen gibt. Ein Gerechter ist verlässlich. Er ist nicht heute so und morgen anders, nur weil er vielleicht schlecht geschlafen hat. Ein gerechter Lehrer gibt Noten nach Leistung und nicht danach, ob er Schüler und Schülerinnen mag. Ein gerechter Richter urteilt nach den Fakten und nicht danach, ob der Angeklagte hübsch oder reich ist oder großen Einfluss hat. Gerechte Eltern ziehen nicht ein Kind dem anderen vor. Sie versuchen, jedem Kind in seiner Eigenart »gerecht« zu werden. Gerecht ist, wer gerecht handelt. Dazu gehört auch, dass man sich an Regeln oder Gesetze hält.

Genau das hat Luther in seiner theologischen Ausbildung gelernt: Gerecht ist, wer gerecht handelt. Das gilt auch bei Gott: Den Gerechten vor Gott erkennt man daran, dass er sich an Gottes Gebote hält. Und Gerechtigkeit kann man einüben. Man wird immer besser darin, wie ein Musiker auf seinem Instrument durch Übung besser wird. Das ist plausibel, denn genauso lernen ja unsere Kinder, wie man sich allmählich immer besser an Regeln halten kann – man lernt sie kennen und übt sie ein.

2. Kann man Gerechtigkeit vor Gott üben?

Was Luther dazu trieb, in das Augustiner-Kloster in Erfurt einzutreten, war der Wunsch, gerecht vor Gott zu sein und in die Gebote Gottes hineinzuwachsen. Das Leben im Kloster war hart: viele Gebetszeiten, wenig Schlaf, nur eine Mahlzeit am Tag, an manchen Tagen gar keine. Bruder Martinus schindet sich, er hält sich genau an das, was andere von ihm erwarten, er erfüllt jede Regel, möglichst noch besser als die anderen – und doch findet er nicht, was er sucht. Im Gegenteil, er entfernt sich immer weiter von seinem Ziel. Sein Wunsch, vor Gott gerecht dazustehen, stößt ihn immer tiefer in die Verzweiflung – denn er schafft es nicht. Immer findet er noch etwas, wo er eben doch gegen Gottes Regeln verstoßen hat. Je mehr er sich müht, desto weniger kommt er an; je mehr er sich verbessern will, desto mehr kreist er um sich selbst. Warum ist das so?



3. Um frei zu werden, muss ich meine Unfreiheit erkennen

Bruder Martinus setzt alles daran, Gott zu gefallen. Und doch findet er keinen Frieden. Erst als er in der Heiligen Schrift entdeckt, was Paulus über den Menschen und über Gott sagt, fühlt er sich, als sei ihm eine Tür geöffnet worden – der Weg in die Freiheit.

Liebe Gemeinde, dieser Weg ist ziemlich überraschend; vielleicht haben Sie es noch im Ohr: Sie sind allesamt Sünder. Das lässt sich niemand gerne sagen, oder würden Sie sich als Sünder bezeichnen? Die meisten Menschen sind doch stolz darauf, dass sie das eben nicht sind – Sünder. Nicht in Konflikt mit dem Gesetz. Keine Punkte, in welcher Kartei auch immer. Vielleicht läuft nicht immer alles komplett richtig – aber deswegen gleich »Sünder«?

Luther hat das Wort »Sünde« in seiner Tragweite erst nach langem Ringen begriffen. Sünde ist nicht nur das, was wir tun – sondern Sünde betrifft, was wir sind. Solange wir mit »Sünde« das falsche Tun meinen, so lange halten wir sie von uns fern. Denn dann nehmen wir an, wir könnten auch anders. Wir müssten nur wollen, wir sind doch schließlich freie Menschen!

