• Ausgangslage in Deutschland und Europa
  • Neuheitsschonfrist in anderen Rechtsordnungen
  • Tatsächliche Nutzung der Neuheitsschonfrist
  • Diskussionsstand zur Einführung einer Neuheitsschonfrist in Deutschland und Europa und Position des VCI
  • Position des VCI zur Einführung einer Neuheitsschonfrist im Patentrecht




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    Position des VCI zur Einführung einer Neuheitsschonfrist im Patentrecht

    Vorbemerkung

    Der VCI vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen von mehr als 1.650 deutschen Chemieunternehmen und deutschen Tochterunternehmen ausländischer Konzerne gegenüber Politik, Behörden, anderen Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien. Der VCI steht für mehr als 90 Prozent der deutschen Chemie. Die Branche setzte 2013 rund 190 Milliarden Euro um und beschäftigte über 438.000 Mitarbeiter.


    1. Ausgangslage in Deutschland und Europa


    In Deutschland, den meisten europäischen Staaten und im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) existiert im Patentrecht keine Neuheitsschonfrist.

    Als Neuheitsschonfrist bezeichnet man einen Zeitraum, indem ein Erfinder die Erfindung publik machen kann, ohne dass dies einer eigenen späteren Anmeldung der Erfindung zum Patent entgegenstehen würde.



    § 3 Abs. 5 PatG sieht eine eingeschränkte Regelung zur Unschädlichkeit von Offenbarungen des Patentgegenstandes innerhalb von 6 Monaten vor Einreichung der Patentanmeldung vor, soweit die Offenbarung im Rahmen der Zurschaustellung der Erfindung auf einer amtlichen oder amtlich anerkannten Ausstellung erfolgte oder auf einen offensichtlichen Rechtsmissbrauch zum Nachteil des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers zurückzuführen ist. Ein derartiger Ausstellungs- und Billigkeits-schutz ist nicht zu verwechseln mit einer Neuheitsschonfrist und ist auch in Artikel 55 Abs. 1 EPÜ und zahlreichen weiteren nationalen Patentrechtsordnungen vorgesehen (z. B. Belgien, Niederlande, Frankreich, Italien, Großbritannien, Österreich, Schweden).

    1. Neuheitsschonfrist in anderen Rechtsordnungen


    1. Analog zu Deutschland und Europa verfügen weltweit auch viele andere Länder nicht über eine Neuheitsschonfrist. In China, dem Land mit dem dynamischsten Wachstum der Patentanmeldezahlen, existiert keine Neuheitsschonfrist, sondern eine Regelung, wonach die Offenbarung von Informationen, die auf anerkannten Messen oder bestimmten Tagungen oder durch Dritte ohne Zustimmung des Anmelders erfolgt, innerhalb von 6 Monaten unschädlich ist. Diese Regelung entspricht dem Ausstellungs- und Billigkeitsschutz im deutschen und europäischen Recht. Eine ähnliche Regelung findet sich im indischen Patentrecht.

    2. Andererseits existieren in den USA und einigen anderen Ländern wie Australien, Brasilien, Kanada, Japan und Russland Regelungen zur Neuheitsschonfrist. Deutliche Unterschiede gibt es allerdings bei der jeweiligen Ausgestaltung der Neuheitsschonfrist in diesen Ländern. Insbesondere die Länge der Neuheitsschonfrist ist dabei uneinheitlich geregelt. Daneben sind wichtige Fragen wie beispielsweise die Existenz einer Erklärungspflicht über die Inanspruchnahme der Neuheitsschonfrist oder die Pflicht zur Veröffentlichung von Patentanmeldungen in den einzelnen Rechts-ordnungen unterschiedlich geregelt.

    3. Von den fünf Ländern/Gebieten mit der höchsten Zahl von Patentanmeldungen (China, Europa, Japan, Korea, USA), verfügen mit Japan, Korea und den USA nur drei über Regelungen zur Neuheitsschonfrist, die darüber hinaus unterschiedlich ausgestaltet sind.

    International ergibt sich somit ein ausgesprochen uneinheitliches Bild hinsichtlich der Existenz und der Ausgestaltung von Regelungen zur Neuheitsschonfrist.

    1. Tatsächliche Nutzung der Neuheitsschonfrist


    1. Im Jahr 2013 haben die Patentämter der USA (USPTO), Japans (JPO), Deutschlands (DPMA), Großbritanniens, Frankreichs, Dänemarks und das Europäische Patentamt (EPA) eine Konsultation zur internationalen Harmonisierung des Patentrechts durchgeführt („Tegernsee-Umfrage“).

    2. Im Rahmen der Konsultation wurde auch nach der tatsächlichen Nutzung der Neuheitsschonfrist durch Patentanmelder in denjenigen Ländern, in denen sie zur Verfügung steht, gefragt.

    3. Die verfügbaren Ergebnisse dieser Konsultation belegen, dass die Neuheitsschonfrist nur in seltenen Ausnahmefällen von den Patentanmeldern tatsächlich genutzt wird:

    4. In Japan gaben über 80 % der befragten KMU an, von der Neuheitsschonfrist höchstens in 1 % aller Fälle Gebrauch gemacht zu haben. Weitere rund 10 % gaben an, die Neuheitsschonfrist in höchstens 10 % der Fälle genutzt zu haben. Weiterhin gaben fast 100 % der Forschungseinrichtungen an, die Neuheitsschonfrist nur in höchstens 10 % der Fälle genutzt zu haben. Rund 30 % der Forschungseinrichtungen gaben darüber hinaus an, von der Neuheitsschonfrist sogar nur in höchstens 1 % der Fälle Gebrauch gemacht zu haben. Schließlich gaben mehr als 95 % der großen Unternehmen an, in höchstens 1% der Fälle von der Neuheitsschonfrist Gebrauch gemacht zu haben.1

    5. In Europa gaben 21,6 % der Umfrageteilnehmer an, von einer Neuheitsschonfrist in weniger als einem von tausend Fällen (< 0,1 %) Gebrauch gemacht zu haben. Weitere 27 % gaben an, eine Neuheitsschonfrist in 0,1 % der Fälle genutzt zu haben. 43 % der Umfrageteilnehmer haben eine Neuheitsschonfrist in lediglich 1 % der Fälle genutzt.2 Das EPA fasst das Ergebnis der Umfrage dahingehend zusammen, dass 63 % der Umfrageteilnehmer angegeben hätten, eine Neuheitsschonfrist nie oder nur in einer „winzigen Zahl“ von Fällen genutzt zu haben.3

    6. In Deutschland haben sich zudem 61,5 % aller Umfrageteilnehmer gegen die Einführung einer Neuheitsschonfrist ausgesprochen. Von denjenigen, die eine Neuheitsschonfrist-Regelung in anderen Ländern genutzt haben, sprechen sich nur gut die Hälfte (55 %) für die Einführung einer Neuheitsschonfrist in Europa aus.4

    7. Gegenüber dem USPTO gaben darüber hinaus 82 % der aus Europa stammenden Umfrageteilnehmer an, noch nie eine Neuheitsschonfrist in Anspruch genommen zu haben.5

    8. Diese Ergebnisse der Tegernsee-Umfrage sollten in der weiteren Diskussion um die Erforderlichkeit einer Neuheitsschonfrist in Deutschland und Europa berücksichtigt werden. Jedenfalls dürfen nach Ansicht von VCI branchen- oder technologiespezifische Ausnahmefälle zu neuheitsschädlichen Vorveröffentlichungen oder zur Inanspruchnahme von Neuheitsschonfristen und ein hieraus abgeleiteter Bedarf für eine Neuheitsschonfrist, mangels Repräsentativität, nicht ausschlaggebend sein für Gesetzesänderungen mit derart weitgehenden Auswirkungen.
    1. Diskussionsstand zur Einführung einer Neuheitsschonfrist in Deutschland und Europa und Position des VCI










      1. Auflebende Diskussion nach der US-Patentreform

    1. In der Vergangenheit war die Frage der internationalen Harmonisierung der Neuheitsschonfrist eng mit der Forderung nach einer umfassenden Anpassung des US-amerikanischen Patentrechts an gängige internationale Standards, wie dem „first-to-file“-Prinzip, verknüpft. Unterschiedliche Initiativen, unter anderem auf Ebene der WIPO, bleiben mangels entsprechender Reformen in den USA ergebnislos.