Wenn ich aber auch anders könnte, was bringt mich dazu, die Menschen, die mir nahe stehen, zu verletzen? Nicht richtig hinzuhören, wenn sie mir etwas Wichtiges sagen wollen? Was treibt mich eigentlich dazu an, den Menschen, mit denen ich umgehe, nicht wirklich »gerecht« zu werden, sondern ihnen mit meiner vorgefassten Meinung zu begegnen – klar, der war schon immer so, typisch …? Was bringt mich dazu, kleine Unwahrheiten zu erzählen oder wichtige Dinge zu verschweigen? Was hält mich eigentlich davon ab, andere wirklich selbstlos zu lieben? Warum denke ich bei dem, was ich tue, immer auch daran, was es mir bringt? Und warum stehe ich mir so oft selbst im Weg, indem ich nichts anderes sehe, als … mich selbst? Und schließlich: Warum vertraue ich nicht im Letzten auf Gott, sondern versuche, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, so, als brauchte ich Gott nicht?

Bruder Martinus hat diese Fragen an sein Herz gelassen. Er hat gespürt, dass er hinter seinem eigenen Anspruch zurückbleibt. Wie würde Gott auf ihn blicken? Für ihn waren seine Gewissensnöte bedrängender als die Geister, die uns heute Nacht in den Straßen von Ladenburg auflauern.

Dort, am Fenster seiner Zelle, hat er gesessen und gedacht: Wie gerne wäre ich anders: selbstlos, andere zu lieben, oder mutig, für das einzutreten, was doch eigentlich richtig wäre – aber allzu oft scheitere ich an meiner Angst oder daran, dass ich tue, was andere von mir erwarten. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto verzwickter wird es. Je mehr ich versuche, alles richtig zu machen, desto falscher wird es. Warum kann ich nicht so, wie ich will? Und – noch schlimmer – warum will ich manchmal noch nicht einmal das Gute? Wie kommt es, dass mir manchmal Menschen begegnen, die regelrecht das Böse in mir hervorrufen? Bei denen ich widerspreche, nur um zu widersprechen? Bei denen ich so lange argumentiere, bis ich am Ende das Gefühl habe, Siegerin zu sein? Bin ich am Ende gar nicht so frei, wie ich denke?

Bruder Martinus, möchte ich rufen, du weißt gar nicht, wie Recht du hast! Ich möchte solche Fragen gerne von mir wegschieben, aber an manchen Tagen kommen sie mir ganz schön nahe. Und was Martinus umtreibt, wird zu meiner eigenen Frage: Warum schaffe ich es nicht, so zu sein, wie ich eigentlich will – anderen zugewandt um ihretwillen? Ich weiß doch eigentlich, was gut und richtig wäre, ich kenne die Gebote Gottes, und sie sind mir wichtig – aber warum sehe ich zu und schweige, wenn zwei Kolleginnen über eine dritte, nicht anwesende herziehen? Warum geht es mir so oft darum, meine eigene Haut zu retten? Warum werde ich den Menschen, mit denen ich lebe, oft genug nicht gerecht – Kollegen, Angehörigen und Freundinnen? Ich fühle mich gefangen in mir selbst.

Wenn ich diese Fragen wirklich an mich herankommen lasse, dann ahne ich, welche Sprengkraft für Luther darin lag: Sie sind allesamt Sünder. Das ist die Diagnose, die aufdeckt, was ich schon längst geahnt habe: Ich kann mir nicht selbst helfen. Ich stecke viel zu tief darin. Es betrifft nicht nur das Äußere. Es geht bis ins Herz.

Sicher, all das Schreckliche, das Menschen tun können, auch das sind Sünden: Wenn Menschen andere Menschen quälen und missbrauchen, wenn Menschen andere zu Nicht-Menschen erklären. Aber die eigentliche Sünde liegt noch tiefer. Sie liegt in mir drin, auch in mir. Und damit, dass ich gerecht handle, ist ihr nicht beizukommen. Aber jetzt ist es gesagt. Und darin liegt der Anfang der Befreiung.




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