    2. Mittlerweile haben die USA ihr Patentrecht im Rahmen des „America Invents Act“ von 2013 reformiert, um durch ein effizienteres Patentsystem mehr Rechtssicherheit zu gewährleisten und Innovationen zu fördern. Sie sind dabei insbesondere von dem bis dato geltenden „first-to-invent“-Prinzip abgerückt. Andere wichtige Regelungen des US-Patentrechts blieben jedoch unverändert. So fehlt es in den USA nach wie vor beispielsweise an der grundsätzlichen Veröffentlichungspflicht von Patentanmeldungen nach 18 Monaten. Zudem wurde eine komplexe Neuregelung der Neuheitsschonfrist eingeführt, welche die Rechtsunsicherheit erhöht und den Zielen der Reform damit zuwider läuft.

    3. Dennoch hat die Diskussion um die Einführung einer Neuheitsschonfrist in Europa nach der Verabschiedung des „America Invents Acts“ neuen Auftrieb bekommen.

    4. Insbesondere aus den Reihen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) sind hierzu gerade jüngst entsprechende Forderungen erhoben worden. Auch im Rahmen der TTIP-Verhandlungen zwischen Europa und den USA gibt es Bestrebungen für eine bilaterale Regelung.

      1. Kein Bedarf für die Einführung einer Neuheitsschonfrist

    1. Ein hohes Maß an Rechtssicherheit und klare gesetzliche Regelungen sind zentral, um für Unternehmen in Deutschland und Europa attraktive Rahmenbedingungen und Investitionssicherheit zu schaffen. Zudem stellen Patente ein wichtiges innovations- und damit auch wachstumsförderndes Instrument dar, weshalb etwaige Neuregelungen im Patentrecht stets auch im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Auswirkungen zu evaluieren sind.

    2. Im Bereich innovativer Industrien wie der chemischen Industrie ist es wichtig, die Patentsituation möglichst zuverlässig bewerten zu können, bevor Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E) getätigt werden. Dies spielt beispielsweise eine Rolle bei der strategischen Bewertung von Technologiefeldern oder auch konkreten F&E-Projekten, im Rahmen derer festzustellen ist, ob Drittpatente einer eigenen Entwicklung sowie einer Amortisierung der damit verbundenen Investitionen entgegenstehen. Dies wird in professionellen F&E-Prozessen durch sog. „Freedom-to-Operate“-Analysen sichergestellt, die eine rechtliche Bewertung relevanter Drittpatente darstellen. Wenn bei der Beurteilung von Drittpatenten rechtliche Unwägbarkeiten auftauchen, kann dies den Entwicklungsprozess verzögern oder sogar zur Einstellung eines Entwicklungsprojektes führen - zumindest werden hierdurch Investitionen in eine weiter vertiefte patentrechtliche Bewertung notwendig, wodurch diese Gelder dem eigentlichen Innovationsprozess entzogen werden. Dieses Risiko wird aufgrund einer Vielzahl offener Fragen bei Einführung einer Neuheitsschonfrist stark erhöht (siehe hierzu auch nachfolgend unter Punkt 1.3).

    3. Das geltende deutsche/europäische Patentrecht hat sich ohne eine Neuheitsschonfrist in der Praxis vollauf bewährt. Konkret ermöglichen die Regelungen des deutschen und europäischen Patentrechts bei einem aufgefundenen Drittpatent die Ermittlung eines objektiven Referenzdatums (den Prioritätstag) wie auch eines objektiven Referenzinhalts (die schriftliche Beschreibung der hinterlegten Erfindung). Dies führt zu einem Maximum an Rechts- und Investitionssicherheit.



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